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Vorlesungen über continuirliche Gruppen mit geometrischen und anderen Anwendungen. Bearbeitet und herausgegeben von G. Scheffers. (German) JFM 25.0623.02

Leipzig. B. G. Teubner. XII + 810 S. \(8^\circ\) (1893).
Beide Bücher verfolgen den Zweck, die Lie’sche Theorie der endlichen continuirlichen Transformationsgruppen weiter auszubauen; das erstere bildet den Abschluss eines systematischen Werkes (cf. F. d. M. XXIII. 1891. 364, JFM 23.0364.01), das letztere schildert eine Reihe interessanter Anwendungen und ist auch für Leser geeignet, die den Gegenstand noch wenig kennen.
Der Inhalt des ersteren Buches (siehe JFM 25.0623.01) kann in vier grössere Abschnitte zerlegt werden.
Im ersten Abschnitt werden die endlichen continuirlichen Gruppen von Punkttransformationen im Gebiete einer, zweier und dreier Variabeln (Gerade, Ebene und Raum), und unter ihnen wiederum insbesondere die projectiven Gruppen, klassificirt nach “allgemeinen”, resp. “projectiven” Typen aufgestellt.
Dabei gehören zwei Gruppen zu demselben allgemeinen, resp. projectiven Typus, wenn sie vermöge beliebiger, resp. projectiver Transformation der Variabeln in einander übergeführt werden können.
Im Gebiete der Geraden giebt es nur drei allgemeine Typen, diese sind, in kanonischer Form, die allgemeine projective Gruppe nebst den beiden Untergruppen derselben, welche zwei Punkte, resp. einen Punkt auf der Geraden festlassen.
Für die projectiven Typen spaltet sich nur die erstgenannte Untergruppe in zwei verschiedene, je nachdem die beiden festgehaltenen Punkte getrennt sind oder nicht.
Die Lösung der letzteren Aufgabe vermittelt wiederum die der umfassenderen, die Untergruppen der allgemeinen linearen homogenen Gruppe in zwei Variabeln zu bestimmen.
Es ergeben sich elf solcher Untergruppen.
Die Ermittelung der allgemeinen Typen von Gruppen der Ebene ist schon ungleich schwieriger. Beachtenswert ist, dass es von “primitiven” Typen, d. h. solchen, bei denen keine Curvenschar \(\varphi(x,y)=\) const. invariant bleibt, nur drei giebt, die sich wiederum je auf eine projective Normalform bringen lassen.
Daran schliesst sich die Bestimmung der für Anwendungen besonders wichtigen projectiven Gruppen-Typen der Ebene. Die Grundlage bilden die fünf eingliedrigen (d. i. von nur einem Parameter abhängenden) Typen; jede solche Gruppe lässt mindestens einen Punkt und eine durch ihn gehende Gerade invariant.
Im ganzen resultiren 35 projective Typen, deren infinitesimale Transformationen in einer Tabelle vereinigt werden; diese Tabelle lässt sich wiederum erweitern zu einer solchen für die linearen homogenen Gruppen in drei Variabeln.
Endlich im Raume werden die Rechnungen für die allgemeinen primitiven Typen durchgeführt, solcher giebt es acht; im übrigen werden nur die Methoden entwickelt.
Was die Erweiterungen auf den Raum von \(n\) Dimensionen angeht, so werden im zweiten Abschnitte einige, so zu sagen klassische Gruppen herausgegriffen; eine allgemeine Lösung der Aufgabe existirt noch nicht. Dagegen gelingt es, die wichtigsten Eigenschaften der endlichen continuirlichen Gruppen (cf. Bd. I) auf den Fall zu übertragen, wo die Transformationen derselben rein reell sind. Hierbei erfahren die Begriffe der Transitivität, Primitivität etc. eine gewisse Beschränkung. Die Natur der die Gruppe darstellenden Functionen (ob analytisch oder nicht) spielt dabei eine wesentliche Rolle.
Der dritte Abschnitt bringt eine eingehende Untersuchung der Grundlagen der Geometrie, soweit dieselben eben den Mitteln der Gruppentheorie überhaupt zugänglich sind.
Das Problem — als das Riemann-Helmholtz’sche bezeichnet wird so formulirt: “Es sollen solche Eigenschaften gefunden werden, die sowohl der Schar der euklidischen, als den beiden Scharen von nichteuklidischen Bewegungen zukommen, und durch die diese drei Scharen vor allen anderen möglichen Scharen (Gruppen) von Bewegungen einer Zahlenmannigfaltigkeit ausgezeichnet sind”. Die Merkmale für Bewegungen zerfallen dabei in zwei wesentlich verschiedene Klassen, je nachdem sie sich auf die infinitesimale Umgebung eines Punktes beziehen, oder aber auf endlich von einander entfernte Punkte. Demgemäss wird das Problem doppelt behandelt. Es wird beidemal ein System verhältnismässig einfacher (geometrischer und analytischer) Axiome aufgebaut, aus dem alle weiteren als Folgerungen fliessen.
Als besonderer Fortschritt gegenüber Helmholtz erscheint, dass von dessen vier Axiomen das letzte, das “Monodromie-Axiom”, überflüssig wird.
Im letzten Abschnitt werden allgemeine Betrachtungen über endliche continuirliche Gruppen entwickelt, die eine rein begriffliche Auffassung von den Beweisen der grundlegenden Sätze ermöglichen.
Ueberdies wird ein zusammenhängender Bericht über die gruppentheoretischen Leistungen anderer erstattet.
Ein vom Herausgeber ausgearbeitetes Namen- und Sachregister erleichtert das Studium des ganzen Werkes nicht unwesentlich.
Beim Bericht über den von Herrn Scheffers herausgegebenen Band können wir uns kürzer fassen, weil derselbe viel Gemeinsames mit dem eben besprochenen Bande (z. B. dessen erstem Abschnitt, ferner die Beweise der grundlegenden Sätze der Theorie u. s. w.) hat; der Unterschied liegt mehr auf der pädagogischen Seite, insofern hier mit einfacheren Mitteln operirt wird, entsprechend der engeren Begrenzung der Probleme.
Indessen wird in der zweiten Hälfte auch eine Reihe eigenartiger Anwendungen vorgetragen. So die gruppentheoretische Lösung der Frage, wie man entscheiden kann, ob zwei (analytisch gegebene) Curven oder Flächen “congruent”, d.h. durch Bewegung in einander überführbar sind.
Eine andere interessante Anwendung erlaubt die Theorie auf die höheren complexen Zahlensysteme.
Es handelt sich darum, welche Arten von Multiplication bei complexen Zahlen noch möglich sind, wenn nur das distributive und associative Gesetz nebst der Ausführbarkeit der Division vorausgesetzt werden.
Die Gruppentheorie greift hier insofern ein, als, wesentlich in Folge des associativen Gesetzes, die Multiplication zweier complexen Zahlen unmittelbar zur Bildung von Gruppen Veranlassung giebt. Schliesslich sei noch des Capitels über binäre Invariantentheorie gedacht; die Invariantentheoretiker insbesondere seien darauf hingewiesen, wie sich die üblichen Operationen in dem fraglichen Gebiete, vor allem die Differentiationsprocesse von Boole, Sylvester und anderer, in die Kategorien der Gruppentheorie einreihen.
Das Buch des Herrn Scheffers möge gerade den Studirenden, die daraus eine Fülle von Anregungen erhalten werden, aufs beste empfohlen sein.