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Analytic geometry of higher (order) plane curves. (Analytische Geometrie der höheren ebenen Curven. Deutsch bearbeitet von W. Fiedler.) (German) JFM 05.0341.01

Leipzig. Teubner (1873).
Die Salmon’schen Lehrbücher zeichnen sich vor anderen ebenso durch den Umfang und die Vollständigkeit des gebotenen Materials wie durch die Frische und Concision der Darstellung aus. Man erkennt allerwärts die Hand nicht des Referenten, sondern des Erfinders, der selbstthätig in die Entwicklung der Wissenschaft eingreift, und , indem er auf die Grenzen des Wissens aufmerksam macht, Jünger für dieselbe zu werben weiss. Zwar wird man nach systematischer Gliederung und einer schematisch-einheitlichen Behandlungsweise, wie man sie z. B. in französischen Lehrbüchern öfters antrifft, vergeblich suchen; dafür bieten die Salmon’schen Werke eine Fülle von Material und eine solche Auswahl von Methoden, dass ein Hauptvorzug in eben dieser Vielseitigkeit gefunden werden muss. Jedes einzelne Capitel bildet übrigens ein in sich abgeschlossenes und völlig abgerundetes Ganze. Diese Eigenschaften sicherten denn auch dem obengenannten Werk gleich bei seinem ersten Erscheinen einen ungewöhnlichen Erfolg zu. Die erste Aufgabe war bald vergriffen, ohne dass der Verfasser, der seine Thätigkeit inzwischen einem ganz andern Berufsgebiet zugewandt hatte, sich entschliessen konnte, eine zweite Auflage folgen zu lassen. Erst als er in Herrn Cayley einen Mitarbeiter gefunden hatte, der wie nicht leicht ein Anderer, im Stande war, durch Bearbeitung und Zusätze dem Buche die dem jetzigen Stande der Wissenschaft entsprechende Form zu geben, entschloss sich der Verfasser zu einer neuen Auflage, der mit dankenswerther Beschleunigung die deutsche Bearbeitung denn auch unmittelbar folgte.
Mit Rücksicht darauf, dass das Buch in vielen Partien völlig umgearbeitet worden ist, möge hier eine Zusammenstellung des Inhalts der neuen Auflage folgen.
Dieselbe zerfällt in 9 Capitel. Das erste handelt von den trimetrischen und Linien-Coordinaten und der Transformation derselben.
In dem zweiten von den allgemeinen Eigenschaften der algebraischen Curven handelnden Capitel werden zunächst aus Betrachtungen über die Zahl der Bestimmungsstücke Sätze über die Schnittpunkte zweier algebraischen Curven abgeleitet. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Unterscheidung der in Endlichen und Unendlichen gelegenen singulären Punkte einfachster Natur, vermittelst der Gestalt der Curvengleichung; wobei Gelegenheit genommen wird, den Begriff: “Geschlecht” (deviciency) einer algebraischen Curve einzuführen. In Art. 47 werden interessante Bemerkungen von Herrn Cayley über die Dualität zwischen den Singularitäten: Doppelpunkt, Doppeltangente etc. angeführt, deren weitere Verfolgung übrigens zeigt, dass die Figur für die Doppeltangente in Art. 46 zufällig gerade einen Ausnahmefall abbildet; in der Regel finden nämlich die zwei Berührungen zwischen Curve und Doppeltangente auf verschiedenen Seiten der Letzteren statt.
Das \(3^{\text{te}}\) Capitel, über Enveloppen, handelt von den Envelopen im Allgemeinen; ferner von den Methoden zur Aufstellung der Gleichung der Reciprocalcurve, von den Eigenschaften der Evoluten, Brennlinien, Parallelcurven, Fusspunktcurven etc.
Das \(4^{\text{te}}\) Capitel (metrische Eigenschaften der Curven) enthält die Sätze von Newton, Carnot, Cotes über die auf einer Geraden von einer Curve \(n^{\text{ter}}\) Ordnung abgeschnittenen Segmente, dann Sätze über gerad- und krummlinige Durchmesser und Brennpunkte von Curven \(n^{\text{ter}}\) Ordnung (nach einer Bezeichnung von Plücker).
Das \(5^{\text{te}}\) Capitel beschäftigt sich insbesondere mit den Curven \(3^{\text{ter}}\) Ordnung. An die Sätze über Durchschnittspunkte einer geraden Linie mit einer Curve \(3^{\text{ter}}\) Ordnung, schliesst sich die Auseinandersetzung einer neuen von Sylvester mitgetheilten Theorie der “Reste” von Schnittpunktsystemen auf einer Curve \(3^{\text{ter}}\) Ordnung, einer Theorie, die, wie dies in einem Anhang zur deutschen Ausgabe ausführlicher besprochen wird, kurz vor dem Erscheinen der englischen Ausgabe bereits von anderer Seite eine ausführlicher besprochen wird, kurz vor dem Erscheinen der englischen Ausgabe bereits von anderer Seite eine ausführliche Behandlung erfahren hatte. Ein interessanter Abschnit dieses Capitels ist der über die Eintheilung der Curven \(3^{\text{ter}}\) Ordnung in Classen nach der Art des Zusammenhangs und der gegenseitigen Lage der reellen Curvenzweige. Unterabtheilungen ergeben sich dann weiter aus der Natur und Lage der unendlich fernen Punkte der Curve. Es folgt ein Abschnitt über unicursale Curven \(3^{\text{ter}}\) Ordnung und ein grösserer Excurs über die Invarianten und Covarianten der ternären Formen \(3^{\text{ten}}\) Grades, letzterer übrigens anknüpfend an die canonische Form.
Das \(6^{\text{te}}\) Capitel über Curven \(4^{\text{ter}}\) Ordnung beginnt mit der Aufzählung der möglicherweise auftretenden Singularitäten, und beschäftigt sich dann, nach einer kurzen Uebersicht über die hiernach möglichen Curvenformen, mit der Aufstellung und Gruppirung der Doppeltangenten für den Fall allgemeiner und “bicircularer” Curven \(4^{\text{ter}}\) Ordnung. Die Bemerkung (\(\S269\), bez. 270), dass das letzterwähnte Problem für Curven \(4^{\text{ter}}\) Ordnung mit einem und für (allgemeine) solche mit zwei Doppelpunkten noch nicht behandelt sei, ist wohl nicht zutreffend. Das Capitel schliesst mit einem Abschnitt über Invarianten und Covarianten von Curven \(4^{\text{ter}}\) Ordnung.
In dem \(7^{\text{ten}}\) von den transcendenten Curven handelnden Capitel wird eine Anzahl bemerkenswerther Curven der genannten Art nebst ihrer Entstehungsweise angegeben, wobei auch den Rouletten ein kurzer Abschnitt gewidmet wird: ein Excurs, den Referent gerne ausgedehnter gesehn hätte, denn aus der Kinematik und , allgemeiner zu reden, aus der Theorie der unendlich vielen Transformationen dürften sich wohl noch Gesichtspunkte für das Studium der tanscendenten Curven und ihren Zusammenhang mit den algebraischen ergeben.
Das \(8^{\text{te}}\) Capitel enthält einen Abschnitt über die Cremonaschen (birationalen) Ebenentransformationen, vermöge deren jedem Punkt einer Ebene im Allgemeinen nur ein solcher in einer anderen Ebene entspricht und umgekehrt, ferner einer solchen über eindeutige Transformation einer gegebenen algebraischen Curve und die Unveränderlichkeit des Geschlechtes hierbei, über das Entsprechen von Punkten in einer solchen und das auf die Punkte einer Curve von beliebigen Geschlecht ausgedehnten Chasles’sche Correspondenzprincip.
Die im \(2^{\text{ten}}\) Capitel enthaltenen allgemeinen Betrachtungen über die Theorie der algebraischen Curven werden im \(9^{\text{ten}}\) Capitel durch eine Darstellung der von Cayley und Salmon für die Berührungspunkte der Doppeltangenten, durch Betrachtungen über die zu einer gegebenen Curve in einfacher invarianter Beziehung stehenden Curven, wie Hesse’sche etc. Curve, fortgesetzt. Es folgt ein Abschnitt über osculirende Kegelschnitte; den Schluss bildet ein kurzer Abriss über die Methode der Characteristiken von Curven- und insbesondere von Kegelschnitt-Systemen.
Die Behandlungsweise ist vorwiegend, jedoch nicht ausschliesslich, die analytische; hierdurch hauptsächlich unterscheidet sich das Werk von der bekannten synthetischen “Teoria delle curve piane” von Cremona. Der Hauptvorzug einer gemischten Darstellungsweise beruht in der Beweglichkeit, die der Autor dem Stoff gegenüber besitzt, und der Vielseitigkeit, in der er das Wesen der Dinge zur Anschauung bringen kann, Vorzüge, die das Salmon’sche Lehrbuch in vollstem Masse besitzt; ein Nachtheil dürfte darin erblickt werden, dass hochgespannten Anforderungen an Strenge nicht in jeder Hinsicht entsprochen werden kann, wenn ermüdende Weitläufigkeiten vermieden werden sollen. Es genügt jedoch dann meist eine desfallsige Andeutung zur Orientirung. Im Vorübergehn sei hier bemerkt, dass an einigen wenigen Stellen eine Andeutung darüber erwünscht gewesen wäre, dass der Beweis einer aufgestellten Behauptung nicht erbracht ist oder zu erbringen Schwierigkeiten macht.
Das ganze Lehrbuch ist mit interessanten und lehrreichen Beispielen und Aufgaben vielfach durchwoben.
Die deutsche Bearbeitung, von der bewährten Feder des Herrn Fiedler, schliesst sich würdig an die englische Ausgabe an; in knapper präciser Sprache giebt sie den Inhalt des Originals in freier Bearbeitung wieder. Einige kleine Irrthümer mögen hier berichtigt werden: Seite 125 drittletzte Zeile muss es statt parallel: senkrecht heissen; S. 126 statt \(\cos^{\frac{1}{3}}\omega: \cos\frac{\omega}{3}\); S. 390 dürfte statt Verbindungspunkt etwa: Vereinigungs- oder Coincidenzpunkt zu setzen sein; S. 385 unten: Die zugehörige Bemerkung (77) des Literaturnachweises war nach dem Referenten vermuthlich wegen eines Druckfehlers im Text nicht verständlich. Leider ist ihm die betreffende Arbeit nicht zugänglich gewesen. S. 392 letzte Zeile ist das Wort: daher zu streichen; S. 451 in der Formel für (11111) darf das Glied \(-2m^2n^2\) nur einmal vorkommen, statt \(\frac{113}{25}\) muss (nach einer Mittheilung des Herrn Zeuthen) \(\frac{113}{24}\) gesetzt werden (die letzte Correctur ist auch in der englischen Ausgabe anzubringen).
Steht die deutsche Ausgabe, was den Vortrag anlangt, hinter dem englischen Original nicht zurück, so besitzt sie einen unzweifelhaften Vorzug vor demselben in dem reichen von Herrn Fiedler gegebenen Literaturnachweis am Schlusse des Werks. Mit grösster Vollständigkeit und vielfach interessanten orientirenden Bemerkungen werden die einschlagenden älteren und neueren Arbeiten citirt und kurz besprochen und so Gelehrten wie Studirenden eine bei der dermaligen Zersplitterung der Literatur höchst werthvolle Zugabe gewährt.

MSC:

51N20 Euclidean analytic geometry
51L10 Directly differentiable curves in geometric order structures
53C75 Geometric orders, order geometry
51-03 History of geometry
14-03 History of algebraic geometry
01-01 Introductory exposition (textbooks, tutorial papers, etc.) pertaining to history and biography