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Projektive Geometrie. Aus dem Nachlaß herausgegeben von G. Fleddermann und G. Köthe. (German) JFM 61.0658.12

VIII + 314 S. Mit 3 ganzseitigen Abb. und 251 Fig. im Text. Leipzig, R. Noske (1935).
Das vorliegende Buch hat Verf., der am 7. 4.1934 gestorben ist, fast vollendet hinterlassen; die Herausgeber haben nur einige Paragraphen aus den beiden letzten Kapiteln ergänzen müssen.
Während die projektive Geometrie gegenwärtig im allgemeinen nicht mehr rein synthetisch, sondern meist gemischt analytisch-synthetisch mit stärkerer Betonung des Analytischen vorgetragen wird, wird hier ein geschlossener rein synthetischer Aufbau gegeben. Koordinaten werden erst nach dem völligen Abschluß der Theorie im letzten Kapitel, gewissermaßen zur Abrundung des Stoffes, eingeführt. Ferner beschränkt sich Verf. grundsätzlich auf reelle Elemente. Die Darstellung vereinigt in vollendeter Form Knappheit des Ausdrucks, Anschaulichkeit der geometrischen Betrachtungen, Strenge der Beweisführung und Klarheit des logischen Aufbaus.
In Kap. I “Der projektive Raum, Verknüpfungseigenschaften” werden zunächst die Axiome der Verknüpfung ausgesprochen, im wesentlichen in der Hilbertschen Fassung und unter Hinzunahme des Euklidischen Parallelenaxioms. Dieses läßt dann die Einführung der uneigentlichen Elemente zu. Im Anschluß an die Axiome wird ferner das Dualitätsprinzip für die Ebene und den Raum ausgesprochen. Es folgen die Aufstellung der Grundgebilde nullter bis dritter Stufe und der Beweis des Desarguesschen Satzes. Das Kapitel schließt mit der Einführung der harmonischen Punktepaare am vollständigen Viereck (und des affinen Sonderfalles, der “Mitte zweier Punkte”), die zu den Anordnungseigenschaften überleitet.
Diese bilden den Gegenstand von Kap. II. Die Darstellung beginnt hier mit den Axiomen der Anordnung, im wesentlichen wieder in der Hilbertschen Fassung, und schreitet, da die diesen Axiomen zugrunde liegende Beziehung “zwischen” nicht projektiv invariant ist, zur Anordnung im Geradenbüschel und damit zu der projektiv invarianten Anordnung von zwei Elementepaaren fort. Aus dem weiteren Inhalt dieses Abschnitts ist bemerkenswert ein Abriß über Konfigurationen. Am Schluß wird ein vom Verf. als “Axiom der Lückenlosigkeit” bezeichnetes Stetigkeitsaxiom, das Axiom von der oberen Grenze, ausgesprochen; dieses wird in eine projektiv invariante, für beliebige Grundgebilde erster Stufe gültige Form umgewandelt; anderseits wird aus ihm das Archimedische Axiom hergeleitet.
Nachdem so in den beiden ersten Abschnitten der Grund für die projektive Geometrie gelegt worden ist, werden in Kap. III die projektiven Abbildungen untersucht; sie werden als Abbildungen erklärt, die durch ein- oder mehrmalige Ausführung der Operationen des Projizierens und Schneidens bewirkt werden. Für den Fundamentalsatz im Grundgebilde erster Stufe werden zwei Beweise mitgeteilt, deren einer vom Axiom der Lückenlosigkeit, deren andrer nur vom Archimedischen Axiom Gebrauch macht. Ferner werden projektive Abbildungen zwischen Grundgebilden zweiter und zwischen Grundgebilden dritter Stufe und schließlich affine Abbildungen besprochen.
In Kap. IV “Projektive Erzeugung von Gebilden” werden Kurven zweiter Ordnung und Kurven zweiter Klasse, ferner, als Erzeugnis zweier projektiver Punktreihen mit windschiefen Trägern, die Regelscharen und die Regelflächen zweiter Ordnung und, als Erzeugnis eines Geradenbündels und eines dazu projektiven Ebenenbündels, die allgemeine Fläche zweiter Ordnung besprochen.
In Kap. V “Abbildungen von Gebilden auf sich” wird die projektive Geometrie zum Abschluß gebracht. Hier werden die Fixelemente bei der projektiven Abbildung eines Grundgebildes auf sich, involutorische Projektivitäten, Polaritäten und die Polareigenschaften der Kurven zweiter Ordnung behandelt. Am Schluß steht eine Erörterung über den gruppentheoretischen Aufbau der Geometrie.
Während die affine Geometrie in diesen fünf Abschnitten mit behandelt worden ist, wird der metrischen Geometrie ein besonderer Abschnitt (Kap. VI) gewidmet. Verf. stellt drei Axiome für das Senkrechtstehen auf; diese besagen zusammen, daß die eigentliche Gerade \(g\) dann und nur dann auf der eigentlichen Ebene \(E\) senkrecht steht, wenn der uneigentliche Punkt von \(g\) und die uneigentliche Gerade von \(E\) einander bei einer gewissen Polarität ohne Fundamentalkurve in der uneigentlichen Ebene, der “absoluten Polarität”, entsprechen. Damit hat Verf. zunächst die Ähnlichkeitsgeometrie und die ähnlichen Abbildungen in sein System einbezogen. Zur metrischen Geometrie gelangt er, indem er eine Abbildung, die aus involutorischen ähnlichen Abbildungen zusammengesetzt werden kann, als kongruente Abbildung erklärt. Aus dieser Definition werden dann die (in den Hilbertschen Axiomen ausgedrückten) Eigenschaften der Streckenkongruenz gewonnen. Aus diesem Abschnitt ist ferner bemerkenswert ein dritter Beweis des Fundamentalsatzes der projektiven Geometrie, der ohne Stetigkeitsaussagen auskommt und mit dem bekannten Sonderfall des Pappus-Pascalschen Satzes für ein rechtwinkliges Geradenpaar und drei parallele Seitenpaare arbeitet.
In Kap. VII behandelt Verf. die nichteuklidische Geometrie; er geht dabei, wie Pasch, von der Geometrie in einem Raumstück aus und erweitert sie durch Einführung der unzugänglichen Punkte, Geraden und Ebenen, um dann zur näheren Untersuchung der Bolyai-Lobatscheffskyschen und der Riemannschen Geometrie überzugehen.
Auch Anwendungen der Theorie werden vorgetragen (Kap. VIII: Darstellende Geometrie). Verf. geht aus von der Zwei-Augen-Methode, bei der man die räumlichen Gegenstände aus zwei “Augen” auf zwei Bildebenen projiziert. Als Sonderfall wird am Schluß des Abschnitts das Grund-Aufriß-Verfahren durchgesprochen; auch die Axonometrie wird dort noch in die Betrachtung einbezogen und der Pohlkesche Satz bewiesen.
Koordinaten werden erst im Schlußabschnitt (Kap. IX) eingeführt: Sind \(u, o, e\) drei feste Elemente eines Grundgebildes erster Stufe \(\mathfrak A\), so heißt der “Skalar” (uoea) die projektive Koordinate des Elements \(a\) von \(\mathfrak A\). Projektiven Punktwürfen werden gleiche Skalare zugeordnet, und es wird das Rechnen mit Skalaren hergeleitet. Die von dem Skalar \((uoeu) = \infty\) verschiedenen Skalare heißen reelle Zahlen. Damit hat Verf. die Grundlage der analytischen Geometrie gewonnen. Als Anwendung werden unter anderm einige Tatsachen über Kurven \(n\)-ter Ordnung hergeleitet. Dabei wird die Bekanntschaft mit einigen Tatsachen aus der Algebra vorausgesetzt, während das Buch sonst keinerlei Kenntnisse fordert. (V 1, 5 A.)