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Versuch einer Theorie der elektrischen und optischen Erscheinungen in bewegten Körpern. (German) JFM 25.1632.01

Leiden. E. J. Brill. 138 S. \(8^\circ\) (1895).
Der Verf. nimmt an, dass die Elektricität mit Ionen verbunden sei, welche eine bestimmte Masse haben und von der übrigen ponderablen, nicht geladenen Materie nur moleculare Kräfte erleiden. Der Aether durchdringt den ganzen Raum, und die Ladung eines Ions geht von dessen Innerem nach dem reinen Aether stetig zu Null über, so dass man von einer räumlichen Dichte \(\varrho\) reden kann. Der Verf. bringt die bekannten Begriffe der Vectorentheorie, wie Divergenz und Rotation eines Vectors, in Anwendung und bezeichnet das Vectorproduct zweier Vectoren \(\mathfrak a\), \(\mathfrak b\) mit \([\mathfrak a, \mathfrak b]\). Im ersten Abschnitte werden die Grundgleichungen für den reinen Aether aufgestellt und mehrere hierauf bezügliche Sätze hergeleitet, im zweiten wird die Annahme gemacht, dass die ponderablen Körper, welche den Sitz der elektrischen Erscheinungen bilden, sich mit einer constanten Geschwindigkeit \(\mathfrak p\) durch den ruhenden Aether verschieben. Bezeichnet man nun mit \(\mathfrak d\) die dielektrische Verschiebung im Aether, mit \(\mathfrak S\) den elektrischen Strom, mit \(\mathfrak E\) die elektrische Kraft, mit \(\mathfrak H\) die magnetische Kraft, und ist \(\mathfrak v\) die Geschwindigkeit, mit der in einem metallischen Leiter die Ionen sich bewegen, \(V\) die Geschwindigkeit des Lichtes im Aether, so können diese Grössen sämtlich als Functionen der relativen Coordinaten \(x\), \(y\), \(z\) und der Zeit \(t\) betrachtet werden, und nach des Verfassers Theorie sind dieselben mit einander verbunden durch die Gleichungen \[ \operatorname{Div}\mathfrak d = \varrho,\quad \operatorname{Div}\mathfrak H = 0, \]
\[ 4\pi V^2\operatorname{Rot}\mathfrak d = \left(\frac{\partial\mathfrak H}{\partial t}\right)_1,\quad \operatorname{Rot}\mathfrak H = 4\pi \mathfrak S, \]
\[ \mathfrak S = \varrho(\mathfrak p+\mathfrak v) + \left(\frac{\partial\mathfrak{\delta}}{\partial t}\right)_1,\quad \mathfrak E = 4\pi V^2\delta + [\mathfrak p.\mathfrak H] + [\mathfrak v.\mathfrak H], \] wo \[ \left(\frac{\partial}{\partial t}\right)_1 = \frac{\partial}{\partial t} - \mathfrak p_x\frac{\partial}{\partial x} - \mathfrak p_y\frac{\partial}{\partial y} - \mathfrak p_z\frac{\partial}{\partial z}. \] Hieraus wird nun bei der Berechnung der von den Ionen auf einander ausgeübten Kräfte der Begriff der Compensationsladung hergeleitet, und es bestätigen sich die von Hrn. Budde aus dem Clausius’schen Gesetze gezogenen Schlüsse. Aus der Grösse des in einem linearen Stromleiter inducirten Gesamtstromes wird sodann das bekannte Inductionsgesetz \[ di = -Cd\int \mathfrak h d\sigma \] gefolgert. Es ergiebt sich der Schluss, dass die Erdbewegung die Induction nur um kleine Grössen zweiter Ordnung beeinflusst.
Im dritten Abschnitte werden die von oscillirenden Ionen erregten Schwingungen untersucht; die Amplitude und die gemeinsame Oscillationsdauer der Bewegung der Ionen wird als constant vorausgesetzt. In der Rechnung werden Grössen von der Ordnung \(\frac{\mathfrak p^2}{V^2}\) vernachlässigt, und die Lösung wird nur ausgeführt für den Fall, wo die Schwingungen nur von einem einzigen oscillirenden Ion erregt werden. In erheblicher Entfernung vom leuchtenden Molecül und in einem nicht zu sehr ausgedehnten Gebiete kann die Bewegung nahezu als ein System ebener Wellen betrachtet werden. Herleitung des Doppler’schen Gesetzes.
Der vierte Abschnitt enthält die Bewegungsgleichungen des Lichtes für ponderable dielektrische Körper, die sich mit der Geschwindigkeit \(\mathfrak p\) verschieben. Einführung des elektrischen Momentes der Volumeneinheit \(\mathfrak M=\frac1I\Sigma e\mathfrak q\), wo \(I\) der Inhalt einer kleinen Kugel ist, welche Ionen mit den Ladungen \(e\) enthält, die um eine Strecke \(\mathfrak q\) sich aus der Gleichgewichtslage entfernt haben. Weiter wird \[ \mathfrak D = \mathfrak d + \mathfrak M \] als die dielektrische Polarisation oder der Maxwell’sche Begriff “dielectric displacement” eingeführt. Es werden sodann die Grenzbedingungen untersucht, denen die Grössen \(\mathfrak D\), \(\mathfrak H\) an der Uebergangsschicht zweier Stoffe genügen müssen, wofür sich ergiebt, dass die normalen Componenten derselben, sowie die tangentiale Componente des Vectors \(\mathfrak H-4\pi[\mathfrak p.\mathfrak d]\) stetig sind. Um nun die Bewegungsgleichungen der Ionen aufzustellen, wird angenommen, dass eine Relation von der Form \[ \mathfrak E = F(\mathfrak M,\dot{\mathfrak M},\ddot{\mathfrak M},\dots,\mathfrak p) \] stattfindet, und aus der Umkehrbarkeit der Lichtbewegung in durchsichtigen Körpern folgt nun, dass, falls nur eine bestimmte Art homogenen Lichtes in Betracht gezogen wird, dieselbe sich zu \[ \mathfrak E = F_1(\mathfrak M) + F_2(\mathfrak M,\mathfrak p) \] vereinfacht. Für Körper mit drei Symmetrieebenen wird angenommen: \[ k_x\mathfrak E_x = 4\pi V^2 \mathfrak D_x + [\mathfrak p.\mathfrak H]_x, \] wo \(k_x\) eine Constante ist. Behufs Erklärung der Circularpolarisation wird in isotropen Körpern angenommen: \[ \mathfrak E = \sigma\mathfrak M + j\operatorname{Rot}\mathfrak M + k[\dot{\mathfrak M}.\mathfrak p], \] wo \(\sigma\), \(j\), \(k\) constante Werte haben. Diese Gleichungen werden im fünften Abschnitte auf die optischen Erscheinungen angewandt, zunächst mit Ausschliessung der Circularpolarisation. Der Verf. führt die neuen Variabeln \[ \begin{aligned} t' &= t - \frac1{V^2} (x\mathfrak p_x + y\mathfrak p_y + z\mathfrak p_z),\\ D' &= D + \frac1{4\pi V^2}[\mathfrak p.\mathfrak H]\end{aligned} \] ein und gelangt auf diese Weise zu dem nachstehenden Satze: Ist für ein System ruhender Körper ein Bewegungszustand bekannt, bei dem \[ \mathfrak D_x,\mathfrak D_y,\mathfrak D_z,\mathfrak E_x,\mathfrak E_y,\mathfrak E_z,\mathfrak H_x,\mathfrak H_y,\mathfrak H_z \] gewisse Functionen von \(x\), \(y\), \(z\) und \(t\) sind, so kann in demselben System, falls es sich mit der Geschwindigkeit \(\mathfrak p\) verschiebt, ein Bewegungszustand bestehen, bei welchem \[ \mathfrak D_x',\mathfrak D_y',\mathfrak D_z',\mathfrak E_x,\mathfrak E_y,\mathfrak E_z,\mathfrak H_x',\mathfrak H_y',\mathfrak H_z' \] eben dieselben Functionen von \(x\), \(y\), \(z\) und \(t'\) sind.
Aus diesem allgemeinen Satze werden einige Schlüsse gezogen; die Begriffe der absoluten und relativen Schwingungsdauer werden eingeführt, die Aberration findet Erklärung, und es wird gezeigt, dass die Bewegung der Erde auf Versuche mit terrestrischen Lichtquellen nach dieser Theorie nie einen Einfluss erster Ordnung ausüben kann. Aufstellung der Relation zwischen der Fortpflanzungsgeschwindigkeit ebener Wellen bei einem ruhenden und einem bewegten Körper. Ist \(n\) die Wellennormale und \(W'\) die Geschwindigkeit relativ zur ponderablen Materie, so ist \[ W' = W - \mathfrak p_n\frac{W^2}{V^2}, \] in Uebereinstimmung mit der bekannten Fresnel’schen Annahme. Besprechung der von Hrn. Fizeau und von den Herren Michelson und Morley angestellten Versuche. Für diesen Fall findet der Verf. nach seiner Theorie die Formel \[ W'' = \frac Vn \pm\mathfrak p\left(1 - \frac1{n^2} - \frac{\mathfrak p}n T\frac{dn}{dT}\right), \] wo \(n\) der Brechungsindex ist und \(T\) die Schwingungsdauer, während die genannten Forscher die Formel \[ W'' = \frac Vn \pm\mathfrak p \varepsilon \] gaben. Am besten scheint die Annahme \(\varepsilon=1-\frac1{n^2}\) zu sein.
Der sechste Abschnitt enthält eine Theorie der Circularpolarisation. Zur Lösung der allgemeinen Gleichungen wird gesetzt \[ \begin{aligned} \mathfrak H_x &= 0,\quad \mathfrak H_y = ae^{nt-mx},\quad \mathfrak H_z = \nu\mathfrak H_y,\\ \mathfrak E_x &= 0,\quad \mathfrak E_y = \frac nm\mathfrak H_z,\quad \mathfrak E_z = -\frac nm\mathfrak H_y,\end{aligned} \] wodurch sich für die Drehung der Polarisationsebene ergiebt: \[ \omega = -\frac{2\pi}{\sigma^2}n^2\left(1 + \frac{W\mathfrak p_x}{V^2}\right)j - \frac{2\pi}{\sigma^2}n^2W\mathfrak p_x k, \] wo \(n\) einen rein imaginären Wert hat. Schliesslich sind diesem Abschnitte einige Erörterungen hinzugefügt über Erscheinungen, die sich nicht ohne weiteres erklären lassen, nämlich den Michelson’schen Interferenzversuch und die von Fizeau in Ann. de Chim. et Phys. 1860 p. 129 angestellten Polarisationsversuche. Im ersteren Falle ist der Verf. zur Einführung einer schon vorher von ihm und Hrn. Fitzgerald ausgesprochenen Hypothese genötigt, während die Fizeau’schen Versuche mit der Theorie des Verf. im Widerspruch sind. Zuletzt wird aber gezeigt, dass die Erscheinungen dabei jedenfalls sich nicht so zugetragen haben, wie sie derselbe Forscher in seinen einleitenden Betrachtungen gedeutet hat.