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Fiktive arabische Großstadt, angelehnt an Kairo und Damaskus, etwas vor 2011; Stationen aus dem Leben eines jungen, versteckt lebenden muslimischen Sc
Fiktive arabische Großstadt, angelehnt an Kairo und Damaskus, etwas vor 2011; Stationen aus dem Leben eines jungen, versteckt lebenden muslimischen Schwulen aus dem Bürgertum. Das wäre natürlich praktisch, das erste Buch eines schwulen Muslims über den Arabischen Frühling. Einige Medienleute haben diesen Esel dann geritten. Bei genauerem Hinsehen haut alles nicht so hin Erstens war der 1983 geborene Saleem Haddad im Jahr 2011 nicht mehr gar so jung. Sondern 28 Jahre alt und ausgebildeter Arzt. Der Ich-Erzähler des Romans, Rasa, ist auch schon 27 Jahre alt. Doch dann kann die Handlung nicht knapp vor den Unruhen des Jahres 2011 spielen, weil schon im Jahr 2000 soll er Student in den USA gewesen sein. Zur Zeit der Kerngeschichte des Buchs arbeitet Rasa als Übersetzer für englischsprachige Medien und lebt mit seiner dominanten Großmutter zusammen. Dass er schwul ist, er, der unverheiratete Endzwanziger, der Berufstätige, der Jahre in Amerika gelebt hat, das soll die alte Frau nicht wissen. Sie macht sich tatsächlich Hoffnungen, Rasa werde demächst heiraten. Weiterhin: Autor Saleem Haddad entstammt zwar dem islamischen Kulturkreis, gehört aber keiner der Nationen an, die den „Arabischen Frühling“ erlebt haben. Haddads Familie ist gemischt, teils libanesisch, teils palästinensisch, teil irakisch, teils auch deutsch, weswegen er eher wie ein Mitteleuropäer als wie ein Orientale aussieht. Geschrieben wurde dieses Buch in englischer Sprache und (wenigstens anfangs) in keinem arabischen Land verlegt, sondern im Westen, in New York, wo man dann darauf abhob, es mit einer „originalen“ Stimme zu tun zu haben. Saleem Haddad hat in Jordanien, im Irak, in Jemen für „Ärzte ohne Grenzen“ gearbeitet. (Wo der Arabische Frühling auch nicht war.) Aufgewachsen ist er (als Flüchtling) in Kuwait, Jordanien, Zypern, dann in London. Heute lebt er in Lissabon mit seinem Partner. Er ist einer dieser globalen In-People, inzwischen eher Filmer als Schriftsteller. Sein Studium war nicht wie Rasas in den USA, als sie von den Anschlägen getroffen wurden, sondern später und in Kanada. Eine Sache, die ich unbedingt im Gedächtnis zu behalten bitte: Rasa, seine schwulen, lesbischen und bisexuellen Freunde und auch die Arbeitskollegen leben alle nicht in den Vorstädten der Armen, Ungebildeten, Arbeitslosen, Chandenlosen, sondern in hübschen, friedlichen, sauberen Siedlungen mit kleinen Häusern, die den Familien seit Jahren gehören und von allerlei Personal in Schuss gehalten werden. Über dieses Personal gibt es keine Verbindungen zu Islamisten oder revoltierenden Jugendlichen, denn das sind Expats, Gastarbeiter aus Sri Lanka, Indonesien, von den Philippinen. Man muss Haddad zugute halten, dass er an keiner Stelle des Buchs vorgibt, er hätte sich selbst je in einer lebensgefährlichen Situation befunden, etwa weil Soldaten oder Polizisten ihn von einem Platz geprügelt und in Massenhaft genommen hätten. Über ein : „Lass uns zur Demo gehen!“ kommen Haddads Figuren nie hinaus. Sie tun das dann nicht, sondern sie haben ihr „Guapa“, ein Lokal mit einer lesbischen Wirtin, das erst mitten in der Nacht, wenn der normale Teil im Erdgeschoss geschlossen ist, zu einem nirgendwo beworbenen Queer Club im Keller mutiert. Allerdings bekommt das „Guapa“ niemals die Bedeutung, die man sich hätte erwarten können, nachdem es dem Buch immerhin den Namen gab. Den Part des flamboyanten Außenseiters und Paradiesvogels, der sich seines Lebens nicht sicher sein könnte, wenn einige Leute dort oben in den hellen Stunden der Metropole wüssten, wie dieser Typ sich nächtens aufführt, hat Haddad Rasas Jugendfreund Maj zugedacht, aus dem inzwischen geworden ist, was man eine Trans-Frau nennen dürfte. Rasa und der Autor nennen es allerdings nie so, sondern lassen diese Figur ganz allgemein für feminine Schwule stehen. (Zu denen der angepasste Akademiker Rasa mithin nicht zählt.) Maj singt und tanzt in Frauenkleidern im Keller des „Guapa“ und stellt die legendäre Umm Kulthum dar, eine in der islamischen Welt verehrte Ägypterin, 1975 im Alter von etwa 80 Jahren verstorben, schon in den sechziger Jahren von Bob Dylan bewundert. Mehr, was Queeres angeht, passiert erst mal nicht. Schon gar kein Sex. Der war vielmehr kurz vor dem Einstieg ins Buch zwischen Rasa und seinem Freund im Haus der Großmutter vorgefallen. Das ist für große Teile des Buchs die Katastrophe. Die Großmutter hat etwas mitbekommen und will endlich eine Braut sehen. Rasas schwuler Freund hat schon eine und wird sie an diesem Tag heiraten. Sie werden sich bei der Hochzeitsfeier noch sehen, aber sie dürfen nicht mehr sprechen. Rasa schickt SMS und will telefonieren, der Freund drückt ihn weg. Das Buch ist nicht übel geschrieben und schon auch ehrenwert, aber es ist definitiv zu lang mit seinen fast 400 Seiten, kurz gesagt: oft deutlich langweiliger, als es wäre, hätte ein wirklich guter Autor es verfasst. Die Frequenz der Höhe- bzw. Wendepunkte hält sich in überschaubaren Grenzen auf. Was ich in den Rezensionen deutschsprachiger Kritiker, die ich im Internet finden konnte, nie angesprochen fand, ist die durchtriebene Schlauheit, mit der es Teil-Geschichten aneinander kleistert bzw. sich überschneiden lässt, die an sich nicht das Geringste miteinander zu tun haben. Was haben Rasas erotische Abenteuer als Student in einer vom Fall der Twin Towers geschockten USA mit Majs Schikaneerfahrungen seitens einer Polizei zu tun, die demnächst gegen Islamisten eingesetzt werden wird? Was die lesbische Freundin mit der Feigheit Taymours, des Lovers, der demnächst Kinder zeugen wird? Was denn all dies mit einem Bild vom Arabischen Frühling? Den ersten heimlichen Sex hatte der 14-jährige Rasa mit einem verheirateten Taxifahrer. Und bei Heimlichkeiten ist es geblieben in einem Land, wo jeder gesunde Mann verheiratet sein muss. Es gibt keine Generation, die daran was zu ändern gedächte, es gibt nur dieses kleine Versteck des „Guapa“, Musik und Alkohol. Wenn Rasa als Übersetzer für ein westliches Kamerateam in ein Armenviertel fährt, wo man die kommende Gewalt fast schon riechen kann, wird er dort von den Menschen ins gemeinsame Gebet gezwungen, er sei immerhin Muslim und respektiere die Familie. Rasas Vater ist Arzt gewesen und vor Jahren am Krebs gestorben. Rasas Großmutter, Teta genannt, und seine Mutter haben sich jahrelang bekriegt. Bis die unter Depressionen leidende Mutter, eine Alkoholikerin, davongelaufen ist. Teta ist mit ihm in die (vielfach so benannten) „westlichen Vororte“ gezogen, damit, wie Rasa glaubt, er der Mutter nirgendwo mehr begegnen kann. (Dass es sich bei der Familie des Arztes um keine normale muslimische Familie gehandelt hat, ist dem Fakt zu entnehmen, dass Rasa keine Geschwister hat. Thematisiert wird das nicht.) Die Rahmenhandlung des Romans läuft in 24 Stunden ab, beginnend mit dem Morgen, als Rasa erfährt, dass Maj gestern festgenommen wurde, dazu, dass seine Großmutter von der Nacht mit Taymour Kenntnis hat. Er versucht Kontakt zu Taymour und zu Maj herzustellen, trifft ihn auch mal kurz. Abends wird Hochzeitsfeier sein. Tagsüber geht es mit den Journalisten in einen sonnenglühenden Vorort zu den trauernden Eltern eines Märtyrers. Der Name der Großstadt wird nie genannt. Es handelt sich um ein Hybrid aus, vor allem, Damaskus in Syrien und Kairo in Ägypten. Da ist von Bergen die Rede, wo die Islamisten den Bürgerkrieg vorbereiten. Sie liegen nordöstlich, also weder für Kairo noch für Syrien zutreffend. Es wird von einem allseits geliebten autokratischen, laizistischen Präsidenten gesprochen, Assad vielleicht, dann von der kommenden Machtübernahme der Islam-Bruderschaft, vom Respekt für englische Medien, offenbar doch Ägypten. Wirklich zufrieden mit so viel Unschärfe können nur die Queeren im Westen werden, denen das alles - mehr oder weniger - dasselbe ist. Hauptsache jemand sagt uns, die muslimische Jugend würde auf Liberalität der Lebensformen drängen. Die besten Seiten befinden sich in der Mitte des Buchs innerhalb der Rückblenden zu Rasas amerikanischer Studienzeit nach dem Jahr 2000. Er lebt ganz isoliert, Lernen, Wäschewaschen, Essen, Schlafen. Dann taucht ein bizarres Mädchen auf, das seine Homosexualität nicht mitgekriegt hat, selbst einen bedrohlichen Obdachlosen bei sich beherbergt und diesen eine Zeitlang zu Rasa auslagert. Nach 9/11 kommen ihm Unbekannte entgegen, schütteln ihm die Hand, versichern, sie würden ihn jetzt nicht etwa hassen. Er lernt einen bisexuellen Arabo-Amerikaner kennen, Dandy auf seine Art, zuerst noch mit einem Ring in der Lippe, dem Sex nicht abgeneigt, mit der Zeit zum Salafisten bekehrt, den Bart tragend, absolut keusch. Das enthält eine gewisse Komik. Man fragt sich, wie viel davon der Autor irgendwo erlebt haben könnte. Vor allem fragt man sich, was es mit einem „schwulen Buch zum Arabischen Frühling“ zu tun haben könnte. Aber das Beste dürfte schon sein, man fasst diesen Roman, wider alles Geschwätz der Journale, als solches einfach nicht auf. Die Rezensentin der NZZ urteilte 2017: ein eindringliches Debüt Die Rezensenten von FAZ, FR, SZ, taz, NZZ hielten das Buch für überragend gut gelungen. Ich nicht. Manchmal wünschte ich mir, dass solche abweichenden Meinungen später noch einmal zur Kenntnis genommen werden, wenn der Staub der Tage sich gesetzt hat und man Bücher nach ihrer literarischen Klasse beurteilen darf statt nach humanistischen Wunschfantasien, das Kommende des Weltgeschehens betreffend. ...more |
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Nov 14, 2024
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Kleiner Ort im südenglischen Devon, 1928 und 1929; Genre: Kriminalroman, aus der Sicht des Mörders erzählt. Was für eine Qual! Das Buch ist so dermaßen Kleiner Ort im südenglischen Devon, 1928 und 1929; Genre: Kriminalroman, aus der Sicht des Mörders erzählt. Was für eine Qual! Das Buch ist so dermaßen vorhersehbar, dabei so ausführlich und ausschweifend erzählt mit seinen Selbstgefälligkeitsorgien des frauenmordenden Protagonisten, dass ich es bald nicht mehr lesen wollte, zumal mein Goldmann-Taschenbuch viel zu eng gedruckt war, wohl um Papier und Druckzeit zu sparen. Es ist keineswegs so, als ob nicht schon andere Leser das für Goodreads gesehen hätten: „remarkably slow-moving“ und „misogynic“ lese ich da. Allerdings wurde das Buch immer wieder aufgelegt, hat viele Menschen in seiner Verfilmung erreicht und stellte zu seiner Zeit eine kleine Sensation dar, weil der Mörder auf der ersten Seite bekannt gegeben wurde. Anschließend aber nicht der Mord kam, sondern erst einmal sehr gründlich beschrieben wurde, wie dieser Mörder, ein praktischer Arzt, unter seiner herablassenden Ehefrau sowie unter dem Geschwätz und den Launen zahlreicher anderer Damen, die sich für die Top Society eines idyllischen Dorfes halten, leidet. Auch auf dem Umschlag meiner Ausgabe wurde frech behauptet, es würde sich um einen der zehn besten Krimis der Weltliteratur handeln. Solche, irgendwann irgendwie plausibel gewesenen Einordnungen verfestigen sich und werden, wie ich vermute, von Leuten weitergegeben, die überhaupt nur die ersten und letzten Seiten eines Romans selbst gelesen haben. Dies führte bei mir dazu, dass ich die Zähne zusammenbiss und bis ans Ende durchhielt. Ich wollte mir nicht nachsagen lassen, du hast diese drei Buchstaben DNF und einen Stern hinterlassen, aber du hast viel zu schnell aufgegeben, du kennst nicht das Ganze! Bloß: Das Ganze wurde so, wie ich es mir vorher ausgemalt hatte. Warum sehen wir es nicht ein? Dieses Buch langweilt ungeheuer, sobald man drüber hin weg ist, dass es zwei, drei raffinierte Ideen für sich verbuchen kann. Dr. Edmund Bickleigh hat, aus gesellschaftlichen Gründen, um sich als junger Arzt etablieren zu können, eine Frau von edler Herkunft und einigem Vermögen geheiratet, mit der ihn niemals Gefühle verbanden. Allenfalls Ehrfurcht vor ihrer kalten Rationalität und ihrer Herrschsucht. Er hat sich in diverse sexuelle Abenteuer mit jüngeren Frauen seiner eigenen Gesellschaftsschicht gestürzt, die jeweils mit Schwärmerei beginnen und mit Überdruss und Migräne enden.Zu diesem Landleben gehört, dass seine Frau wie eine Regentin über Nachmittagseinladungen gebietet, bei denen Edmund als ihr Butler fungiert. Allerdings tut sie, als würde sie nicht merken, dass er die meisten eingeladenen Frauen recht gut von gewissen Autoausfahrten kennt. Nachdem er bei einer abgeblitzt ist, von der das allgemeine Gerücht länger schon glaubte, er treibe es mit ihr, entbrennt er noch am selben Nachmittag in heißer Liebe für die neu zugezogene Madeleine. Diese, immer etwas überkandidelt, hält ihn mit einer heimlichen, keuschen Liebschaft hin, bis die Situation mit seiner Frau Julia geklärt werden kann. Dass er sie ermorden wird, hat uns der erste Absatz des Buchs verraten. So konzentriert geht es allerdings mitnichten weiter. Vielmehr wissen wir zig Seiten lang noch gar nicht, wie er das anzustellen gedenkt und kennen auch nicht den konkreten Auslöser zum Mord. Was wir stattdessen zu lesen bekommen, ist die allseitige Bloßstellung sämtlicher Figuren dieses Romans als eitle, selbstsüchtige, illoyale Dummköpfe und Klatschbasen. Die Verachtung seiner Mitbürger oder jedenfalls so ziemlich jeden Angehörigen seiner eigenen Klasse muss bei Anthony Berkeley Cox enorm gewesen sein. So nämlich hieß der Autor wirklich und unter den ersten zwei Bestandteilen des Namens zeichnete er für die Mehrzahl seiner Bücher, nicht für dieses. Er wurde ziemlich alt, lebte bis in die 1970-er Jahre, schrieb Krimis aber nur zwischen Mitte der zwanziger Jahre und dem Zweiten Weltkrieg. In dieser Phase allerdings eine ganze Menge, die auch verschiedentlich ganz schön erfolgreich waren. In späteren Jahren arbeitete Cox als Journalist für angesehene englische Zeitungen. Ich bin ja nicht der Ansicht, dass es in jedem Buch wenigstens eine Figur geben sollte, die man nett findet und mit der man sich identifizieren kann. Aber wenn dann alle herzlose, eingebildete Provinz-Snobs sind, sollte man den Mörder doch vielleicht bewundern können für Kaltschnäuzigkeit und die Risiken, die er eingeht, mit denen er lange davonkommt, weil er die Schachzüge der Verfolger genau voraus kalkuliert hat. Aber hier im Buch sind alle die eine Hälfte der Woche so, die andere genau anders, Sie fangen Liebschaften aus Langeweile und wegen dem Sex an, hassen den Geliebten, sobald er gewechselt hat, lassen ihn fallen, wollen ihn töten, werden überraschend und unabsichtlich von ihm gerettet, beschließen sofort, ihn nunmehr doch zu heiraten. Bzw. die zu ermorden, die sie vorige Woche noch heiraten wollten. Dr. Bickleighs Frau verspricht ihm erst, sie werde seine Affäre mit Madeleine ignorieren, wenn sie ein Jahr lang nicht „vollzogen“ werde und sie danach noch heiraten wollten. Dieses Versprechen zieht sie zurück. Bickleigh beschließt, sie zu ermorden. Als Arzt kennt er ein Medikament, das aus dem Markt genommen wurde, weil es Kopfschmerzen verursacht. Er verabreicht es ihr und gewöhnt sie an Morphium als Gegenmittel. Als sie süchtig ist, sorgt er dafür, dass einige Leute davon erfahren. Als sie stirbt, war es eine Überdosis, die sich die Kranke selbst gespritzt hat. Madeleine wurde unterdessen aber eine Liebschaft mit einem anderen nachgesagt. Sie dementiert zwar heftig, heiratet diesen Mann aber dann doch, nachdem Bickleighs Frau gestorben ist. Der Mörder war so genial, ihr zu sagen, dass Julia tot sei, zu einem Zeitpunkt, als die Leiche noch von niemandem entdeckt worden war. Bickleigh lebt eine Weile einsam und keusch, kehrt dann zu der Frau zurück, der er vor Madeleine die Ehe versprochen hatte. Diese heiratet dann doch einen anderen. Als sie ihm von der heimlichen Beziehung zu Bickleigh erzählt, wird er eifersüchtig und setzt Scotland Yard auf den für Unfall erkannten Todesfall wegen einer Überdosis an. Erneut ist Bickleigh genial und von seiner Überlegenheit so überaus überzeugt, dass er den Inspektor alle seine Räume durchsuchen lässt, obwohl es keinen Hausdurchsuchungsbefehl gibt und der Doktor genau weiß, dass irgendwo im Haus ein Labor versteckt ist, in dem er seine tödlichen Waffen gegen Madeleine, deren Gatten und den Gatten seiner vormaligen Geliebten züchtet. Offenbar ist der Autor Cox (oder Iles) derselben Schwäche von Großmannssucht unterlegen wie sein Protagonist. Er glaubt, eine ziemlich dröge Geschichte immer noch in ein Meisterwerk verwandeln zu können, indem er noch was und noch was und dann noch mal was, alles immer von derselben Struktur, hinzuerfindet. Dabei war doch klar, nachdem erst mal verständlich geworden war, wie Bickleigh seine Frau zu töten gedenkt und welchem unmittelbaren Anlass folgend, - was, wie gesagt, erst nach zig Seiten Buch der Fall sein wird -, dass A) die Frau sterben wird, B) der Mörder nicht in alle Ewigkeit davonkommen kann, er C) ziemlich sadistisch und verrückt ist und auf irgendeine Weise wohl selbst zu Tode kommen wird. Wenn man genau dieses A – B – C dann 200 Seiten lang auswalzt, ist das kein Meisterwerk, sondern tödlich langweilig. ...more |
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Nov 13, 2024
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Wir erhalten hier ein Buch vom Bock, den man zum Gärtner machte. Jochen Schubert hat auch die Rowohlt-Monographie über Heinrich Böll geschrieben und z
Wir erhalten hier ein Buch vom Bock, den man zum Gärtner machte. Jochen Schubert hat auch die Rowohlt-Monographie über Heinrich Böll geschrieben und zusammen mit Böll-Neffe Victor die dtv-Biografie. Schubert war Herausgeber der Kriegsbriefe Bölls und ist Mitherausgeber der Kölner Werkausgabe im Kiepenheuer & Witsch Verlag. Jedenfalls ist er jemand, der 100 Seiten über den Kölner Nobelpreisträger verfassen kann, ohne auch nur mit einem Halbsatz mal zu erwähnen, dass irgendwer Heinrich Bölls überragende Bedeutung für die deutsche Literaturgeschichte anzuzweifeln gewagt hätte. Die einzelnen Werke Bölls werden chronologisch kurz angerissen, ihre Rezeption zusammengefasst. Es fällt auf, dass Schubert vergleichsweise wenige Seiten den Erzählungen, Hörspielen, Romanen widmet, dagegen schafft er viel Raum für die Figur Böll als katholischem Humanisten, zeichnet öffentliche Auftritte und deren Resonanz in der Gesellschaft über viele Jahre nach. Robert Gernhardt hat gedichtet: Der Böll war als Typ wirklich Klasse. Da stimmten Gesinnung und Kasse. Er wär' überhaupt erste Sahne, wären da nicht die Romane . Bei Schubert kulminiert das heroische Leben nicht etwa im Nobelpreis oder bei der Aufnahme des aus seiner Heimat vertriebenen Alexander Solschenizyn, den Protesten gegen die Nachrüstung der US-Armee in Deutschland mit Atom-Langstreckenraketen, sondern beim ominösen „Spiegel“-Artikel des Jahres 1971: „Soviel Liebe auf einmal. Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit?“ Als für seine moralische Integrität weltweit geachteter Intellektueller hatte Böll sich aufgerufen gefühlt, gegen das öffentliche Klima, namentlich gegenüber „Bild“ auf Fairness und Bürgerrechte für die des politischen Terrorismus angeklagte Ex-Journalistin Ulrike Meinhof zu bestehen. Böll warnte davor, die RAF als tollwütigen Haufen von „Ballerideologen“ zu dämonisieren. Dem schlossen sich jahrelang anhaltende Gehässigkeiten von Seiten der Springer-Presse an sowie eine polizeiliche Hausdurchsuchung bei Familie Böll. Es war und bliebt korrekt, vor diesem kritischen Geist und seiner Zivilcourage Achtung zu empfinden, jedoch wäre Schuberts Aufgabe, so viele Jahre nach dem Tod, doch wohl eher gewesen, Heinrich Böll als Schriftsteller, also über seine Arbeit, einzuordnen. Schubert hat sich für Heiligenrettung entschieden und lenkt das Interesse seiner Leser entsprechend. Georges Bernanos, Charles Péguy, Léon Bloy, Francois Mauriac, Paul Claudel sind französische Autoren, die in Deutschland nie besonders prominent und beliebt waren. Sie stellen die für Frankreich bedeutsame katholische Erneuerungsbewegung der dreißiger bis fünfziger Jahre dar, wurden von Böll eifrig rezipiert, bilden die Grundlage seines Schreibens. Das ist genau der Stoff, um den sich Schuberts Buch dann gerne dreht. Oder auch die Kriegsjahre des Soldaten Böll, über dessen Nach-Hause-Schicken requirierter Privatgegestände aus deutsch besetzten Gebieten er sich allerdings ausschweigt. All das bildet keine Antwort auf die Frage, wie gut dieser weltbekannte deutsche Schriftsteller Böll im Kontext der Literatur der siebziger Jahre gewesen ist. Ein erster Schwerpunkt liegt bei der Trümmerliteratur, zu der sich der junge Böll ausdrücklich bekannt hat. Es folgt sein allmählicher Übergang von der Mitleidschreibhaltung der Notzeit hin zu einer mehr kontroversen Infragestellung der - von ihm unterstellten - rheinischen Allianz aus Großbürgertum und katholischer Kirche. Dass Heinrich Böll damals auch gewaltig gegen die Bundeswehr als Teil einer friedensgefährdenden Restaurationspolitik ins Horn stieß, lässt Schubert pietätvoll wegfallen. Ich fand nichts über Bölls kurioses und groteskes Verständnis von Realismus. Er hat behauptet, jede Literatur müsse aus konkretem Miterleben wachsen, schreibt in den Einzelheiten seiner Werke allerdings fast nie etwas Dokumentarisches, Nachprüfbares, von ihm tatsächlich auch Recherchiertes. Vielmehr fabuliert er drauf los. Legendär seine bizarren Personennamen wie Bur-Malottke und Schneckenröder. Hieß jemals wer im Eifelvorland so? Er war wohl einigermaßen „versponnen“. Er ist seine eigene Art von medialem Ereignis gewesen mit diesen überaus vielen Interviews, Debattenbeiträgen, Reden in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen. Welcher nach Grass und Walser, also nach Helmut Kohl geborene deutschsprachige Autor hat sich noch mal so im Schein der ihm zugereckten Mikrofone sonnen dürfen? Versunken nach Zigarette und Feuerzeug kramend, zögernd Satzgebirge auftürmend, die dann wirklich irgendwo noch ankamen. Heute würde ihn niemand aussprechen lassen. Vielleicht im Friedensgebet zur Abendstunde der Kirchengemeinde noch. Ich habe mir einiges im Hörbuch angehört und ich darf sagen, so knarzig sie kamen, sonderlich Exaktes und Luzides bekam ich von ihm nicht. Aber natürlich Menschlichkeit unentwegt, Achtsamkeit, Werte. Ich wage die steile These: Man hat sich diese Gestalt gehalten, damit man selbst sich sparen konnte, so auch zu sein. So wie in den Jahren 2018 und 2019 plötzlich ganz, ganz viele „Die Grünen“ wählen wollten (deren Stiftungspate er bis heute ist), sodass man von der neuen Volkspartei zu sprechen begann – und 2023 und 2024 fast niemand mehr, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Grünen „an unserer Stelle“ die Klimakatastrophe nicht aufhalten, sondern dass wir selbst es wären, die etwas von unserer Kaufkraft abgeben müssten. Jochen Schubert nehme ich übel, dass er die Lichtgestalt nicht ein einziges Mal hinterfragt, sich brav daran abarbeitet, sie zu legitimieren und weiter zu tradieren. Bei Schubert lese ich, dass Böll sagte, nicht etwa nur die Schriftsteller, sondern überhaupt jeder Einzelne, der auch nur einen Satz aufschreibe, stehe in moralischer Verantwortung, denn jeder Satz, allein schon durch die dafür aufgewendete Zeit, stelle einen Eingriff in den Ablauf der Welt dar, dann lese ich bei Schubert, dass das eine großartige Bemerkung gewesen sei. Eine ziemlich selbstgefällige, möchte ich sagen. Ich sehe Literatur immer als tendenziös, da sie für den Menschen geschrieben und auf ihn bezogen ist. Es gibt oberflächlich tendenziöse Literatur, die weit weniger bewirkt als möglicherweise irgendein Klassiker, den ich heute noch einmal lese und mir aktualisiere. Wenn ich heute wieder bestimmte Romane etwa von Zola - Tendenzromane - lese, die schon Klassiker sind, dann entdecke ich eine permanente Aktualität, die mir oft mehr einleuchtet als irgendeine sehr tendenziös geschriebene aktuelle Reportage. Auch Goethe war tendenziös. Tendenz bedeutet ja Richtung oder Neigung auf etwas zu, etwa auf eine Blume hin oder die Pershing-Rakete - beides ist tendenziös. Diesen Begriff empfinde ich als nicht im geringsten negativ, ich behaupte, nochmals, daß alle Literatur tendenziös ist - gespannt auf den Menschen und seine Existenz hin....more |
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Der Detektiv wird gleich zu Anfang von zwei Autos über- bzw. angefahren, überlebt und wird des Mordes an einem von ihm verachteten Mann verdächtigt, i
Der Detektiv wird gleich zu Anfang von zwei Autos über- bzw. angefahren, überlebt und wird des Mordes an einem von ihm verachteten Mann verdächtigt, in dessen Keller er neben dessen mit einem Küchenmesser malträtierter Leiche aus Bewusstlosigkeit erwacht war. Der Verdächtigte. Leonidas Witherall mit Namen, aber von allen sofort Bill genannt, weil sein Kopf genau wie der von Shakespeare aussieht, vor allem dessen Barttracht betreffend, von der er auch nicht lassen will, als die Polizeitruppe des Bostoner Gartenstadt-Vororts Dalton hinter ihm her ist, war zuletzt Englischlehrer an einem Knaben-Internat, schreibt heimlich auch noch Superman-Romane mit einem Helden, der Amerika vor Außerirdischen beschützt. Das wissen die Leute nicht, aber alle kennen diese Abenteuer und orientieren sich an ihnen beim Kampf gegen das Verbrechen, auch Witherall selbst. Der nicht nur sich selbst verteidigen muss, sondern auch den jungen Beau, den der Ermordete kurz vor der Tat in der Nacht telefonisch einbestellt hatte, um ein Geschäft mit unbekanntem Inhalt einzufädeln, dabei schon eine große Gefahr andeutend. Der junge Vermögende, der Witherall bzw. Bill aber anscheinend auch überfahren hat, er zumindest unwillentlich, dessen Wagen anschließend geklaut wurde, wird von einem Gerichtsboten gejagt, der ihm eine Gerichtsvorladung zustellen will. Eine zeitweilige Freundin hat ihn wegen Vorspiegelung eines Eheversprechens angezeigt und verlangt saftigen Schadenersatz. Witherall, also Bill, der ein ruhiger, sehr freundlicher, hilfsbereiter Herr ist, dabei vor allem mit den erstaunlich vielen Frauen dieses Falles immer ganz schnell ein Herz und eine Seele, dabei schon immer unverheiratet und gewiss ohne irgendwelche erotische Interessen, Bill also will dem Verfolgten helfen. Namen all dieser Personen zu nennen erübrigt sich, sie tragen im Verlauf eines langen, hier gerade erst heraufdämmernden Märztages nämlich alle noch ganz andere, weil sie von Überraschungsbesuchern aufgescheucht werden und, weil die Polizei sie verfolgt, ihre neuen Helfer sie als jemanden anderen einkleiden und ausgeben. (Bill trägt zwischendurch einen Overall, der nach Hamburgerbraterei riecht und wird im Wöschekorb versteckt.) Dieses turbulente Buch ist von einer derart überdrehten Fröhlichkeit, dass man es auf keinen Fall allen empfehlen kann. Man könnte es schon auch hysterisches Späßchen-Feuerwerk nennen, bei dem der Krimi-Plot in sich zwar zu stimmen scheint, wenn man's recht bedenkt, was allerdings schwerfällt, aber in den Hintergrund gerät gegenüber einer Art Kinder-Fasching lachlustiger Seelen. Das bitte nicht überlesen, sondern sich zu Herzen nehmen: Es ist 1942 und alles andere als Film-Noir-Atmosphäre, es ist blanker Wahnsinn und Screwball Comedy in Neuengland. „Bringing Up Baby“ etwa, also „Leoparden küsst man nicht“. Alles ist künstlich und bühnenhaft. Man stelle sich den Film „Arsen und Spitzenhäubchen“ als Roman vor, dann hat man es. Der Polizeichef von Dalton stellt sich als anonymer Pächter eines Landgutes heraus, das als Bauerwartungsland Gold wert ist, von ihm aber nicht hergegeben werden will, aber, stellt sich auch raus, längst Witherall gehört, der bis zu diesem Tag nichts davon wusste. Der Polizeichef hat seinen freien Tag, weiß nichts von einem Mord, wegen dem seine Truppe diesen Boston-„Bill“ jagt, den die Schwester des Polizeichefs, mitsamt seinen neu gefundenen Freunden, vor den Coppers verstecken muss, die vor der Tür stehen. Männer lassen sich lang auf den Teppich fallen und sprechen kein Wort mehr, weil sie sich in einer wie Hühner durcheinander gackernden Frauenclique nicht durchsetzen können. Opa Polizeichef baut mit dem Enkel eine spanische Galeone zusammen, während einer seiner besten Männer im Keller, in der Speisekammer gefesselt und geknebelt liegt. Der Mörder verspeist eine Dose Sardinen und Crackers, bevor er sich sein Alibi verschafft, dadurch allerdings Spuren hinterlassend, die „Bill“ einen seiner blitzgescheiten Schlüsse ziehen lassen. Derselbe Bill hat sich am Vormittag in einem kulturellen Damenverein für den vermissten Vortragenden zum Thema „Shakespeare als solcher“ ausgegeben und wäre durchgekommen, wenn nicht eine alte Puritanerin ihn anhand seines Bartes erkannt und mit der Anschuldigung, er hätte ihr Gewalt anzutun versucht, laut plärrend festgehalten hätte. Dabei wartet im Hof einer der neuen Freunde, ein Dieb, der Witherall am frühen Morgen unter dem Auto hervorgezogen hatte, bevor er das andere, das schon mal erwähnte Auto in einer nahe gelegenen Seitenstraße gestohlen hat. Ihn wiederum hat die Schwester des Polizeichefs als Mister Soundso verkleidet, aus seiner Verlobten hat sie ihr eigenes Dienstmädchen gemacht. Und alle zusammen und noch ein paar suchen einen Mörder, dessen Motiv ich jetzt schon wieder vergessen habe. Es ist speziell, überzüchtet, möglicherweise schlicht Käse, falls man den Humor nicht teilt. ...more |
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Die richtigen Autoren scheinen es zu sein: Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Peter Altenberg, Alfred Polgar, Anton Kuh, Karl Kraus, Joseph Rot
Die richtigen Autoren scheinen es zu sein: Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Peter Altenberg, Alfred Polgar, Anton Kuh, Karl Kraus, Joseph Roth, Stefan Zweig, Robert Musil, Hermann Broch, Elias und Veza Canetti, Ilse Aichinger, Hilde Spiel, Ernst Jandl, H.C. Artmann, André Heller, Christoph Ransmayr, Josef Haslinger, Robert Menasse. Aber das Buch aus der Fischer-Taschenbuch-Reihe „... erzählt“ zündet nie wirklich. „Australien erzählt“, „China erzählt“, „Kalifornien erzählt“, „Dänemark erzählt“, „Ungarn erzählt“. Früher spielte ich mit Gedanken, derlei Reihen komplett zu sammeln. Mittlerweile hat sich das erledigt; die von der Holtzbrinck-Gruppe übernommenen Fischer Taschenbücher haben ihre Länderreihe der Erzähler nicht mehr (die Märchenreihe, zuvor auch durch Jahrzehnte ein Markenzeichen, führen sie einstweilen noch). Ferdinand von Saar, Richard von Schaukal, Alexander Lernet-Holenia, Heimito von Doderer, Friedrich Torberg, Gregor von Rezzori, Konrad Bayer, Oswald Wiener, Wolfgang Bauer, Georg Kreisler, Helmut Qualtinger, Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Marlene Streeruwitz glänzen durch Abwesenheit. Aber daran liegt’s nicht. Auch nicht daran, dass „Welches Wien ist hier im Sinn?“ mit: „Das der Jahre zwischen 1893 bis 1933, etwa“ beantwortet wird. Tatsächlich scheint Wien von jener Ära seiner Geschichte doch keinen Abschied zu finden. Auch die Herausgeberin muss nicht von vornherein falsch ausgewählt gewesen sein. Sie, Jahrgang 1954, hatte über die Wiener Literaturszene der siebziger Jahre promoviert und auch schon die vergleichbaren Sammlungen „Österreich erzählt“ und „Türkei erzählt“ verantwortet. Aber so dieses gewisse Händchen für Pflichtübungstexte ist ihr halt Eigen. Also Karl Kraus über Droschkenkutscher, Ernst Jandl beim erbarmungslosen Durchexerzieren seines Satzbau-Sprachspiels (welches sagt, dass er einmal in Wien ist und einmal auch nicht, dann aber wieder), Josef Haslingers Erinnerung an eine putzende Frau, die er oft gesehen, nie angesprochen hat. Es sind halt kurze Texte und diese Namen sollten auf jeden Fall irgendwo drin sein im Buch. Von Joseph Roth die 53 Seiten („Der blinde Spiegel“) müssen irgendwo von was Griffigerem ja auch noch ausbalanciert werden. Aber definitiv, viel zu vieles erweckt einen Eindruck nett gepflegter Langeweile. Bisher hat es nie jemand interessiert, aber jetzt ist es über Wien, kurz und von einem bekannten Namen. Vielleicht sollte man Anthologien auch gar nicht lesen, sondern nur im Regal stehen haben. Vielleicht sollte man den „Leutnant Gustl“ oder die „Traumnovelle“ erst einmal nur für sich und komplett lesen. Und nicht so was, das ihnen das Schaumgebäck von Stefan Zweigs „Praterfrühling“ vorzieht. Selbst ein durch und durch verlogener Schriftsteller wie John Irving scheint uns (in der Rückschau) in „Das Hotel New Hampshire“ mehr Einsichten über die Gründe und Abgründe von Wien vermittelt zu haben als diese Anthologie. Anton Karas! Hans Moser! Toni Stricker! Spielt’s auf! Damit a Musi is! Allerdings, Christoph Ransmayrs „Auszug aus dem Hause Österreich“, eine Reportage aus Enzensbergers Zeitschrift „Trans-Atlantik“ über eine Buspilgerreise zu Österreichs letzter (damals noch) lebender Kaiserin Zita, 1982 zu deren Schweizer Exil, sie war neunzig, die ist amüsant gelungen. Willy, der Prinz, war ein Anführer, der allen entsprach. Er kannte alle Burgen und Schlösser, die entlang der Reiseroute in die Landschaft ragten. Einmal fuhr er im ersten, dann wieder im zweiten Bus mit, man wechselte sich im Interesse der Ausgeglichenheit ab, er kannte auch die Bewohner der Schlösser und wurde nicht müde, ihre Familiengeschichten über die Lautsprecheranlage des Reisebusses zu verkünden. „Hier“, hatte er, nur ein Beispiel, irgendwo auf der Westautobahn nach Salzburg gesagt, „sehen Sie Burg Seisenegg; dort lebt die Baronin von Riesenfels, leider in geistiger Umnachtung, taub und blind.“ Ein anderes Mal wiederum, dreißig oder vierzig Kilometer westlich der verfallenen Burg Seisenegg, hatte der Prinz in die Landschaft gezeigt und war sehr, sehr stolz gewesen: „Und hier lag meine Schwadron in Reserve.“ Ein fabelhafter Reiseleiter. Ihre Durchlaucht, ein ältlicher Mann im Steireranzug und mit sorgfältig zurechtgestutztem Schnurrbart, war schließlich nicht nur Nachkomme des fanatisch reisenden Grafen Hans Wilczek, sondern auch „Wiener Landesobmann“ jener „Internationalen Paneuropa-Union“, der Herr Erich Feigl als Bundesobmann und Ihre Kaiserliche Hoheit Otto von Habsburg, erstgeborenes von acht Kindern der Kaiserin Zita, als Präsident vorsaß....more |
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3863001508
| 9783863001506
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| 3.60
| 176
| 1966
| Oct 01, 2013
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Unbestimmbare Zeit in einem märchenhaft idyllischen Auenreich in den Bergen der US-Nordwest-Staaten; Genre: Mischung aus schwuler Hippieutopie, Porno
Unbestimmbare Zeit in einem märchenhaft idyllischen Auenreich in den Bergen der US-Nordwest-Staaten; Genre: Mischung aus schwuler Hippieutopie, Porno und Indianergeschichte Ein erstaunliches, äußerst kurioses, aber nicht wirklich bedeutendes Buch. In den neunziger Jahren wurde geschätzt, jeder dritte schwule Amerikaner hätte es irgendwann mal gelesen. Für die Deutschen hat man es Anfang der siebziger Jahre mit inzwischen ziemlich peinlich gewordener Witzelei voller anachronistischer Anspielungen auf das West-Deutschland der Vietnamkrieg-Jahre verschnitten und es als Porno-Winnetou unter dem Titel „Rote Männer auf grünen Matten“ ins Rennen geschickt . Von daher könnte gut und verdienstvoll von Joachim Bartholomae mitsamt seinem Hamburger Kleinverlag Männerschwarm gewesen sein, es 2013 endlich unverfälscht zu übersetzen und unter eher treffendem Titel noch mal zu starten. (Der Sterntaucher ist ein kleiner schwimmender Seevogel mit spitzem Schnabel, sieht so ähnlich aus wie eine Ente und bewohnt nördliche Regionen wie Tundra und Taiga. Im Buch spielt er keinerlei Rolle, ist allerdings das Wahrzeichen der Sterntaucher-Gesellschaft, die so etwas wie die Freimaurer auf Schwul darstellt. Überall, wo man hinkommt, trifft man auf freie Geister, nur Männer, sofort will jemand ficken mit einem. Noch mal: Das Buch ist zu guten Teilen ganz einfach Porno, dürfte den, der vor allem Porno lesen will, aber eher unbefriedigt lassen.) Mich hat das eher befremdet und einen Eindruck bestätigt, den ich angesichts des Männerschwarm-Programms immer wieder mal hatte: Man macht mal dies, mal das, hat keine Linie und gelangt nie zu einer treuen Stammleserschaft und zum eigenen Format. Zwar hat der aus Liebhaber- und Freundschafts-Projekten hervorgegangene Buchverlag der Hamburger schwulen Buchhandlung (deren Laden zuerst Männerschwarm hieß, im schwulen Kiez von St. Georg lag, heute nicht mehr existiert) für das unverblümt schwule, dabei niveauvolle deutsche Buch ab Mitte der neunziger Jahre 30 Jahre lang gut gearbeitet (dergleichen war zuvor ein paar Mal versucht worden, aber jeweils recht bald gescheitert). Aber das eine Mal waren seine Angebote so sperrig wie Essaysammlungen zum Werk Hubert Fichtes, die Titel wie „Der Platz des Platzes“ trugen und auf dem Cover einen Erhängten zeigten, dann wieder so fettig, saftig und knallig wie dieser Western-Porno oder die „Dicken Dödel“ des Zeichners Ralf König. Während es dem assoziierten Wolfram Setz, ehemaliger Buchhändler aus München und Berlin, gelungen ist, mit seiner „Bibliothek Rosa Winkel“ eine Art Museum vergessener schwuler Klassiker über Jahre hinweg für die zahlenmäßig begrenzte interessierte Kennerschaft bereitzuhalten (angestaubte Meilensteine von Heinrich Hössli, Karl Heinrich Ulrichs, Magnus Hirschfeld, Michail Kusmin, Pierre Loti, John Henry Mackay, Bruno Vogel, Hans Siemsen, Felix Rexhausen, Hubert Kennedy etc.) (diese Sammlung ist, wohlgemerkt, von „Rosa Winkel“ in Berlin begründet worden, von Männerschwarm, bzw. Bartholomae, nach dessen wirtschaftlichem Kollaps, erst übernommen worden), gelang Männerschwarm es an sich nie, irgendeinen von den großen Namen der weltweiten Homo-Schreiberei an sich zu binden. Sie hatten den besten Deutschen, Detlev Meyer, der starb an Aids, ich konzediere das. Das kriegten andere deutsche Verlage anders hin. Knaur pflegte Felice Picano im Taschenbuch, Goldmann holte Joseph Hansen und Argument nach ihnen dann auch – und Michael Nava gleich noch dazu. Edmund White und Hervé Guibert blieben bei Rowohlt, Fischer und Bertelsmann brachten uns Alan Hollinghurst, Hanser veranstaltete eine Gombrowicz-Werkausgabe, Suhrkamp schnappte Bartholomae den bei seinem eigenen „Literaturpreis der schwulen Buchläden“ aufgetauchten Gunther Geltinger weg. Als bedeutenden Stilisten konnte man den Kölner Walter Foelske beim Publikum nicht durchsetzen, er zog sich in ein pädophiles Selbstverlag-Ghetto zurück. Männerschwarm hatte mal Oscar Wilde und Ronald Firbank, mal Michael Sollorz und Yossi Avni. Gentleman-Dandy-High-Brow-Kunst mit spitzen Fingern. Sie holten Odd Klippenvag („Der Stand der Dinge“) und Sami Hilvo („Die Schnapskarte“) von Skandinavien herüber, konnten aber keinen in Zürich, Wien, München, Frankfurt, Dortmund oder Dresden auftreiben, der vielleicht zu einer Serie imstande gewesen wäre. (Männerschwarm-Auflagen und Verkäufe von Taschenbuch-Lizenzen waren wohl immer zu gering, die großen Buchhandelsketten listeten Männerschwarm nicht, ich konzediere das.) Auch die Skandinavier kamen auf nie mehr als ein, zwei Bücher in Deutsch, bei den von Piper eingebürgerten skandinavischen Krimiautoren sah das etwas anders aus. Mit dem schwulen US-Autor Peter Cameron brachten es Diogenes und Aufbau auf an die zehn Premiere-Neuerscheinungen in deutscher Sprache. Angesichts dieser Lage ein Buch zu „finden“, das fast 50 Jahre auf dem Buckel hatte, auch in USA der eine und einzige Titel geblieben ist, der an den Autor noch erinnert, einen Autor, der seit 30 Jahren tot war und es davor auf 53 Lebensjahre gebracht hatte, ein Buch, das von naivem Hippie- und Naturkult durchdrungen ist (Sex und Gras heilen jegliches Übel dieser Erde), dieses nenne ich ein bisschen weltfremd und crazy. „Richard Amory“ war ein dem wirklichen Namen nachgebildetes Pseudonym. Eigentlich hieß der Mann aus Oregon, Lehrersohn und später selbst Lehrer an einer Hochschule, Richard Love. Bücher veröffentlichte er nur zwischen diesem Debüt (1966) und 1974, er starb erst 1981. „Loon“, das er als verheirateter Mann und Vater von Kindern geschrieben hat, war ein so großer Erfolg, dass es schnell verfilmt und mehrfach parodiert wurde. Amory musste zwei Fortsetzungen nachschieben. Er trennte sich von seiner Familie, tat sich in San Francisco mit anderen schwulen Publizisten zusammen und bereitete die Gründung des ersten rein schwulen Verlags der Welt vor, die allerdings nicht zustande kam. Das Buch ist eine Art Road Movie ohne Auto. Man darf an „Easy Rider“ denken, vor allem an Dennis Hoppers Haarfülle und die Fransen seiner Wildlederjacke. Der junge Protagonist Ephraim McIver ist auf einer Wanderung durch die Wälder, die zugleich sein Coming of Age bzw. eine Art mittelalterlicher Aventiure-Fahrt darstellt. Die Unschuld verlässt ihre (weiße) Heimat, um zum Mann und zur anständigen Person zu werden. Er weiß nicht, was auf ihn zukommt, aber ständig kommt etwas auf ihn zu. Meistens ist das rot, hat einen Lendenschurz um und darunter einen großen, fleischigen Prügel hervorlugen. Wie in den meisten Pornos passiert eigentlich ständig dasselbe, wobei die Zahl der Anteil nehmenden Partner, die Längen der Anhängsel, die Tiefen der Hammerschläge immer extremer werden. Amorys Männer sind grundsätzlich aktiv und passiv zugleich, überhaupt nicht verschämt bei der Anmache, mit so ziemlich jedem sofort zur Sache bereit (Frauen und Kinder und Verpflichtungen zum Lebensunterhalt sind in den Ansiedlungen der Urbevölkerung mysteriös von der Bühne geräumt worden, dafür geistert ein bewusstseinserweiternder Schamane herum), machen es immer nur aus Liebe, von der sie auch viel sprechen. Es ist Utopie. Du siehst nach langer einsamer Wanderung einen Fremden, er ist jung und schön und du liebst ihn sogleich. Alle lieben alle, sodass sie nicht eifersüchtig sind, wenn ihr Letzter es mit dem Nächsten treibt. Es verdankt sich zum großen Teil den Mohikaner-Büchern von James Fenimore Cooper – also den Idyllen der Schäferdichtung und den Edlen Wilden der europäischen Aufklärung, dagegen nicht Old Shatterhand, Winnetou und Karl Mays verschwiemelter Homoerotik, auf die die deutsche Erstübersetzung fortwährend anspielen zu müssen glaubte. Es mixt das alles doch auch mit Deutschem, nämlich einer Portion Hermann Hesse. Womit wir bei „Easy Rider“ und Steppenwolf wären. Es ist veraltet, ganz aus der Zeit gefallen. Pornofans wird es nerven mit seinem Peace-and-Love-Gedöns. Heteromänner werden die Frauen vermissen und nicht glauben, dass man sich tatsächlich danach sehnt, geklopft zu werden wie ein Schnitzel in der Großküche. Dass Frauen es mögen könnten, scheint unvorstellbarer denn je. Sie werden es phallokratisch, sexistisch, rassistisch nennen. Den jungen Menschen von heute wird es wie schlaffe Warmdusche und Ganseblümchen-Schütteln von alten Kiffern erscheinen. Nur noch peinlich. (Ihr habt gesehen, bevor ihr diese Review von mir gefunden habt, dass nahezu alle anderen, die es besprochen und besternt hatten, Männer waren, weiß und kaum einer jünger als 35? Also, wenn ihr auch so seid, ich auch, dann lest es ruhig, es ist einigermaßen unterhaltsam – und irgendwann ein Durchbruch gewesen.) ...more |
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Inge Hannemann ist eine ehrenwerte, unerschrockene, energische Frau und hinfort hat sie auf dem Kerbholz, diesen Buchtitel an sich gerissen zu haben.
Inge Hannemann ist eine ehrenwerte, unerschrockene, energische Frau und hinfort hat sie auf dem Kerbholz, diesen Buchtitel an sich gerissen zu haben. Es ist zwar überfällig gewesen, steht Hannemanns Buch aber nicht zu. Medienresonanz hat sie bekommen, das ist nachvollziehbar, die eigentliche Problematik verdrängen aber sowohl diese Medien wie auch Frau Hannemann selbst. Also: ein verschenktes Aufrüttel-Taschenbuch. Liest man über die Autorin ein wenig im Internet, findet man, dass für ihre Zähigkeit stehen soll, dass sie seit der Kindheit unter Rheuma leidet, Behinderte ist, dennoch keinen Tag ohne ihren Laufsport verbringt. Hannemann ist in Norddeutschland geboren, in den achtziger Jahren im liberalen, bildungsbürgerlichen Klima des Markgräflerlands in Südbaden aufgewachsen, hat in Freiburg in Bürojobs gearbeitet, qualifizierte sich in mehreren Stufen zur freien Trainerin und als Coach. Sie wechselte nach Hamburg, arbeitete ein paar Jahre als Freie Dozentin für Bildungsträger, die das Arbeitsamt mit Fördergeldern versah, um sich am Ende initiativ beim Jobcenter zu bewerben. Man stellte sie ein zur besonderen Vermittlung von Unter-25-Jährigen und schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen. Schnell bekam Inge Hannemann die allseitige Verbitterung im Haus mit, sowohl bei den sogenannten „Kunden“ wie bei deren Fallmanagern. Es machte sie kritisch. Sie sah sich in Betroffenenforen im Internet um. Ein, wie ich aus eigenen Erfahrungen mit Betreuern der Jobcenter beisteuern kann, alles andere als üblicher Schritt. Dann machte sie ihren eigenen Blog zum Thema auf. 2013 wurde sie suspendiert, sie hätte sich illoyal zum Dienstherren verhalten und unter Kunden eine Stimmung geschürt, die das Risiko körperlicher Angriffe auf Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung erhöhte. Für die Medien, zumal nach Herausgabe dieses Taschenbuchs, wurde Hannemann „die Hartz-IV-Rebellin“. Bei der nächsten Bürgerschaftswahl stellten die Linken sie als Kandidatin auf (mit einem Listenplatz ohne Chance, ein symbolischer Akt). Ganz zutreffend erkennt Inge Hannemann, dass die Hartz-Sätze von Anfang an mit Bedacht zu niedrig bemessen worden waren. Die vom Verfassungsgericht postulierte „angemessene Teilhabe am bürgerlichen Leben der deutschen Gesellschaft“ ist allein auf dieser Grundlage nicht zu machen. (Unausgesprochen scheint immer die Annahme mitgeschwungen zu haben, dass die Leistungsbezieher sowieso noch andere Quellen zur Verfügung haben, Schwarzarbeit, Mini-Jobs, angesparte Reserven aus Erbschaften oder früherer Tätigkeit, die nach und nach jetzt aufgezehrt werden, Verwandte und Freunde, die ihnen dauerhaft helfen. Wer all das nicht hat, schaut in die Röhre und kann Flaschen sammeln und Lebensmittel nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums von der „Tafel“ holen. Sag mir jetzt bitte keiner, das würden die dort nicht machen! Ich war lange genug dort.) Hinter „Fordern und Fördern“ stecke, meint die Autorin, neoliberales „Nicht leben und nicht sterben“, auch „Marktanreiz“ in einer modernen, liberalen Angebotspolitik genannt. Wer lang genug getriezt wurde, wird irgendwann alle Arbeitsbedingungen als Segen akzeptieren. Das senkt auf Unternehmerseite die Kosten, ist kapitalistisch also gut und sinnvoll und macht irgendwen reicher, vielleicht sogar uns alle. Versprochen wurde vom Kanzler und Genossen der Bosse ein Befreiungsschlag, nach dem mehr Leute Arbeit hätten und der Staat weniger Schulden machen müsste. Nach den Reformen von 2005 änderte sich erst einmal wenig, außer dass eine Bevölkerungsgruppe zu Pariahs gestempelt wurde. Dann riss das Hochtechnologie-Export-Wunder das Steuer herum, was vor allem die Reichen reicher machte und die europäische Konkurrenz innerhalb der EU ärmer. Es ist eine heilige Kuh, allenthalben gesehen, möglichst nicht bemerkt. Ein wichtiger Aspekt der „Reformen“ betraf auch nicht die Langzeitarbeitslosen, sondern die in Arbeit, die nicht so sehr viel verdienen. Sie wussten nunmehr, wenn du nicht mehr mitmachst oder nicht mehr mitmachen kannst, bekommst du ein Jahr lang Arbeitslosengeld, für das du vorher eingezahlt hast, dann allerdings bist du bei den Hartzern gelandet. Wer dort erst mal ist, kommt selten noch mal hoch. Eine neue große Koalition bildete sich zwischen Unternehmern und Gewerkschaften: Lieber billiger produzieren, weil der Produzierende freiwillig auf einen Teil seines an sich gerechten Anteils am Wertzuwachs durch bessere Produktivität verzichtet, als hinnehmen, dass die schlechter gestellten Lohnabhängigen in anderen Ländern deren schlechtere Produkte auch noch deutlich preiswerter machen. Von solchen ökonomischen Abläufen weiß die Coach-Frau Hannemann allerdings nichts. Immerhin ist ihr klar, dass dieses Land jeden Armen sofort als Drückeberger stigmatisiert, der es selbst in der Hand gehabt hätte, aber offenbar nicht wollte. Die Autorin weiß, dass der Staat Unsummen an Subventionen in die Privatwirtschaft verschiebt. Das, was jeder Kapitalist sowieso tun sollte, nämlich das beim Herumliegen wertlose Kapital in modernere Produktion zu investieren und nebenbei Menschen in gut bezahlte Arbeit zu bringen, damit sie dann auch die Mittel bekommen, eine Deflation mittels Konsum zu verhindern, wird zur Gemeinschaftsaufgabe des Staats ernannt: Er hätte Unternehmer dafür zu bezahlen, dass sie ihre Leute bezahlen. Hier dämmert uns Inge Hannemanns schwarzes Monster herauf, das sie (zutreffend) im System der deutschen Jobcenter erkannte, das aber wohl doch nicht so sehr die Wurzel allen Übels ist, wie sie das wohl gerne hätte. Dass nämlich allenthalben eine Erfolgskontrolle mit Hilfe von Zahlen stattfindet, also auch im Vergleich der Vermittlungszahlen unterschiedlicher „Teams“ innerhalb ein und desselben Jobcenters. Was ganz schnell auf übelste Augenwischerei herausläuft. Leute im x-ten Bewerbungstraining parkieren, jedes Hinschicken wird nämlich als „Vermitteln“ angerechnet. Langzeitarbeitslose zu Zeitarbeitsfirmen schicken, wo man weiß, in drei Monaten sind die wieder hier, aber zuerst einmal hat man sie vermittelt; es schönt die Statistik. Nachdem die Geschäftsführung bereits durch meine harmlosen Veröffentlichungen auf meinem ersten Blog aufgeschreckt worden war und mich zum Schweigen bringen wollte, war ich gespannt, was nun folgen würde. Mir war klar, dass man mich beobachtete und meine Seite „hinabflogt“ regelmäßig las, und als mich eines schönen Tages im Oktober 2012 eine Kollegin aus der Zentrale privat anrief, war ich nicht weiter überrascht: Sie informierte mich darüber, dass ich Thema in einer Sitzung gewesen sei. Meine Aktivitäten im Netz wurden schon seit längerem verfolgt. Sowohl auf meinen Blogs als auch in den Erwerbslosenforen. Sie meinte, dass meine „Schreibaktivitäten im Internet in der Zentrale schwer unter Kritik stehen“. Nach der Hallstein-Doktrin der sechziger und dem Radikalenerlass der siebziger Jahre dürften die Hartz-Maßnahmen unter Bundeskanzler Schröder das größte Politikversagen aus 70 Jahren Bundesrepublik Deutschland darstellen. Inge Hannemann erzählt, wie ein junger Mann, dem sie seine Ehrlichkeit glaubt, zum Aufstocker-Hartzer, also einem mit befristeter Nebenarbeit wird, weil ihm Jobcenter-Kurse und die Leiharbeit bis da stehen, dann aber gezwungen wird, seine Arbeit sein zu lassen und an einer weiteren Qualifizierung von Seiten des Jobcenters teilzunehmen. Derlei Bildungsmaßnahmen werden vielfach von gemeinnützigen Privaten durchgeführt, beispielsweise der Diakonie oder dem Paritätischen, werden jeweils en bloc für ein ganzes Jahr im Voraus verkauft und dann müssen Jobcenter-Vermittler sie auf Teufel komm raus mit Teilnehmern füllen. Es geht ins Controlling ein, ins Zahlen-Rennen. Frau Hannemann erlebte in ihrem Jobcenter einen Burnout und griff nach Davids Schleuder. Sie machte einen Blog auf, ging irgendwie an die Öffentlichkeit. Damit wurde sie zur Feindin im Kollegenkreis. Leider hat Hannemann keinerlei makroökonomisches Konzept. Sie setzt auf ein allgemeines bedingungsloses Grundeinkommen, ein Wundermittel, das nicht zufällig von mehreren Unternehmern auf den Plan gestellt worden ist. (Die es dann nicht zahlen müssen, aber die Kräfte abbekommen, die mit viel Engagement ihren persönlichen Aufstieg suchen.) Hannemann schreibt aus der Empathie ihrer Einzelfälle heraus. „Meine 25-Sub waren so wunderbare Menschen, in denen enormes Potenzial steckte, auf das nie einer geachtet hat.“ Sie hat ja Recht. Das Hartz-System hat Misstrauen, Überwachung, Druck und Strafe an die Stelle von Ethik gerückt und das sozialen Fortschritt genannt. Es setzte die Denke des 19. Jahrhunderts wieder in Kraft. (Inzwischen heißt es „Bürgergeld“ und wird aus parteitaktischen Gründen, wider besseres Wissen, von CDU und FDP für das Päppeln von Faulpelzen ausgegeben. Die Wahrheit ist: Der alte Hartz-Wahnsinn der Nullerjahre ist geblieben.) Damit wird dieses Gemeinwesen die Aufgaben der Zukunft nicht bewältigen. Weiter-so oder Wieder-wer ist in Wahrheit unser aller Option für den Abstieg gegenüber wirklich dynamischen Gesellschaften. Wer dem Einzelnen nicht vertraut und ihm Spielraum und Freiheit schenkt, wird Mittelmaß und eifersüchtige Duckmäuser und Denunzianten ernten. Hannemann wollte das innerhalb eines Jobcenters umdrehen. Den Menschen glauben, ihnen keinen Druck, sondern Angebote, die wirklich wohin führen, machen. (Mir sind nur Lagerhelfer und der immer gleiche Lebenslauf-Redaktions-Kurs begegnet.) Ihre Kollegen erkannten eine Gefahr in ihr. Sie untergrub die Glaubwürdigkeit der jeweiligen Schreibtische. Inzwischen zitiert wieder jede TV-Talkshows die Ansichten der Jobcenter-Mitarbeiter. Als würden die sich nicht sieben Beine dafür ausreißen, ihren Schreibtisch behalten zu dürfen. Aber Inge Hannemann ist eine 150-Prozentige. Sie postet die von ihr erlebten dienstlichen Vorgänge als „Meinungsäußerung“. Sie verschließt sich allen Warnungen, in der Pharmaforschung könne auch nicht jeder einzelne Beschäftigte die Aufgabe an sich reißen, der Öffentlichkeit die Augen zu öffnen, was da alles so getrieben wird. Sie bekommt es zu tun mit einer 23-jährigen Schulabbrecherin, die seit Jahren Schauspielerin werden will. Die hat schon ihre Sedcards zusammen, hat mal da, mal dort mitgespielt, doch keine Schauspielschule nahm sie. Im persönlichen Gespräch überzeugt sich Hannemann davon, dass diese Frau so eine Energie ausstrahlt, dass auch ein Theaterpublikum sie lieben wird. Etwas derartiges habe ich bei Frau Hannemanns Kolleginnen (es sind zur übergroßen Mehrheit Frauen, auf den unteren Karrierestufen selbstverständlich) niemals erlebt. Vielmehr hat mir eine zu verstehen gegeben, wenn ich unbezahlt irgendwelche Texte fürs Internet schriebe, könne man mir den Zeitaufwand vom Hartz-Anspruch abziehen, ich stünde faktisch nicht voll der Arbeitsvermittlung zur Verfügung. Im angenehm lesbaren Deutsch ihrer Ghostwriterin Beate Rygiert unterhält Inge Hannemann uns mit etlichen Tageserlebnissen („dann ging das Kennwort nicht“), läuft hin und wieder zu Fundamentalkritik auf („Die Leute werden in Mini-Jobs hinein sanktioniert, von denen keiner leben kann, damit sie als „in Arbeit vermittelt“ gezählt werden können, der Steuerzahler zahlt anschließend ihr Aufstocker-Hartz, damit ein Boss die Konkurrenz unterbieten kann, wenn sie noch Tariflohn zahlt“), kann den mit dem Titel des Buchs erhobenen Vorwurf einer „Diktatur“ allerdings nirgendwo untermauern. ...more |
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| Der Meister sprach: „Der Edle liebt es, langsam im Wort und rasch im Tun zu sein.“ Der Name Konfuzius wird oft angegeben, wenn man eine andere Quellena Der Meister sprach: „Der Edle liebt es, langsam im Wort und rasch im Tun zu sein.“ Der Name Konfuzius wird oft angegeben, wenn man eine andere Quellenangabe gerade nicht zur Hand hat, im Kopf einen weisen Spruch, mit dem man sein Vortragsmanuskript oder einen Artikel verzieren will. Der Weise Konfuzius steht für etwas ehrenvoll Altes, von sehr fern Herkommendes, Edles und Gültiges. Konfuzius kann nie verkehrt sein. Wer diese Sammlung kürzerer Lehrtexte, - eins der neun, bzw. dreizehn klassischen Bücher der chinesischen Literatur -, studiert, wird merken, dass im europäischen Raum unter dem Autornamen Konfuzius viele Zitate umlaufen, die nicht von ihm stammen, ihrem Geist und ihrer Thematik nach auch gar nicht von ihm kommen konnten. Der Fürst von Sché fragte nach dem Wesen der Regierung: Der Meister sprach: „Wenn die Nahen erfreut werden und die Fernen herankommen.“ Von „Gesprächen“ kann nur selten gesprochen werden, vielmehr ist der Ablauf eher so: Ein Anhänger oder Schüler kommt zu Meister Kung (oder Kong, Konfuzius ist eine latinisierte Form, erfunden von europäischen Mönchen), bittet um seine Meinung zu einer namentlich erwähnten Person oder zu einer gerade anstehenden Entscheidung. Die Antwort Kungs scheint unter der Vorgabe zu erfolgen, sowohl karg, reserviert wie verallgemeinerungsfähig sein zu müssen. Mit Mystik oder Religiosität hat er nichts zu schaffen. Kungs Thema ist ebenso wenig die Frage nach dem Weiterleben nach dem Tod wie etwa Liebe oder Partnerschaft. Hier spricht der Würdenträger aus der Staatsverwaltung, der ständig auf die vier Prinzipien Rechtlichkeit, Mitmenschlichkeit, Elternliebe, Respekt gegenüber Anderen abhebt, um Staat und Religion zu schützen. Kungfutse ist kein Erlösungs- oder Glücksprediger. Man kann ihn als Tugendapostel kritisieren, vielleicht auch noch eine Art Baron Knigge in ihm sehen. „Wie man sich gesittet und respektvoll aufführt unter Menschen.“ Der Meister sprach: Ich habe noch keinen Menschen von wirklicher Charakterstärke gesehen.“ Es erwiderte jemand: „Schen Tschang.“ Der Meister sprach: „Tschang ist der Sinnlichkeit unterworfen. Wie könnte er stark sein?“ Kung stammte aus kleinen Verhältnissen, stieg in einem der chinesischen Teilreiche zum Bauminister und dann Kanzler auf. Er warf diese Macht hin, weil der Herrscher seiner Meinung nach die sittlichen Grundsätze nicht genügend respektierte. Ab da zog er 13 Jahre als verarmter Lehrer durchs Land, diente anderen Teilreich-Regierungen auch als Ratgeber. Im Alter wurde er ins Reich Lu zurückgerufen und starb dort hochgeehrt, allerdings nicht im Glück. Zuvor hatte der Tod ihm seinen geliebten Sohn entrissen. Der Meister sprach: „Ich hätte (geheimes) Wissen? Ich habe kein (geheimes) Wissen. Wenn ein gewöhnlicher Mensch mich fragt, ganz wie leer, so lege ich es von einem Ende zum andern dar und erschöpfe es.“ Es gab diverse Überlieferungsstränge für die „Gespräche“. Die klassische Version ist eine Redaktion aus mehreren Quellen. Einige Sequenzen tauchen mehrfach im Buch auf und unterscheiden sich dabei nicht inhaltlich, sondern nur der Sprache nach. Auch haben sich Zeilen aus fremden Texte eingeschlichen, bzw. solche, aus denen bis heute niemand klug wird. Sokrates vergleichbar, ist dieser chinesische Meister Kung ein Lehrer ohne Original-Buch. Er stellt die Autorität für eine Kultur dar, die alles von ihm nur vom Hörensagen kennt. Er lebte zirka 550 bis 480 v. Chr. Die ältesten Abschnitte der Schrift lassen sich allerdings nicht weiter in die Vergangenheit zurück als bis ins Jahr 150 v. Chr. zurückdatieren! Der Meister sprach: „Gewöhnliche Speise zur Nahrung, Wasser als Trank und den gebogenen Arm als Kissen: Auch dabei kann man fröhlich sein; aber ungerechter Reichtum und Ehren dazu sind für mich nur flüchtige Wolken.“ Wie so manches Buch, das uns Ehrgefühl, Aufrichtigkeit, Demut, Hilfsbereitschaft, Lernbereitschaft aufträgt, eher abstrahierend normativ als praktisch beschreibend, wirken Konfuzius' Dialoge oft nur allzu selbstverständlich für uns Heutige, wenn nicht sogar belanglos. Manchmal überrumpelt uns seine Düsternis. Gi Lu fragte über das Wesen des Dienstes der Geister. Der Meister sprach: „Wenn man noch nicht den Menschen dienen kann, wie sollte man den Geistern dienen können!“ (Dsi Lu fuhr fort:) „Darf ich wagen, nach dem Wesen des Todes zu fragen?“ (Der Meister) sprach: „Wenn man noch nicht das Leben kennt, wie sollte man den Tod kennen?“...more |
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„Die 100 erotischten Gartenzwerg-Pas-de-Deux aus 500 Jahren Ballett“. Listen sind einfach unterhaltsam, wenn auch nicht mehr so dermaßen in, wie sie u
„Die 100 erotischten Gartenzwerg-Pas-de-Deux aus 500 Jahren Ballett“. Listen sind einfach unterhaltsam, wenn auch nicht mehr so dermaßen in, wie sie ums Jahr 2000 noch waren, als man noch dachte, jetzt komme eine andere Zeit und dann reiche es aus, das letzte Jahrhundert nicht zu vergessen, wenn man davon ein paar Listen behalte, auf denen die Höhepunkte vollständig draufstünden. „Die 1000 besten Törtchenzauberer, die Sie aufsuchen sollten, bevor das Leben gelaufen ist.“ Man hätte es eh alles schon lange mal gelesen, „kennt“ es natürlich, aber es ist so schnelllebig geworden, heute, man hat ja nie eine ruhige Stunde, aber wenn dann irgendwann doch, wird man alles nachholen, was man hier gerade gelistet findet. Den einen fehlt noch „Der Proceß“, den anderen „Fluss ohne Ufer“. Listen sind Spielerei. Spielen wir zuerst noch ein Gedankenspiel! Sie stellen sich vor, man würde sie damit beauftragen, 200 beste Bücher, die repräsentativ fürs 20. Jahrhundert sind, zu benennen. Sie können sich dafür viel Zeit lassen, streichen, reinholen und wieder rauswerfen. Aber am Ende kommt einer und sagt, um diese Liste bei den heutigen medialen Gebräuchlichkeiten einsetzbar zu machen, müssen Sie jetzt noch ein Kondensat von 25 Prozent herstellen, also eine 50-er-Liste. Für diese Liste bekommen Sie Ihre eigene Matinee in der Stadtbibliothek mit Canapés und Sekt, bei der Sie ein bisschen über die Lesefreuden parlieren können. Jetzt die Frage: Wenn Sie dann so erzählen, sind die Bücher, die Sie nennen, wirklich alle unter den 200 gewesen? Oder eher solche, die gut und gerne dort auch hätten vorkommen können? Jetzt kommt aber noch hinzu, das für dieses marktschreierisch betitelte Büchlein (hieß im Original schon so) eben nicht der durch seinen Roman „Neununddreißigneunzig“ berühmt gewordene Ex-Werbetexter Frédéric Beigbeder (Spross einer Adelsfamilie aus dem Pariser Nobelvorort Neuilly, Absolvent der „Sciences Po“) die Bücher bestimmt hat, sondern „Le Monde“ und die Kulturkaufhauskette FNAC hatten 2000 ihre Leser bzw. Kunden (mittels einer Stimmkarte) nach der Grobauswahl von 200 Titeln befragt, anschließend dampften sogenannte „Sachverständige“ das auf ein Viertel ein und der „Sohn aus schlechtem Haus“ (Buchtitel) bekam schließlich, schon vor der Buchveröffentlichung, Honorar dafür, dass er zu jedem dieser noch verbliebenen Bücher etwas Nettes verzapfte. Das ist die Katastrophe des Buches. Wenn ich das vorher gemerkt hätte, hätte ich es mir nie gekauft. Mir fiel beim schnellen Blick über die Liste auf, ehrlich, so dumm kann man sein, dass sie nicht eben originell war. Das merkte ich schon daran, dass sie aus einem fremden Land kam, ich selbst aber ziemlich viele dieser Bücher irgendwann sogar schon mal gelesen hatte. Ich suchte, ob vielleicht etwa 70 Franzosen dabei sind, die man auf Deutsch sowieso noch nie hätte kaufen können. Dieses Problem spielte aber fast keine Rolle. Abgefahrener als „Thérèse Desqueyroux” von François Mauriac (ein Bordeaux-Roman), Jacques Préverts „Lieder und Gedichte”, Vercors‘ „Das Schweigen des Meeres” (Résistance) oder „Die Sonne Satans” von Georges Bernanos (Böll-Vorbild, aber natürlich keinerlei Böll in der Liste) wurde es nämlich nie. Dafür allerlei übliche Verdächtige wie „Der kleine Prinz“, „Der Archipel GuLag“, „Der Zauberberg“, „Der Prozess“, „Wem die Stunde schlägt“, „Warten auf Godot“, „1984“, „Der Name der Rose“, „Lolita“, „Die Falschmünzer“, „Früchte des Zorns“. Auch ewig schon Lockendes, das ich bloß nie las: „Die Tatarenwüste“, „Die schwarze Flamme“, „Bonjour Tristesse“, „Schall und Wahn“. Beigbeder, der 50 Rezensionen zu schreiben hatte, über Titel, die er sich nicht ausgesucht hatte, von denen er viele noch nicht mal mochte, manche nie gelesen hatte, ist wahrscheinlich gar nicht schuld an einer Erkenntnis über die Literatur des 20. Jahrhunderts, die mir diese Liste eingab: Sie fing um den Ersten Weltkrieg herum an, mit Kafka, Proust und Joyce, und lief etwa im Jahr 1959 aus. Sieht man von Ausreißern wie den „Baskervilles“ (Conan Doyle und Eco), der „Gebrauchsanweisung fürs Leben“ von Perec (1978) oder „Hundert Jahre Einsamkeit“ (1967) mal ab. Auch findet Beigbeder lustig, dass alles Beste entweder von einem Nobelpreisträger kommt, auch die besagte „Thérèse Desqueyroux“ oder „Der Fremde“ von Albert Camus, der Sieger aller Klassen. Oder man hat es verfilmt: „Die Verachtung“, „Die Sonne Satans“, „Der Husar auf dem Dach“, „Zazie in der Metro“, „Der große Gatsby“, „Der Schaum der Tage“, „Lolita“, „Tagebuch der Anne Frank“, „So lebt der Mensch“, „Alibi“, „Der große Meaulnes“. Hatte etwa jemand im Sinn, FNAC sollte noch einige DVDs und Soundtrack-CDs verkaufen? Ich mag es, wenn Schriftsteller mit Liebe und Begeisterung von den Büchern sprechen, die sie mochten. Ich hätte ein Buch gewollt, in dem steht, welche Romane Frédéric Beigbeder wirklich für die bedeutendsten hält. Im Vorwort tut er uns den Gefallen sogar mal: Hätte ich selbst die Vorauswahl treffen müssen, hätte die Liste ganz anders ausgesehen; auf keinen Fall „vergessen“ hätte ich Aragon, Artaud, Aury/Réage, Barjavel, Bataille, Besson, Bory, Brautigan, Capote, Carver, Cendrars, Cioran, Cocteau, Colette, Cossery, Dantec, Debord, Desnos, Dick, Drieu La Rochelle, Echenoz, Ellis, Fante, Frank, Gary/Ajar, Genet, Gombrowicz, Grass, Guibert, Guitry, Hamsun, Houellebecq, Huguenin, Jaccard, Jauffret, Kerouac, Kessel, Larbaud, Laurent, Léautaud, Lowry, Malaparte, Matzneff, McCullers, Miller, Modiano, Montherlant, Morand, Musil, Nabe, Nimier, Noguez, Nourissier, Parker, Pavese, Pessoa, Pilhes, Pirandello, Prokosch, Radiguet, Roché, Roth, Rushdie, Salinger, San-Antonio, Selby, Sempé, Simenon, Sollers, Toole, Toulet, Tzara, Vailland, Vialatte, Weyergans ... aber das wird Gegenstand eines späteren Bandes sein ... und die andern, sei’s drum, auf die bin ich jetzt sauer! Sie bemerken, dass diese Liste nun aber doch eine Folge komplett unbekannter Franzosen vorstellt. Wir merken auch, dass, obwohl oft viele Jahrzehnte vergingen, sich das deutsche Verlagswesen nicht dabei überschlug, Bücher der Freunde von jenseits des Rheins für uns zu übersetzen. Aber wird es denn andersherum besser sein? Beigbeders Katalog fließt von etwas weniger gängigen germanischen Namen als Grass (Nobelpreis) nicht gerade über. Aber auch Slawen, Holländer, Briten, Südamerikaner, Italiener, Portugiesen, Skandinavier, Afrikaner und Asiaten ziehen es weitgehend vor, sich gründlich auszuschweigen. (Jetzt erinnern Sie sich Ihrer 200-Bücherliste, die ich Sie anfangs zu entwerfen bat. Wie viele von diesen Völkerschaften waren dabei? John Irving und „Harry Potter“ natürlich. Ging hier nicht, weil die Literatur 1981 endet.) Frédéric Beigbeder sagt an einer Stelle, in Büchern wiege Charme viele Schwächen auf. Charme und Noblesse sind, warum auch er die Sagan, Raymond Queneau, André Gide, Boris Vian, Georges Perec, Ionesco in die persönliche Liste aufgenommen hätte. Pathos, Engagement und Didaktik sind, warum er, wenn er könnte, John Steinbeck, Samuel Beckett, Jacques Prévert, D.H. Lawrence gestrichen und von Hemingway die Storys, nicht den spanischen Bürgerkriegsroman genommen hätte. (Aber eben Nobelpreis UND verfilmt.) „Charme und Noblesse“ sind die Trademarks, für die man Beigbeder seinen Job gab. Leider fühlt er sich zu Anfang und Ende fast jeden Textes genötigt, sie auch unter Beweis zu stellen. (Dazwischen ist er lesbar.) Los geht’s mit einem blöden Running Gag: „Was! Auf 40 kommt „Der Zauberberg“ - und immer noch nichts von mir!“ Den Schluss bildet ein dümmlicher Satz: Mir läuft es kalt den Rücken hinunter. Denn ich weiß, dass man auch mir eines Tages den Prozess machen wird. Den Prozess der Kritik, den Prozess dieser Hitliste ... Verzeihen Sie mir! Erbarmen! Ich bitte das hohe Gericht um Milde.“ Dieser Prozess spricht ihn da schuldig, wo er über Bücher schwafelt, in denen er hier zwei, drei Seiten vielleicht noch dort gelesen hat. Oder weniger. Man weiß doch als gebildeter Literat, was geredet wird über Autoren und ihre Bücher und kann es nachplappern. „Vom Winde verweht“ von Margaret Mitchell hat er entweder nie gelesen und nur den Film gesehen oder er hat mal einen Teil des dicken Wälzers gelesen, dann wieder vergessen. Margaret Mitchell, dieser liebenswürdigen Sezessionistin, haben wir es zu verdanken, dass sich in den Buchhandlungen der ganzen Welt Jahr für Jahr Tonnen von Kitschromanen mit historischem Hintergrund und/oder Lokalkolorit stapeln. Wälzer, in denen die Nachmittage „strahlend” sind, die Jungen „lebhaft und dünnhäutig” und in denen die Wimpern der Mädchen anfangen, „flink wie Schmetterlingsflügel” zu klimpern. Haben wir wirklich Jahrhunderte lang darauf gewartet, endlich Derartiges zu lesen: „Scarlett erwiderte nichts, aber ihre Augen glänzten, während sich ihr das Herz in leisem Schmerz zusammenzog. Wäre sie doch nur keine Witwe, wäre sie doch wieder Scarlett O’Hara und dort auf dem Tanzboden in einem apfelgrünen Kleid mit dunkelgrünen Samtbändern, die über die Brust herabhingen ...” Wäre doch dieser Roman verweht worden! Das klingt so fundiert wie gnadenlos. Wer den Roman gelesen hat, weiß allerdings, es ist Blödsinn. Als würde man „Don Quijote“ vorwerfen, dass er sich mit einem alten Verrückten beschäftigt, der an verstaubte Ritterbücher glaubt. „Vom Winde verweht“ wird aus der Sichtweise der Protagonistin Scarlett O’Hara erzählt. Sie ist ein Gänschen mit Kitschvorstellungen. An sich geht es aber noch nicht mal vordringlich um diese Frau in Mitchells Roman, sondern um eine verspielte Zivilisation, die an ihrer Realitätsverweigerung gescheitert ist. Dafür dient Scarlett nur als Illustration, ihre Sicht auf die Welt wird von der Autorin mitnichten geteilt. Wenn, was unter all diesen Aufsätzen nur selten der Fall ist, die 50-Titel-Liste (als Kondensat einer 200-Bücher-Liste) einen Titel nennt, den Beigbeder für seine eigene Liste auf jeden Fall auch genommen hätte, liest sich das Buch sogar mal so, wie ich es mir gedacht hatte. ...more |
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Nov 06, 2024
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Pocket Book
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3717520563
| 9783717520566
| 3717520563
| 4.00
| 5
| Sep 30, 2004
| 2004
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really liked it
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Quer durch Dürrenmatts Werk, vom frühen Prosaband „Die Stadt“ (Der Hund, Pilatus, Der Tunnel) über die legendäre „Panne“ von 1956 bis zu Auszügen aus
Quer durch Dürrenmatts Werk, vom frühen Prosaband „Die Stadt“ (Der Hund, Pilatus, Der Tunnel) über die legendäre „Panne“ von 1956 bis zu Auszügen aus „Stoffe“ und zu „Der Auftrag“, einem vollends durchgedrehten Spätwerk aus dem Jahr 1986, haben der Zürcher Germanist Peter von Matt und der Diogenes-Verleger Daniel Keel eine Dürrenmatt-Prosa-Auswahl für die „Manesse Bibliothek“ zusammengestellt. Wo immer man das Buch aufschlägt und einige Zeilen liest, wird man bemerken, dass man es mit einem Meister der Sprachbeherrschung zu tun hat. Einem naturwüchsigen Dichter. Sein einziger Bruder Hartmann, ein Haudegen fern der christlichen und zivilisatorischen Einsicht, hat sich mit der Stadt Bern verfeindet. Deren Anführer, Adrian von Ostermundigen, ist ein ebenso gewaltiger Falstaff und Schürzenjäger wie er, bleibt doch vor den beiden keine Jungfrau im Mittelalter sicher. Zudem sind die verfeindeten Saufkumpane überaus große Würfler und Kartenspieler, der Ostermundiger der geschicktere. Hartmann verliert gegen den Berner im Spiel ein Dorf um das andere, holt sich aber das Verlorene mit Waffengewalt zurück, worauf die Dörfer vom Ostermundiger mit seinem wilden städtischen Gesindel aufs neue erobert werden; so geht es hin und her, Vergewaltigungen, eingeschlagene Schädel, eingeäscherte Dörfer. Eberhard, seufzend seine geistlichen und stilistischen Studien verlassend, die Frage zum Beispiel, wie viele Engel wohl auf einer Nadelspitze Platz hätten, oder subtile Überlegungen den Ablativus absolutus betreffend, begibt sich widerwillig in die Niederungen einer handfesten, aber vertrackten, schlauen und pfiffigen, bald adligen, bald städtischen, bald dörflichen Politik. Er versucht die Vernunft durchzusetzen, Frieden zu stiften, verhandelt mit einer Engelsgeduld, redet bald mit seinem störrischen Bruder, bald mit dem noch stureren Ostermundiger, diskutiert in den Dorfpinten mit den Bauern, in den rauchigen Beizen der Stadt mit den Bürgern und macht sich mit seiner humanen Gesinnung und mit seinen vernünftigen Vorschlägen bei allen verhaßt, während sein gottloser Bruder und der nicht minder gottlose Ostermundiger trotz ihrem Unverstand, der alle schädigt, beim Volk immer populärer werden. Die Zeiten sind roh. Die Kyburger, die mit den Bernern um die Macht über die Ländereien zwischen ihnen stritten, mehrere Hartmanns gab es da, starben in der männlichen Linie 1264 aus und wurden von den Habsburgern in der weiblichen aufgesogen. In etwa noch passen würde in diese Epoche der Streit um die Engel auf einer Nadelspitze, ein Problem der Scholastik. Mit Schwarzpulver wirkende Waffen - in der Geschichte wird berichtet, bei der Vorführung eines Kanonen-Prototyps sei es zur Fehlzündung gekommen - tauchten 1320 in Europa auf. Der Fresser Falstaff wurde erst nach 1597 durch Shakespeares Stück „Heinrich IV.“ bekannt, dessen Heinrich zwischen 1366 und 1413 herrschte. Wie es vor der Entdeckung Amerikas (1492) zu „rauchigen Beizen in der Stadt“ kam, bleibt unklar. Es sind wohl offene Herde gemeint, die aber befanden sich kaum im Gastraum. Beschwingt dampft Dürrenmatt über solche Brüche in der Prosalandschaft hinweg. Vielleicht auch mit sardonischem Grinsen, weil er seine anachronistischen Geschichtsklitterungen durchaus erkannt hatte. In „Das Sterben der Pythia“ lässt dieser Mann, seinem schwarzen Humor entsprechend, „das Gesindel der Dichter, Philosophen, Poeten“ einer eher unwichtigen Pestepidemie als Erste zum Opfer fallen. Dass ihn die eigene Herkunft und Biografie nicht kümmerte, dass ihm Weltanschauungen, Utopien und Rettungsvisionen überaus gleichgültig waren, machte Friedrich Dürrenmatt zu seiner Zeit, im Wesentlichen waren das die fünfziger und sechziger Jahre, zu einem Unikum und Großmeister unter den deutschsprachigen Theaterautoren und Erzählern. Dennoch möchte ich mich dem internationalen Chor der später kommenden Gratulanten nicht anschließen. „Welch kühner, radikaler Seher! Welt, Menschheit, geistige Höhenflüge und reale Verlottert- und Verludertheit, alles in nur zwei Stunden Schauspiel gepackt; er bleibt ewig aktuell!“ Dabei konnte jeder sehen, dass der alte Dürrenmatt in seinen letzten zehn Lebensjahren überhaupt nicht mehr aktuell und angesagt war, sondern als Dinosaurier, als geheiligtes Monster gehandelt wurde. Von den Bühnen kaum noch aufgeführt, von den Prosalesern auf zwei Kriminalromane und Schullektüren reduziert. Es fällt doch ein wenig auf, dass diejenigen, die Dürrenmatts Radikalität preisen, selber ganz und gar nicht radikal leben, vielmehr rundum bürgerlich, dass sie viel lieber philosophisch als politisch oder ökonomisch denken und argumentieren. Das eben macht den Reiz und die Begrenztheit des Denkers Dürrenmatt aus, dass er wie eine Art Gott mit seiner Welt aus Modellen herumfuhrwerken konnte. Wer sich mit den Ideen der Menschheit so gut auskannte, musste die alltäglichen Trivialitäten im Leben der kleinen Leute nicht dauernd im Blick haben. Ein postmoderner Autor, der Schlitten fährt mit sämtlichen Kulturgütern seiner humanistischen Gymnasialzeit. Dass er über enorme Unterhalter-Qualitäten gebot, stelle ich nicht in Abrede. Ich wollte unbedingt noch einmal „Der Tunnel“ lesen, eine Geschichte von einer nie mehr endenden Einfahrt in einem Schweizer Berg, die mich als Jugendlicher geradezu erregt hatte vor Schrecken und Begeisterung. Die Enttäuschung wurde groß. Dürrenmatt will nämlich genau das nicht, was meine Erinnerung aus der Erzählung gemacht hatte, eine Katastrophe à la „Titanic“. Und, fragte ich mich rückblickend, hatte es nicht einen „sozialen Ablauf“ gegeben? Wenn den Passagieren des Zugs aufgeht, dass da was nicht mehr in Ordnung ist. Wenn sie zu reden anfangen. Wenn sie schließlich merken, dass der Lokführer verschwunden ist und die Maschine nicht mehr gestoppt werden kann. Wenn eine Panik ausbricht. Wenn Leute überrannt und zertrampelt werden. Während in anderen Waggons immer noch Einigkeit darüber besteht, dass nichts vorgefallen ist und das Licht des Tages demnächst zu sehen sein wird. Nur hat sich beim Wiederlesen des Textes herausgestellt, dass Dürrenmatt all dieses nie geschrieben hat. Dürrenmatt, wie eigentlich immer, der hatte einen ganz bestimmten Gedanken im Sinn. Und genau den wollte er durchziehen. Der Gedanke ist selbstverständlich weder ökonomisch noch politisch noch gar naturwissenschaftlich, sondern er ist philosophisch und geht in etwa so: Wesentlicher Bestandteil des Menschlichen ist, dass jede Existenz auf ihren Zerfall, ihre Vernichtung hin verläuft, unumkehrbar. Wir können das alle jederzeit wissen, also müssten wir uns irgendwie dazu verhalten, alle, jederzeit. Das mag man radikal finden. Revolutionär ist es gewiss nicht. Dass Dürrenmatt seine Realitäten gnadenlos zusammenkonstruiert, mag eine kleine Nebensache veranschaulichen. Der Student, dem die ungewöhnlich lange Tunnelfahrt auffällt und dass es ständig tiefer hinab geht, findet bei niemand Gehör, bis es ihm gelingt, den Zugbegleiter, damals noch Schaffner (oder in der Schweiz: Kondukteur), zu einer gemeinsamen Kletterpartie außen an der Lokomotive zu bewegen. Obwohl die Fahrt im schwarzen Schacht rasend ist und die Führerkabine verschlossen, schaffen sie es, hinein zu kommen und zu entdecken, dass der Lokführer vor Zeiten abgesprungen ist. Jetzt erklärt der Bahnbeamte, er müsse zurück, er habe sich um die Fahrgäste zu kümmern. War es bereits extrem unwahrscheinlich, an einer Lokomotive bei rasender Fahrt entlangzuklettern, wenn man es nie geübt hat, wäre vollends unmöglich, vor dort zurückzukehren, denn, wie gesagt, es geht immer schneller und immer steiler nach drunten. Es hat sich aber auch herausgestellt, dass der Schaffner vorher schon wusste, dass keiner mehr vorn ist. Er hat den Maschinisten springen sehen. Ich muss sagen, einen Erzähler, der mich so veräppelt, den mag ich eher nicht. Immer wieder sind die Geschehnisse des Spielleiters Dürrenmatt so kompakt und so von außerhalb erzählt wie in dem zitierten „Der Brudermord im Hause Kyburg“. Da gab es weder wörtliche Dialoge noch Textabsätze noch anschauliche Details, die legendäre Simenon'sche „Atmosphäre“. Dürrenmatt hat immer das Konzept zuerst und füttert es dann mit Bildern wie eine Autotüre mit Schaumstoff. Im Gegensatz zu heute noch aktuellen Geschichtenerzählern vom Schlage Stephen Kings sind die „Geschichten“ von Dürrenmatt nie die von der Masse so geliebten „Filme im Kopf“, vielmehr sind es bis zum Exzess getriebene Duelle von Ideen. Dürrenmatts Notellenstil ist der einer Inhaltsangabe. Schauen wir uns die legendäre Novelle „Die Panne“ an. Auch da wieder allerlei Unwahrscheinlichkeit, bis sich die Balken biegen. Eine Runde alter weißer Männer hat es sich zur Aufgabe gemacht, Schuldige zur Strecke zu bringen, die den Behörden entgangen sind. Sie laden ihre Verdächtigen zu einem Herrenabend voller Genüsse ein, wickeln sie mit heiteren Anekdoten, gutem Essen, Wein und Zigarren ein, kitzeln ihre Eitelkeit, sodass die unerkannten Verbrecher - an diesem Abend der Textilvertreter Alfredo Traps - von selbst mit ihren Triumphen zu prahlen anfangen. Der Mord war perfekt, der Täter hat gestanden, die Runde verurteilt ihn zum Tod. Obwohl das - zumindest für die heutige Zeit - komplett unglaublich wäre, senkt sich über den Mörder mit einem Mal die Erkenntnis von der Schändlichkeit seiner gesamten Existenz herab. Er hat aus Habgier einen Tod verursacht. Das Urteil der alten Herren ist gerecht. Da ihm mit den Gesetzen der öffentlichen Ordnung nicht beizukommen ist, muss er selbst es vollstrecken. Mein Punkt ist der: Dieses Mal hat der Erzähler ganz viele Details aus dem Alltag trivialer Existenzen. Allerdings ist er so postmodern, sie als Bühnenrequisiten lächerlich zu machen. Er wollte immer Durchblicker sein, nie Fotograf. Auch darüber sind wir nun schon im Bilde: trauliche Dämmerstunde, Abendstunde auch hier. Unseren Freund finden wir in einem Restaurant, sagen wir in einer Weinstube der Altstadt, etwas überheizt, alles währschaft, patriotisch, gediegen, auch die Preise, Butzenscheiben, der stattliche Wirt (Traps: „Im Rathauskeller, Kurtchen!“), die stattliche Wirtin, wie wir nun korrigieren müssen, umrahmt von den Bildern der toten Stammgäste, ein Zeitungsverkäufer, der durchs Lokal wandert, es wieder verläßt, später Heilsarmee, Lieder singend, „Laßt den Sonnenschein herein!“, einige Studenten, ein Professor, auf einem Tisch zwei Gläser und eine gute Flasche, man läßt sich’s was kosten, in der Ecke endlich, bleich, fett, schweißbetaut mit offenem Kragen, schlagflüssig wie das Opfer, auf das nun gezielt wird, der saubere Geschäftsfreund, verwundert, was dies alles zu bedeuten, weshalb Traps ihn auf einmal eingeladen habe, aufmerksam zuhörend, aus Trapsens eigenem Munde den Ehebruch vernehmend, um dann, Stunden später, wie es nicht anders sein konnte und wie es unser Alfredo vorausgesehen hatte, zum Chef zu eilen, aus Pflichtgefühl, Freundschaft und innerem Anstand den Bedauernswerten aufzuklären. ...more |
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Nov 03, 2024
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Hardcover
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3492019595
| 9783492019590
| 3492019595
| 3.60
| 10
| Jan 01, 1974
| Jan 01, 1976
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it was ok
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Hier zugreifen, wer einen durch und durch langweilenden Krimi lesen möchte! „Ein seltenes Glück in deutscher Sprache“, soll der linke Allgäuer Dichter Hier zugreifen, wer einen durch und durch langweilenden Krimi lesen möchte! „Ein seltenes Glück in deutscher Sprache“, soll der linke Allgäuer Dichter Günter Herburger, heute weitgehend vergessen, damals bemerkt haben, steht auf dem Schutzumschlag. Und die deutsche Kritik hat über Jahre daran festgehalten, Ulf Miehe setze in Deutschland das Erbe von Dashiell Hammett und Raymond Chandler fort. Obwohl jeder Depp sehen konnte, dass jene ihren Lesern zu Beginn der Bücher Mordfälle mitgegeben hatten und einen Detektiv, der sie am Ende dann aufklart, während bei Miehe überhaupt kein Detektiv auftaucht, die Polizei fast nur am Rande, vom im Titel angekündigten Toten während 90 Prozent des Buchs nichts zu ahnen ist, sowieso auch kein Mord passiert. Vielmehr geht es um einen Raubüberfall, der im geteilten Berlin Anfang der siebziger Jahre auf einen Geldtransport der US-Army verübt werden könnte. Es steht kein Verbrechen am Anfang, sondern fast das gesamte Buch über wird von der Vorbereitung eines Verbrechens erzählt. Wie kam es überhaupt zu den Chandler- und Hammett-Vergleichen? Nun, die Kurz-Antwort lautet: Humphrey Bogart. Vor allem nämlich geht es hier um eine gegen Ende der sechziger Jahre, eigentlich ja, als die Studentenrevolte schon wieder vorbei war, kultivierte Version von männlichem Style und Coolsein, um erschütterte, desillusionierte, wortkarge Barbesucher, die für ihre Unabhängigkeit auch zur Luger greifen könnten. Schwarze Serie durch die Brillen von Jean-Luc Godard und Jean-Pierre Melville betrachtet und in den Köpfen von Reinhard Hauff und Fassbinder angekommen. Am meisten gemahnt Ulf Miehe, ein Ex-Berliner, der in München arbeitete und zwischen etwa 1940 und 1990 nur 50 Jahre alt wurde, an ähnliche Hoffnungsträger deutscher, heterosexueller, cooler Männlichkeit, die ewig und drei Tage als „den Amerikanern fast überlegen“ gehandelt wurden, sich beim breiten Publikum aber nie wirklich durchsetzen konnten: Jörg Fauser und Roland Klick. Um den Spirit zu kriegen, versenke man sich erst einmal in Erinnerungen an Folgende: Burkhard Driest und Pierre Franckh, Uschi Glas und Uschi Obermaier, Andreas Baader und Marius Müller-Westernhagen, Helen Vita und Charles Regnier, Günther Ungeheuer und Luigi Colani, Marquard Bohm und Hark Bohm, Gila von Weitershausen und Vera Tschechowa, Senta Berger und Horst Jüssen, Günter Pfitzmann und Ivan Desny, Jörg Pleva und Walter Kohut, Eddie Constantine und Hannelore Elsner. Für alle diese hätte Ulf Miehe wohl am liebsten einen „knallharten“ Film geschrieben, was dann daran gescheitert wäre, dass sie mit der täglichen Realität des provinziellen West-Deutschlands recht wenig, mit Schwärmerei für internationales Genre- und Schmuddelkino reichlich zu tun hatten. Also oft nur munter vor sich chargierten. Ulf Miehe war in Bielefeld zum Buchhändler ausgebildet worden und machte sich ein paar Jahre im Dunstkreis des Gütersloher Bertelsmann-Imperiums gut heraus. Eigentlich wollte er Lyriker werden, gab für den Sigbert-Mohn-Verlag auch Lyrik heraus und gilt als Entdecker von Guntram Vesper. (Von dorther möglicherweise Herburgers Sympathie für ihn.) S. Mohn wurde Ende der Sechziger faktisch eingestellt und Miehe verlegte sich aufs Gebrauchstexte-Schreiben. Er arbeitete bis an sein Ende für Illustrierte wie „Quick“, schrieb Science Fiction, drei Krimis, von denen dieser hier der bekannteste ist (auch verfilmt). Er schrieb Texte für die israelische Sängerin Esther Ofarim und sang mit Marius Müller-Westernhagen in einer Fernsehshow. Er schrieb Drehbücher, unter anderem für „Tatort“ und „Der Fahnder“, und 1976 konnte er seinen eigenen Film als Regisseur drehen, „John Glückstadt“, nach Theodor Storm, mit Dieter Laser, dem wenig Glück beschieden war. Was „ich hab noch einen Toten in Berlin“ retten, rausreißen und nobilitieren könnte, wäre, wenn sich sagen ließe, dass es eine feinfühlige Aufnahme der Frontstadt-Atmosphäre der Mauerstadt im Kalten Krieg ist. Wer das Buch kanonisieren will, immerhin holte es die „Süddeutsche Zeitung“ 2006 unter die 50 Bände der „Kriminalbibliothek“, wird genau so was andeuten, aber nicht wirklich aussprachen, um nicht etwa falsch zu liegen. Aber es stimmt nicht. Da tauchen ein paar Cafés, der Kurfürstendamm, die Halle des Flughafens Tempelhof, der Landwehrkanal, die Staumeldungen im Autoradio oder ein Taxifahrer irgendwo auf, aber dass man das Berlinische hier schnuppern könnte, das trifft nicht zu. Miehe brauchte eben eine Großstadt, weil er einen internationalen Großstadtkrimi schreiben wollte. Quer durchs Buch sind wir mit zwei Männern zusammen, die sich endlos oft und endlos lang über die Möglichkeit eines von (bloß) zwei Personen durchgezogenen Überfalls auf einen Geldtransporter unterhalten. Wobei sie oft um den Brei herum reden und es bei Andeutungen belassen. Ansonsten werden Zitate aus Dylan-Songs eingeflochten und auch mal Überlegungen über den Bewusstseinsstand der arbeitenden Klasse, die ansonsten nicht in Erscheinung tritt, eingeschmuggelt. Der aus den verlorenen Ostgebieten stammende Gorski ist der Regisseur des geplanten Films und der jüngere Benjamin ist sein Drehbuchschreiber und Ich-Erzähler des Buchs. Abgesehen von Tonbandmitschnitten von ein paar Polizeivernehmungen, die zwar auftauchen, aber so gut wie nichts zum Plot beitragen. Sie, wie so vieles, dienen eher dazu, den Betrieb aufzuhalten, das aber wie eine Art von Ersatz-Spannung wirken zu lassen: „Es hätte vielleicht auch so oder so ähnlich gescheitert sein können.“ Also, wie es dann wirklich wurde, kommt natürlich erst viel später raus. Das Buch wird von dem schwachen Einfall getragen, Filmer könnten sich den Plan zu einem Gangsterfilm von einem echten Verbrecher ausborgen und, während sie sich die Details ihres Drehbuchs ausmalen, darauf kommen, dass sie aus dem Film einen echten Überfall machen und mit einer Million Dollar verschwinden könnten. Leider kann ab Etablierung dieser Frage nichts Substantielles mehr passieren, denn es wäre dann ja nur ein Geldraub, der gelingen oder scheitern würde. Oder die Arbeit eines Autors und dann die in den Studios. Miehe will den Krimi und der Krimi soll Spannung haben. Wir sollen Aberdutzende von Seiten lesen und uns ständig wundern, werden die Zwei zu Gangstern, werden sie es sein lassen? Wird der echte Gangster, Sparta heißt er, es ihnen aus den Händen nehmen? Werden sie sterben? Gute Fragen, aber man kann keine von ihnen beantworten, ohne dass die Geschichte so gut wie aus wäre! Was das Buch füllt – und was die Anhänger der These, es würde sich um einen Glücksfall handeln, für knapp, kaltschnäuzig und dicht am Leben ausgeben werden -, ist zwar einfallsreich, aber jederzeit als Füllmaterial durchschaubar. Es ist nicht mal als West-Berlin glaubhaft, sondern wirkt wie deutsche Fernsehunterhaltung der siebziger und achtziger Jahre. Simmel-Filme und „Derrick“. Sparta, der Homo Novus aus der Nachkriegszeit, der sich ins Privatleben zurückgezogen hat, jetzt seinen Coup verschenkt. Und Macho Gorski, werden die beiden irgendwann aufeinander losgehen? Diese eine Nachtbar, der noch mehrere folgen werden, mit „dem Mädchen“ im Hintergrund, dem einen oder anderen Perversen, der ihren Körper kommentiert, während die einen oder anderen Whiskeys bzw. Cognacs getrunken, Zigarren geraucht werden. Die überraschende Blauchlicht-Kontrolle, aber die Bullen wissen wohl noch nichts. Ein Waffenhändler, nachts im dunklen Keller eines verlassenen Hauses. Der Fälscher mit dem originalen Dokumentenpapier. Die schwarze Deutsche, die Sparta Benjamin wie auch Gorski quasi aufs Bett legt. Des lieben Mädels anstelliger Bruder mit der großen Kanone. Ich musste mir das Buch auf viele Lesetage aufteilen, zwischen die ich wochenlange Pausen schob. Eines Tages fing ich ein Kapitel an und sagte mir, du wirst sehen, das endet und ich weiß kein bisschen mehr, ob der Überfall wirklich noch gemacht wird und wo der Tote herkommen soll. Und immer wieder war es so. Ein Buch, das einen offensichtlich mit Kulissenbau langweilt, den es für „Spannung“ zu halten beliebt, kann doch kein guter Kriminalroman sein. ...more |
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Oct 31, 2024
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Hardcover
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0810958945
| 9780810958944
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| Apr 27, 2005
| May 01, 2005
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Was für ein herrliches Kunstbuch! Es hat festes, reines, glänzendes, weiß bleibendes Papier, es hat Farbseiten, die auch nach 20 Jahren noch nicht in d Was für ein herrliches Kunstbuch! Es hat festes, reines, glänzendes, weiß bleibendes Papier, es hat Farbseiten, die auch nach 20 Jahren noch nicht in die Richtung von entweder Braun-Rot oder Dunkelblau-Grün absacken, es ist fest gebunden, es riecht gut, es hat eine vergleichsweise große Typo mit Flattersatz rechts, es hat viele ganzseitig abgebildete Kunstwerke und darunter dann immer wieder ein paar, denen zwei ganzseitige Ausschnittvergrößerungen nachfolgen. Was man bei so was wie „The Death of Eddie Polec“ von Daniel Heyman wirklich brauchen kann. Es ist von einem jüdischen Ostküsten-Intellektuellen, der selbst auch Maler ist. Seine Bilder sind von David Hockney beeinflusst, wie er selbst zugibt. Und er belässt es bei einem einzigen von ihnen. Weinbergs Buch wurde in Spanien gedruckt, wo man sich auf Herstellung guter Bildbände offenbar versteht. Allerdings, billig war es nie. Schon damals, vor fast 20 Jahren, als ich es im Angebot des schwulen Buchladens „Erlkoenig“ in Stuttgart entdeckt hatte, Luxus für mich. Aber damals lag eine feste, einigermaßen gut bezahlte Anstellung noch nicht lange hinter mir, was in meinem Leben eher die Ausnahme gewesen ist. Weinberg steigt ein mit Thomas Eakins' „Swimming Hole“, das er das erste bekannte Gemälde in der Kunstgeschichte der USA nennt, auf welchem mehrere ganz nackte Männer zu sehen sind. (Übrigens so, dass von keinem der Penis erkannt werden kann.) Gegenstand des historischen Überblicks ist der homoerotische Blick schwuler amerikanischer Maler auf die Körper anderer Männer. Damit sind leider die Caravaggios, Tsarouchis, Francis Bacons, Jean Cocteaus oder Rainer Fettings aus diesem Buch draußen. David Hockney scheint die Ehre seines Auftritts eher dem Einfluss zu verdanken, den er auf den Autor hatte, weniger seinem Leben in Süd-Kalifornien. Aber der Überblick wäre zu lückenhaft geworden, wenn er eine Art Weltgeschichte schwuler Malerei versucht hätte, wie das Edward Lucie-Smith in mehreren Anläufen versucht hat. Jonathan Weinberg, dessen Text zurückhaltend sachlich und hilfreich ist, weist auf die herausragende Bedeutung des Elements Wasser in der „schwulen Kunst“ hin, die sich oft nicht als solche zu erkennen geben durfte oder es sich nicht traute. Schwimmer also, Faune und Narzisse an Teichen und Quellen, duschende Sportskameraden, kalifornische Pools in Pornokinos, die Patrick Angus in New York malte. Auch der ominöse ungezogene Junge im Planschbecken von Eric Fischls „Sleepwalker“ taucht doppelseitig auf. Fotos, obwohl in der Minderheiten-Position, gibt es ein paar, so die Begegnung eines Ledermannes mit einem Unbekleideten in der Cruising Zone am New Yorker Hudson, von Arthur Tress durch ein halb offenes Tor der Docks aufgenommen, sodass man nur ihre Unterleiber erkennt. (Blick eines Cruisers, der in der verlassenen Lagerhalle wartet.) Und wenn dann schon Foto, dann durften Robert Mapplethorpe und Bruce Weber, obwohl beide keine meiner Favoriten, nicht fehlen. Weinberg hat im Allgemeinen die richtige Bildauswahl. Vor allem vor 20 Jahren, als ich es kaufte, waren das sehr erfreuliche Neuentdeckungen. Heute weiß ich meistens nicht mehr, ob sie sich in mein Bildergedächtnis fest eingenistet haben, weil ich dieses Buch immer wieder durchgeblättert habe oder weil sie anderswo noch oft reproduziert wurden. Winslow Homers schwarzer Schiffbrüchiger in „The Gulf Stream“. Charles Demuths tanzende Matrosen, Paul Cadmus' YMCA-Umkleide, Jared Frenchs nackte Künstler-Kollegen, Paul Wonners wartende Modelle mit Blumensträußen, Theophilus Browns Abspritzen, das sehr nach Bacon ausschaut, Patrick Webbs an AIDS sterbender Pulcinella, Lyle Ashton Harris' Selbstbildnis als Balletttänzerin mit Tütü. Leider ist das Buch auch schon wieder 20 Jahre alt und kommt ins 21. Jahrhundert gar nicht mehr hinein. Leider muss das letzte große Kapitel großenteils AIDS gewidmet werden und, damit schon auch verbunden, einer konzeptionelleren, diskursiven, politisierenden, nicht unmittelbar anschaulichen figurativen Kunst. David Wojnarowicz und Robert Gober waren einflussreiche Künstler, aber Sinnlichkeit und meine „male desires“ haben sie nicht verkörpert. ...more |
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Oct 29, 2024
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Hardcover
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3770153340
| 9783770153343
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| 1937
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Um gleich den seltsamen deutschen Titel zu klären: Das Schott hat tatsächlich, wie man sich unscharf erinnern mag, etwas mit Schiffen zu tun. Und wede
Um gleich den seltsamen deutschen Titel zu klären: Das Schott hat tatsächlich, wie man sich unscharf erinnern mag, etwas mit Schiffen zu tun. Und weder mit Nouakchott noch den Schotten. Ich dachte die ganze Zeit, es würde irgendsowas wie „Die Türe im Abseits“ bedeuten, aber gemeint ist eher eine verkeilte Türe. Im Original heißt das „The Crooked Hinge“, was man mit „Die verbogene Türangel“ übersetzen sollte. Das wiederum dürfte einen Beiklang von Wortspiel mitschwingen haben, etwas wie „Eine ganz vertrackte Schweinerei“. Gemeint ist schlicht eine Türe auf der sinkenden „Titanic“, die blockiert und zur Lebensgefahr wird. Im Buch kommt das erst sehr spät heraus und spielt fast keine Rolle. Sprich: Was immer er sagt, er ist ziemlich bedeutungslos, dieser Titel. (Die erste deutschsprachige Übersetzung hieß „Gesucht: ein Motiv“. Was lachhaft ist, denn Meister-Konstrukteur Carr denkt niemals vom Motiv her, wie vielleicht wirkliche Kriminelle, sondern von der Artistik einer Situation, auf die zu er dann alles und jedes so anlegt, dass es passt. Was sämtliche Charaktere, Wahrscheinlichkeit der Abläufe und eben auch Motive umschließt. Er kann sich das alles so einrichten, wie er es braucht, um die stupenden Zylindertricks zu zaubern.) Interessanter vielleicht, dass es mal eine Abstimmung über die besten Closed-Room-Mysterys aller Zeiten gab und das hier auf Platz 4 kam. Noch relevanter die Information, dass es in einem Landhaus in Südengland spielt, dass auf eine unglücklich verlaufende Liebesgeschichte von vor langer Zeit angespielt wird, dass gelegentlich mit der Idee gespielt, wird, eine Hexe könnte ihre Hand im Spiel haben, ja, Tote herumlaufen lassen, dass der reiche junge Mann, dessen Tod der eitle Doktor Fell bald meisterhaft auflösen wird (nachdem er uns Leser mehrfach in die Irre gelotst hat), von einem Überraschungsgast beschuldigt wird, gar nicht er selbst zu sein, also der legitime Erbe des Anwesens, sondern der Sohn eines Hochstaplers. Und eben, dass das Ganze mit einer offenen Rechnung von zwei Auswanderern auf der „Titanic“ zu tun hat, die ihre Identitäten vertauscht haben könnten. Klingt wie eine Menge. Ist noch nicht alles. Gleich zweifach tragen Verbrechen sich in geschlossenen, überwachten, unzugänglichen Zimmern zu (und es gibt einen Fell-Vortrag darüber), dann klappert noch eine ein grauenhaft zurechtgemachter Automatenmensch im Dachgeschoss herum. Am Ende reduziert es sich auf die Frage, wie ein und derselbe Mann einmal Pygmäengröße haben kann, zehn Minuten später als Zweimeter-Lulatsch herumgeht. Sie erahnen möglicherweise die wichtigste Vorabinfo. John Dickson Carr ist auf ständiges Dramatisieren und Übertrumpfen aus. Sein Rätsel benötigt fünf weitere, die es umschließen und als Waisenknabe erscheinen lassen. Ähnlich wilderte sich der Amerikaner in England, Carr, durch den Garten der englischen Landhauskrimis. Er kommt herein, wie die logische Folgerung und Synthese aus Conan Doyle, Dorothy Sayers, Agatha Christie, S.S. Van Dine und Ellery Queen (Carr gab gern damit an, praktisch alle Krimis, die es je gegeben hatte, analysiert zu haben), dann will er sie gegen die Wand drücken, in eine Besenkammer abschieben. Er muss der beste, der beeindruckendste, beklemmendste, grandiosesten Autor sein! John Dickson Carr schlachtet ein Systen von innen her in seinem Narzissmus, er ist komplett amoralisch, ein Macchiavelli, ein Donald Trump der Kriminalliteratur. Mit dieser Haltung kann er einem auf die Nerven gehen. Man darf ihm niemals tauen, er opfert jede Leiche für seinen Effekt. Er spielt uns den Fairen vor und manipuliert uns unablässig. Entweder bewundert man den genialen Taschenspieler oder man hasst den seelenlsoen Maschinisten. ...more |
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Oct 29, 2024
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Paperback
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3518387405
| 9783518387405
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| 1976
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Anfang der siebziger Jahre hatte Handke einen Frankfurter Verleger, den Herrn Dr. Unseld vom Suhrkamp Verlag, und er lebte in Kronberg am Taunus, in e
Anfang der siebziger Jahre hatte Handke einen Frankfurter Verleger, den Herrn Dr. Unseld vom Suhrkamp Verlag, und er lebte in Kronberg am Taunus, in einem Bungalow. Verheiratet war der österreichische Autor mit der Schauspielerin Libgart Schwarz und diese beiden hatten ein Kind, eine Tochter. Gegen Mitte der siebziger Jahre trennte sich dieses Paar (Scheidung allerdings erst Mitte der Neunziger). Das Kind blieb beim Vater und er zog um nach Paris. Wo er sich an ein Buch machte, das von einer Frau handelt, die ihren Ehemann, Bruno, eines Tages aus dem Bungalow am Taunushang wegschickt, das Kind, einen kleinen Jungen, alleine aufzieht, sich mit einem Frankfurter Verleger trifft, welcher ihr ermöglicht, Geld per Schreiben zu verdienen, nämlich als Übersetzerin von Büchern aus Frankreich. Bis auf die paar Stellen, auf die man bei Peter Handke immer gefasst sein muss, wo man sich dann sagt, dieser Typ hat offenbar kein Stil- und Grammatikgefühl und leider auch keinen Lektor hinter sich (wobei allerdings zahlreiche andere Stellen solche Ausfälle um ein Mehrfaches aufwiegen, weil sie traumhaft sind) ist der kurze Roman zwar etwas wunderlich, aber an sich wirklich nicht übel. Schlimm wurde die ganze Sache zu jener Zeit aber, weil Handke, dessen „Angst des Tormanns“ zum ersten größeren Spielfilm des Düsseldorfers Wim Wenders geworden war, der dann auch das Skript zur Wenders-Version von Goethes „Wilhelm-Meister“ („Falsche Bewegung“) erarbeit hatte, auf einmal selbst ein jung-deutscher Filmer zu sein wünschte und sogar das Geld für die Verfilmung der „Linkshändigen Frau“ zusammen brachte. (Damals wurde alles zur Hälfte vom WDR bezahlt und die männliche Hauptrolle bekam immer Bruno Ganz, der auch schnon so hieß.) Die Geschichte spielte dann nur noch in Paris und wurde mit der durch den Böll-Film „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ zum Alternativ-Star gewordenen rheinländischen Schauspielerin Angela Winkler gekrönt. Als nichts ahnender Abiturient lief man in der südlichen Provinz des westlichen Deutschlands in solche, für „wertvoll“ erachtete Vorstellungen, wenn am Ort schon mal was kam, das nicht Kung Fu, nicht Simmel, nicht Gunther Philipp, nicht „Drei Schwedinnen in Oberbayern“ war. Es war Folter. Angela Winkler, samt Schönheitswarze, als um Mutterschaft und weibliche Souveränität kämpfende Empfindsame war eine Folterknechtin. Nach vielen, vielen, ja sogar sehr vielen Jahren griff ich dann auch mal zur literarischen Vorlage. Und siehe da, es war ein partiell richtig lustiges Buch. Zwei Burschen gingen ganz nah an ihr vorbei und rülpsten ihr ins Gesicht. Sie gingen in eine öffentliche Toilette am Fluß, wo sie mit dem Kind, das sich nicht allein hineinwagte, in das Männerpissoir mußte. Sie schlossen sich in eine Kabine ein; die Frau machte die Augen zu und lehnte sich mit dem Rücken an die Tür. Über der Trennwand zur Nachbarkabine - die Wand reichte nicht bis zur Decke - erschien plötzlich der Kopf eines Mannes, der nebenan hochsprang; dann noch einmal. Dann zeigte sich das grinsende Gesicht des Mannes zu ihren Füßen, da die Trennungswand auch nicht ganz zum Boden ging. Sie flüchtete mit dem Kind aus der Toilette und rannte weg, stolpernd wegen des kaputten Schuhs. Als sie an einer ebenerdigen Wohnung vorbeikamen, wo schon ein Fernseher an war, flog da gerade ein riesiger Vogel im Vordergrund durch das Bild. Eine alte Frau fiel mitten auf der Straße vornüber, auf das Gesicht. Zwei Männer, deren Autos zusammengestoßen waren, liefen aufeinander zu, und der eine versuchte den andern zu schlagen, während dieser ihn nur festhielt. Es war fast Nacht und sie standen mitten in der Stadt, zwischen zwei Bankhochhäusern, an einer Imbißbude, wo das Kind eine Brezel aß; der Verkehrslärm war so stark, als sei eine gleichmäßige Katastrophe im Gang. Ein Mann trat gekrümmt an die Bude heran und verlangte, die Hand auf das Herz gepreßt, ein Glas Wasser, das er dann mit einer Pille schluckte. Peter Handke, Eckhard Henscheid, Wilhelm Genazino. Warum nur war „Drei Mann in einem Boot“ schon 1961 verfilmt worden und damals noch mit Kulenkampff, Walter Giller und Heinz Erhardt? ...more |
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Oct 28, 2024
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Paperback
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364117242X
| 9783641172428
| B071XRHTC6
| 4.29
| 73
| unknown
| Sep 11, 2017
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Oct 27, 2024
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Oct 27, 2024
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Kindle Edition
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3499432684
| 9783499432682
| 3499432684
| 4.12
| 14,456
| Jun 01, 1988
| unknown
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Business as usual, könnte man sagen. Die große Frage zur Serie der Navajo-Krimis des ehemaligen Lokaljournalisten Hillerman müsste lauten: Wieso wird
Business as usual, könnte man sagen. Die große Frage zur Serie der Navajo-Krimis des ehemaligen Lokaljournalisten Hillerman müsste lauten: Wieso wird andauernd jemand ermordet in diesem auf Hunderte von Meilen menschenleeren Teil der USA, der aus Wüste, Halbwüste, Trockentälern, Felsen, Canyons, vor Urzeiten vielleicht schon mal bewohnten Höhlen besteht? Und wieso erfahren wir in seinen Krimis viel Neues über die Kultur verschiedener Indianervölker, auch über Menschen, die vor Tausenden von Jahren hier gelebt hatten, dann im Dunkel der Geschichte verschwanden, aber vom konkreten Alltagsleben roter Menschen in den Südwest-USA ist kaum die Rede? Sondern von den zwei Navajo-Cops Jim Chee und Joe Leaphorn, von denen der eine unter dem Krebstod seiner Frau leidet, der andere ein Geistheiler werden will, und, wie diese beiden sich mit den Überlieferungen beschäftigen, wie man sich vor Zeiten die Schaffung der Welt, den Sinn des Lebens, Gerechtigkeit, Familienleben, Fairness, Tod und Wiedergeburt vorgestellt hat. Aber wohlgemerkt: früher einmal! Man braucht nur ein anderes Buch der Reihe vorher gelesen oder sich anderweitig über sie informiert zu haben, dann weiß man, dass Tony Hillerman ein altmodischer, allerdings fairer Autor von mehr oder weniger klassischen Detective Mysterys war. Es gibt den Mord am Anfang (meist nach einem ersten Kapitel, das höchst rätselhaft tut und allerlei Stammesspuk auffährt, das man jedoch getrost weglassen kann) und er wird am Ende dann geklärt und der Täter - auf irgendeine Art (!) - bestraft sein. Der Täter kann sich nicht irgendwo anders befinden, beispielsweise in den Reihen des organisierten Verbrechertums der Ostküste, sondern er muss das Buch über inmitten den darin vorkommenden Figuren gesteckt haben. Da nun aber, ein durchgehendes Kennzeichen bei Hillerman, die „eingeborenen“ Menschen dem Wertekosmos ihrer Altvorderen noch weitaus näher sind als die Weißen, die ihren an Geld, Macht und Ruhm verraten haben, darf man schon auch mal davon ausgehen, dass es keine „Hiesigen“ waren, die mehrere Leute getötet haben, sondern weiße Zugewanderte (eben auch keine mexikanischen!). Sobald diese Strukturen erkannt sind, fällt es oft sehr früh schon nicht schwer, den wirklichen Töter (hinter dem lange Zeit angebotenen) zu „erspüren“. Was all diese Bücher nicht spannender macht. Mit Business as usual meine ich: Große Teile des Romans spielen in extrem unzugänglichen Schluchten, wo kein Mensch sein dürfte. Von außen kommen Menschen hinzu, Anthropologen, um eine vorsintflutliche Kultur zu erforschen. Eine von ihnen verschwindet, treibt sich irgendwo draußen alleine rum, scheidet als Mörderin aber von selbst aus, da sie sowohl weiblich wie jüdisch ist. Es gäbe viel Geld zu verdienen, wenn man indigene Keramik ausführen und verkaufen könnte, was aber, wegen derer national-geschichtlicher Bedeutung strikt verboten ist. Wer bei so einem Handel die Finger drin hat, ist moralisch fragwürdig und der Schritt zur Tötung von Menschen ist nicht mehr weit. Gefühlt ist das genau der Inhalt von mindestens der Hälfte aller Leaphoron-Chee-Fälle! ...more |
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Oct 27, 2024
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Perfect Paperback
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3861873044
| 9783861873044
| 3861873044
| 3.90
| 914
| 1984
| 1997
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New York, 1968. Genre: Coming-out-Roman. Das ist sogar ein richtig toller Coming-out-Roman, if ever there was one! Leider der einzige Roman, den dieser New York, 1968. Genre: Coming-out-Roman. Das ist sogar ein richtig toller Coming-out-Roman, if ever there was one! Leider der einzige Roman, den dieser John Fox uns hinterlassen hat. Es geht um zwei Jungs aus kleinbürgerlichen Verhältnissen am nordöstlichen Rand New Yorks. Obwohl das Buch in den achtziger Jahren geschrieben wurde, spielt die Geschichte im Jahr 1968, als der Autor selbst noch 16 Jahre alt war. Ich kam vor Jahren an ein preisreduziertes Exemplar und wurde vom Howard-Roffman-Foto, das der, was Druckfehler angeht, auch hier wieder unzuverlässige Bruno Gmünder Verlag der nostalgischen Geschichte verpasst hatte, zur Annahme verleitet, ich hätte was aus den späten neunziger Jahren mit hedonistisch in ihrem Liebesglück schwelgenden Bel-Ami-Twens gekauft. Leider hatte schon das amerikanische Original diesen eher in die falsche Richtung weisenden Titel: „The Boys on the Rock“. In der Tat sind die beiden Jungs im Buch in einem Schwimmverein aktiv, aber sie sind noch Schüler, keine schwulen Erwachsenen, die den Sommer in schwulen Ferienorten in New England bei reichlich Fleischbeschau feiern. Vielmehr gehören sie einer Schicht an, wo man in diesen Monaten Ferienjobs nachgeht. Dank einer Tante des Ich-Erzählers kommen sie gegen Ende wirklich zu einem kleinen Urlaub am Meer, dort gibt es jedoch keine schwule „Boys“-Clique, vielmehr handelt es sich bei „den Jungs auf dem Felsen“ um eine Vision aus einem Traum des Protagonisten. (Dass man Bruno-Gmünder-Books am besten nie anhand ihrer Umschläge einschätzt, das hat man in jenen Jahren schon auch gelernt.) John Fox war eine Sache ganz klar: Schwule Jugendliche suchen sich das nicht aus, sich einer innerhalb ihrer Peer Group und Heimat verspotteten oder mit Nachrede bedachten Gruppe anzuschließen, um was Besonderes zu werden und bei gewissen Mädchen vielleicht Eindruck zu schinden. Oder um einen Krieg gegen ihre Väter zu führen. Oder um ein bequemeres Leben ohne Mühe machende kleine Kinder zu bekommen. Soweit es irgendwas zu entscheiden gibt, entscheiden sie sich erst einmal dagegen. Das ist wohl heute noch so und war auf jeden Fall bei einfachen Vorstadt-Leuten 1968 so. Aber es gibt eine starke Kraft, die das Wegschieben nicht zulässt, das ist der sexuelle Drang. Woraus für den guten Coming-out-Buch-Schreiber folgt, dass er, wiewohl es andere anders versucht haben, seine Geschichte nicht ohne Sex schreiben darf. (Der alle Mal mit 1-Mann-Betrieb anfängt.) Zu Beginn irritiert das Buch eine Zeitlang, weil unser Erzähler Billy Connors mehr oder weniger in schwulen Sexfantasien schwelgt und sich gleichzeitig daran macht, Mädchen abzuschleppen. Es gibt einige lustlose Dates. Dann überrumpelte er mich, der ich, wie gesagt, auf eine andere Auffassung von schwuler Jugendzeit eingestellt war, mit seinem politischen Engagement für einen Wettbewerber der demokratischen Partei um die amerikanische Präsidentschaft. Dahinter steckt allerdings vor allem seine Begeisterung für den braunhaarigen Italiener Al DiCicco, der sowohl etwas älter ist als Bill wie auch gewisse schwule Erfahrungen schon hinter sich hat. Der von ihnen per Plakatekleben und Handzettelverteilen unterstützte Politiker ist Eugene McCarthy, an den sich in Zentraleuropa kaum noch jemand erinnern dürfte. Der Mann, der am Ende gewann, war sowieso ein Republikaner, Richard Nixon. Der Mann, der vor ihm regierte, war ein Demokrat, Lyndon B. Johnson, der sich noch einmal zur Wahl hätte stellen können, aber verzichtete und am Ende mit seinem Votum für den mittigeren Kandidaten Humphrey den Ausschlag gegen die Nominierung des als Linker geltenden Vietnamkrieggegners McCarthy gab. Die größten Chancen hätte der Justizminister Robert Kennedy gehabt, doch der wurde ermordet. Diese politische Geschichte ist zwar immer wieder präsent, aber nicht essentiell für den Roman. Wesentlich entscheidender ist, dass der ältere Al zuerst so erfahren, wunderschön, moralisch integer, der Erzähler dagegen unsicher, ja verlogen erscheint, doch am Ende ist es Al, der seine Ideale verrät, und Bill, der seinen Weg konsequent weitergeht. Nebenbei: Das Hauptmerkmal guter schwuler Coming-out-Bücher ist nicht Händchenhalten, sondern Aufrichtigkeit. Billy ist ein ruppiger, hin und wieder beißend witziger Erzähler, der mit der Zeit Fehlentscheidungen wie das von dem Mädchen, dem er Liebe vorgespielt hat, einräumen muss. So glaubt er, das mit dem Schwulsein dank der Hilfe seines Schwimmtrainers zu packen. Der erweist sich als fast ebenso hinderlich wie die eigenen Eltern, die sich, vielleicht zum Glück, eher wenig um Billy, sondern mehr um ihre ewige Streiterei kümmern. Nicht alle hier vertretenen Reviewer waren so glücklich mit dem Buch wie ich. Man kann sich daran stoßen, dass Billy, nachdem ein paar Dutzend Seiten ins Land gegangen sind, mit einem Mal den Leser direkt anspricht und offenbart, dass er ihn aus Feigheit betrogen hat. Einem schwulen Coming-out-Jungen konnte ich das verzeihen. Und, wie schon angedeutet, das Buch hat kein Happy-End. So was können Young-Adult-Leser übelnehmen. Aber das Genre gab es damals noch nicht. Dass wir es mit einem Klassiker zu tun haben, obwohl die zeitgeschichtlichen Bezüge verjährt sind , macht das in Wikipedia gefundene Zitat von Edmund White deutlich: „Some of the brightest, funniest, most touching writing about adolescence … And if ever a book will give straight readers an exact sense of what it's like to grow up gay, surely The Boys on the Rock will.“ Autor John Fox zählt leider zu den vielen, die Anfang der neunziger Jahre, mit kaum mehr als 40 Jahren, an Aids verstorben sind. Beide Elternteile haben ihn überlebt. ...more |
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Oct 26, 2024
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Paperback
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3770154010
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Der zweite Auftritt des nach englischen Vorbildern gestalteten New Yorker Society-Mannes, Kunstsammlers und Gelegenheits-Meisterdetektivs Philo Vance
Der zweite Auftritt des nach englischen Vorbildern gestalteten New Yorker Society-Mannes, Kunstsammlers und Gelegenheits-Meisterdetektivs Philo Vance hat seinerzeit alle Rekorde gebrochen und aus dem Autor einen mit jedem seiner Romane verfilmten Publikumsliebling gemacht. Noch immer würde ich dieses Buch als Musterbeispiel eines Whodunits von S.S. Van Dine nennen, der sich zu lesen lohnt. Und immerhin heißt das ja, dass er die Vorlage für Jahrzehnte der Ellery-Queen-Firma geliefert hat. Es müsste zuvor allerdings klar sein, dass es sich um die hohe Kunst des selbstzweckhaften Jonglierens mit Mordmotiven, mehr oder weniger falschen Alibis und dem Verlassen von Mordschauplätzen, die man an sich nicht ungesehen verlassen kann, handelt. So etwas kommt heraus, wenn man die für sich schon sehr unwahrscheinliche Kriminalität der Sherlock-Holmes-Geschichten auf über 300 Seiten sorgfältig arrangierter Verwicklungen streckt. Ermordet in ihrer Wohnung wird die bekannte Broadway-Sängerin Margaret Odell, auch „Kanarienvogel“ genannt. Man wird sich in den nächsten Kapiteln mit ihren zahlreichen Männerbekanntschaften und dem Grundriss von Wohnung und Haus eingehend befassen müssen. Wofür es zum Glück sowohl ein Personenverzeichnis wie eine Lageskizze im flexibel eingebundenen Taschenbuch gibt. Man sollte sich damit anfreunden können, dass all dies geruhsam und gründlich ausgebreitet wird, wobei der stolze und geltungssüchtige Detektiv uns noch andauernd seine Kenntnisse der kriminalistischen Fachliteratur und der klassischen Künste auf die Nase binden will. Ohne gewisse Eingewöhnungszeit geht es nicht, jedoch schätze ich bei S.S. Van Dine, dass man in jedem seiner Kapitel den Eindruck hat, man sei der Lösung wieder ein Stück näher gekommen, und nicht, wie nicht zuletzt etliche Autoren der zwanziger und dreißiger Jahre es gemacht haben, man sei erst mal an den Mord-Haken genommen worden, anschließend müsse aber noch ein Mittelteil durchgestanden werden, in dem es dem Autor vor allem um Textvolumen zu tun war. Damals wurden Bücher doch erst ab einer gewissen Länge und Schwere ernstgenommen. Wie in etlichen klassischen Detektivgeschichten geht es um Geld, Eifersucht und Rache und das Opfer war nicht gar so unschuldig. Der Canary hat vermögende Männer nicht nur bestrickt, sondern sie dann auch erpresst. Wie fast üblich in jenen Tagen tappen die Behörden im Dunkeln. Der Gentleman-Detektiv versammelt alle Verdächtigen, nachdem er zuvor etliche Geschichten durchgespielt hat, die sich als falsch konstruiert herausgestellt hatten, am Ende zu einer Art Theaterrunde. Hierbei geht es um so brennende und soziologisch interessante Fragen wie die, ob man durch eine Tür gehen, sie danach von außen her an ihrer Innenseite abschließen, den Schlüssel anschließend verschwinden lassen kann. Also l'art pour l'art, vollkommen abgehoben, aber durchweg sehr gut gemacht! ...more |
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Oct 26, 2024
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Perfect Paperback
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| Mar 21, 2010
| Mar 21, 2010
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Vor diesem Buch muss gewarnt werden. Gründe, ihn als Mensch und Ereignis der deutschen Medienlandschaft sympathisch zu finden, gibt es bei diesem intel Vor diesem Buch muss gewarnt werden. Gründe, ihn als Mensch und Ereignis der deutschen Medienlandschaft sympathisch zu finden, gibt es bei diesem intelligent aussehenden Bartträger aus Schopfheim im südbadischen Wiesental (heute in Freiburg ansässig) wohl einige. Er ist Chefredakteur der Rockmusik-Zeitschrift „spex“ gewesen, hat dann das Feuilleton der FAZ leiten dürfen, obwohl er sich selbst als Marxist bezeichnet hatte, schreibt heute für das namhafte Blatt über Filme. Freihändig wirft der mit Lenin- und Schernikau-Zitaten um sich. Letzteres ein junger schwuler Mann aus Niedersachsen, der freiwillig nach Ost-Berlin übersiedelte, nicht lange nach der Wiedervereinigung an Aids gestorben. Was Dath außer Journalismus, Reden und Essays noch so geschrieben hat, Romane, Librettos, Graphic Novels, ist meist dem Genre Science Fiction zugeordnet worden. So auch das hier. Er wurde zum Suhrkamp-Autor und kam mit „Die Abschaffung der Arten“ auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis, mit seinem 1000-Seiten-Opus „Für immer in Honig“ zu einer Komplettlesung im Frankfurter Literaturhaus, die fürs Internet mitgeschnitten wurde. Dennoch, ich warne vor „Deutschland macht dicht“, im gleichen Jahr erschienen wie das ein wenig mehr Aufsehen erregende Buch ähnlichen Titels des Berliner Professors Thilo Sarrazin. Daths Buch ist ganz einfach Quatsch. Vielleicht haben die beiden das ja auch gemeinsam. Quatsch geht schon irgendwie noch; man lässt sich bisweilen gern unter Niveau bespaßen oder dumm-dreist provozieren. Aber dieser hier ist leider quälend und langweilig. Ich nehme an, die meisten, auch wenn sie mal drüber geschrieben haben, haben es gar nicht ausgelesen. (Aber die Lösung kann das nicht sein.) Übrigens wenn man sich im Internet nach des Buchs Spuren in Feuilletons seiner Kollegen umsieht, findet man Statements in etwa des Inhalts: „Unlesbar kann man es nun aber nicht nennen.“ Wieso denn nicht, fragte ich mich. Die Zeichnungen, die der Frankfurter Zeichner Piwi beigesteuert hat, sind hübsch geworden, erinnern an Robert Crumb und F. W. Bernstein. Was DD mit diesem Titel „Deutschland macht dicht“ sagen wollte, danach frage mich bitte niemand, es werden auch sonst nicht eben viele wissen. Jedenfalls geht es um eine apokalyptische Comic-SF-Katastrophe, bei welcher die Zeit- und Ort-Punkte eines Landes, das sich der Rest-Welt und Rest-Menschheit schon seit Ewigkeit überlegen fühlte, sich radikal verschieben und ineinander verdrehen. Einige Teile das Freiburger Münsters stehen deshalb in Berlin. Ein sprechender Käse läuft durchs Land und feuert Raketen-Kanonen ab. Sie ahnen, was ich mit Science Fiction und Quatsch meinte? Man träumt und wandert dabei in andere Zeitschichten des vierdimensionalen Raums über. Sie verstehen schon. Um auf eine Geschichte zu kommen, geht es um den Showdown zwischen zwei jungen Leuten, die uns wie füreinander bestimmt vorkommen. Hendrik, ein Abiturient, ob aus dem Wiesental, steht nicht dabei, und Rosalie Vollfenster, eine junge Dame, deren Vater Professor ist. Moment, der Showdown ist nicht zwischen diesen beiden, sondern sie fechten ihn gemeinsam aus gegen die Macht und die Macht heißt „Geld“. Das Geld ist eine unkonturierte Figur im Gespensternachthemd, die schweben kann. Das Geld hat seinen eigenen Wachhund, ein Monster, das Sumsilatipak heißt. Nur die intelligentesten Leser merken, dass man es von hinten lesen kann. Weiterhin erscheint ein allwissender Stoffhase namens Mandelbaum, dazu ein sprechendes und herumlaufendes Gemälde namens „Ohne Titel“, ein kommunistischer Opa, eine taube Nuss, ein Ausgestoßener und der arme Teufel. Kurz vor Ende dann noch Jesus als Cowboy und er praktiziert Kung Fu. Wegen der Globalkatastrophe hat der Nabel der Welt sich in die Bankenzone von Frankfurt am Main verlagert. Logischerweise ist dies der einzige Punkt, von dem aus sie zurückgespielt werden kann. Das erreicht, kann besagtes junges Protagonisten-Paar auf ein Insel-Paradiso der Erinnerungslosigkeit gebeamt werden. Nicht echt gebeamt, so ähnlich nur, es muss noch ein paar Überraschungen für Leser, die durchhalten, geben. Gut, okay, das klingt nach wie vor manierlich unterhaltsam. Kilgore Trout und Giorgio Agamben und was man als Spex-FAZ-Mann so gelesen hat. Aber wenn man es dann kauft und liest, ist es wie das größenwahnsinnige Wüten eines oberschlauen Oberstufen-Pennälers, bei dem alle anderen aus der Schülerzeitung ausgeschieden sind, weil er übergriffig und oberlehrerhaft war. Ständig geschieht was to-tahl Ab-ge-FAH-Renes! Genau beschrieben oder nacherzählt wird es nicht, sondern stets nur benannt. Beschrieben oder erklärt wird sowieso nie was. Dafür stehen ewig die komisch ersonnenen Figürchen am Bühnenrand und belabern sich mit Sachen, die abgefahren sind. Hin und wieder kam der tote Deutschlehrer aus mir raus und machte rote Schlangen am Rand, weil FAZ-Redakteure ordentliches Deutsch schreiben können sollten oder sollten können schreiben. Diese Beschreibung stimmte aufs Wort: Die integrierenden und ordnenden Teile des Weltmodells, das Hendriks Vater bis zu diesem Tag wie jeder Professor der Philosophie, der etwas auf sich hält, im Idealen und Geheimen gepäppelt und mit sich herumgetragen hatte, waren dank einer besonders anstrengenden Wahrscheinlichkeitsfluktuation aus der Gesamtanlage seiner Hirnbotanik herausgebrochen und im Kopf eines 46jährigen geschiedenen Versicherungskaufmanns im baden-württembergischen Ludwigsburg gelandet, der zum selben Inertialzeitpunkt, da der Professor auf den Raunzer der Millionärin so grundehrlich antwortete, plötzlich spürte, wie sich schwarmweise unwillkommene und nur scher assimilierbare Überlegungen zur Metaphysik und Soziologie der Kunst sowie den Werken von Benedetto Croce in seinem Hirn reckten und streckten, räkelten und aufbliesen wie liebeskranke Ochsenfrösche. Hilde Pinguin gab Professor Kilian nach seinem Amnesiebekenntnis einfach auf. „Horst Evers und seine Freunde“, bitte übernehmen Sie! ...more |
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Oct 25, 2024
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Paperback
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4.12
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it was ok
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Nov 15, 2024
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3.73
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Nov 14, 2024
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3.93
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did not like it
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Nov 13, 2024
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3.00
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did not like it
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Nov 12, 2024
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4.06
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liked it
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Nov 11, 2024
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2.00
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it was ok
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Nov 11, 2024
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3.60
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liked it
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Nov 10, 2024
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3.46
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it was ok
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Nov 09, 2024
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3.81
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liked it
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Nov 07, 2024
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3.31
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it was ok
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Nov 06, 2024
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4.00
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really liked it
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Nov 03, 2024
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3.60
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it was ok
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Oct 31, 2024
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3.91
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it was amazing
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Oct 29, 2024
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3.81
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liked it
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Oct 29, 2024
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3.21
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really liked it
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Oct 28, 2024
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4.29
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Oct 27, 2024
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4.12
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liked it
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Oct 27, 2024
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3.90
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it was amazing
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Oct 26, 2024
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3.68
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really liked it
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not set
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Oct 26, 2024
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3.55
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did not like it
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Oct 25, 2024
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