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| Apr 24, 2015
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Inge Hannemann ist eine ehrenwerte, unerschrockene, energische Frau und hinfort hat sie auf dem Kerbholz, diesen Buchtitel an sich gerissen zu haben.
Inge Hannemann ist eine ehrenwerte, unerschrockene, energische Frau und hinfort hat sie auf dem Kerbholz, diesen Buchtitel an sich gerissen zu haben. Es ist zwar überfällig gewesen, steht Hannemanns Buch aber nicht zu. Medienresonanz hat sie bekommen, das ist nachvollziehbar, die eigentliche Problematik verdrängen aber sowohl diese Medien wie auch Frau Hannemann selbst. Also: ein verschenktes Aufrüttel-Taschenbuch. Liest man über die Autorin ein wenig im Internet, findet man, dass für ihre Zähigkeit stehen soll, dass sie seit der Kindheit unter Rheuma leidet, Behinderte ist, dennoch keinen Tag ohne ihren Laufsport verbringt. Hannemann ist in Norddeutschland geboren, in den achtziger Jahren im liberalen, bildungsbürgerlichen Klima des Markgräflerlands in Südbaden aufgewachsen, hat in Freiburg in Bürojobs gearbeitet, qualifizierte sich in mehreren Stufen zur freien Trainerin und als Coach. Sie wechselte nach Hamburg, arbeitete ein paar Jahre als Freie Dozentin für Bildungsträger, die das Arbeitsamt mit Fördergeldern versah, um sich am Ende initiativ beim Jobcenter zu bewerben. Man stellte sie ein zur besonderen Vermittlung von Unter-25-Jährigen und schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen. Schnell bekam Inge Hannemann die allseitige Verbitterung im Haus mit, sowohl bei den sogenannten „Kunden“ wie bei deren Fallmanagern. Es machte sie kritisch. Sie sah sich in Betroffenenforen im Internet um. Ein, wie ich aus eigenen Erfahrungen mit Betreuern der Jobcenter beisteuern kann, alles andere als üblicher Schritt. Dann machte sie ihren eigenen Blog zum Thema auf. 2013 wurde sie suspendiert, sie hätte sich illoyal zum Dienstherren verhalten und unter Kunden eine Stimmung geschürt, die das Risiko körperlicher Angriffe auf Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung erhöhte. Für die Medien, zumal nach Herausgabe dieses Taschenbuchs, wurde Hannemann „die Hartz-IV-Rebellin“. Bei der nächsten Bürgerschaftswahl stellten die Linken sie als Kandidatin auf (mit einem Listenplatz ohne Chance, ein symbolischer Akt). Ganz zutreffend erkennt Inge Hannemann, dass die Hartz-Sätze von Anfang an mit Bedacht zu niedrig bemessen worden waren. Die vom Verfassungsgericht postulierte „angemessene Teilhabe am bürgerlichen Leben der deutschen Gesellschaft“ ist allein auf dieser Grundlage nicht zu machen. (Unausgesprochen scheint immer die Annahme mitgeschwungen zu haben, dass die Leistungsbezieher sowieso noch andere Quellen zur Verfügung haben, Schwarzarbeit, Mini-Jobs, angesparte Reserven aus Erbschaften oder früherer Tätigkeit, die nach und nach jetzt aufgezehrt werden, Verwandte und Freunde, die ihnen dauerhaft helfen. Wer all das nicht hat, schaut in die Röhre und kann Flaschen sammeln und Lebensmittel nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums von der „Tafel“ holen. Sag mir jetzt bitte keiner, das würden die dort nicht machen! Ich war lange genug dort.) Hinter „Fordern und Fördern“ stecke, meint die Autorin, neoliberales „Nicht leben und nicht sterben“, auch „Marktanreiz“ in einer modernen, liberalen Angebotspolitik genannt. Wer lang genug getriezt wurde, wird irgendwann alle Arbeitsbedingungen als Segen akzeptieren. Das senkt auf Unternehmerseite die Kosten, ist kapitalistisch also gut und sinnvoll und macht irgendwen reicher, vielleicht sogar uns alle. Versprochen wurde vom Kanzler und Genossen der Bosse ein Befreiungsschlag, nach dem mehr Leute Arbeit hätten und der Staat weniger Schulden machen müsste. Nach den Reformen von 2005 änderte sich erst einmal wenig, außer dass eine Bevölkerungsgruppe zu Pariahs gestempelt wurde. Dann riss das Hochtechnologie-Export-Wunder das Steuer herum, was vor allem die Reichen reicher machte und die europäische Konkurrenz innerhalb der EU ärmer. Es ist eine heilige Kuh, allenthalben gesehen, möglichst nicht bemerkt. Ein wichtiger Aspekt der „Reformen“ betraf auch nicht die Langzeitarbeitslosen, sondern die in Arbeit, die nicht so sehr viel verdienen. Sie wussten nunmehr, wenn du nicht mehr mitmachst oder nicht mehr mitmachen kannst, bekommst du ein Jahr lang Arbeitslosengeld, für das du vorher eingezahlt hast, dann allerdings bist du bei den Hartzern gelandet. Wer dort erst mal ist, kommt selten noch mal hoch. Eine neue große Koalition bildete sich zwischen Unternehmern und Gewerkschaften: Lieber billiger produzieren, weil der Produzierende freiwillig auf einen Teil seines an sich gerechten Anteils am Wertzuwachs durch bessere Produktivität verzichtet, als hinnehmen, dass die schlechter gestellten Lohnabhängigen in anderen Ländern deren schlechtere Produkte auch noch deutlich preiswerter machen. Von solchen ökonomischen Abläufen weiß die Coach-Frau Hannemann allerdings nichts. Immerhin ist ihr klar, dass dieses Land jeden Armen sofort als Drückeberger stigmatisiert, der es selbst in der Hand gehabt hätte, aber offenbar nicht wollte. Die Autorin weiß, dass der Staat Unsummen an Subventionen in die Privatwirtschaft verschiebt. Das, was jeder Kapitalist sowieso tun sollte, nämlich das beim Herumliegen wertlose Kapital in modernere Produktion zu investieren und nebenbei Menschen in gut bezahlte Arbeit zu bringen, damit sie dann auch die Mittel bekommen, eine Deflation mittels Konsum zu verhindern, wird zur Gemeinschaftsaufgabe des Staats ernannt: Er hätte Unternehmer dafür zu bezahlen, dass sie ihre Leute bezahlen. Hier dämmert uns Inge Hannemanns schwarzes Monster herauf, das sie (zutreffend) im System der deutschen Jobcenter erkannte, das aber wohl doch nicht so sehr die Wurzel allen Übels ist, wie sie das wohl gerne hätte. Dass nämlich allenthalben eine Erfolgskontrolle mit Hilfe von Zahlen stattfindet, also auch im Vergleich der Vermittlungszahlen unterschiedlicher „Teams“ innerhalb ein und desselben Jobcenters. Was ganz schnell auf übelste Augenwischerei herausläuft. Leute im x-ten Bewerbungstraining parkieren, jedes Hinschicken wird nämlich als „Vermitteln“ angerechnet. Langzeitarbeitslose zu Zeitarbeitsfirmen schicken, wo man weiß, in drei Monaten sind die wieder hier, aber zuerst einmal hat man sie vermittelt; es schönt die Statistik. Nachdem die Geschäftsführung bereits durch meine harmlosen Veröffentlichungen auf meinem ersten Blog aufgeschreckt worden war und mich zum Schweigen bringen wollte, war ich gespannt, was nun folgen würde. Mir war klar, dass man mich beobachtete und meine Seite „hinabflogt“ regelmäßig las, und als mich eines schönen Tages im Oktober 2012 eine Kollegin aus der Zentrale privat anrief, war ich nicht weiter überrascht: Sie informierte mich darüber, dass ich Thema in einer Sitzung gewesen sei. Meine Aktivitäten im Netz wurden schon seit längerem verfolgt. Sowohl auf meinen Blogs als auch in den Erwerbslosenforen. Sie meinte, dass meine „Schreibaktivitäten im Internet in der Zentrale schwer unter Kritik stehen“. Nach der Hallstein-Doktrin der sechziger und dem Radikalenerlass der siebziger Jahre dürften die Hartz-Maßnahmen unter Bundeskanzler Schröder das größte Politikversagen aus 70 Jahren Bundesrepublik Deutschland darstellen. Inge Hannemann erzählt, wie ein junger Mann, dem sie seine Ehrlichkeit glaubt, zum Aufstocker-Hartzer, also einem mit befristeter Nebenarbeit wird, weil ihm Jobcenter-Kurse und die Leiharbeit bis da stehen, dann aber gezwungen wird, seine Arbeit sein zu lassen und an einer weiteren Qualifizierung von Seiten des Jobcenters teilzunehmen. Derlei Bildungsmaßnahmen werden vielfach von gemeinnützigen Privaten durchgeführt, beispielsweise der Diakonie oder dem Paritätischen, werden jeweils en bloc für ein ganzes Jahr im Voraus verkauft und dann müssen Jobcenter-Vermittler sie auf Teufel komm raus mit Teilnehmern füllen. Es geht ins Controlling ein, ins Zahlen-Rennen. Frau Hannemann erlebte in ihrem Jobcenter einen Burnout und griff nach Davids Schleuder. Sie machte einen Blog auf, ging irgendwie an die Öffentlichkeit. Damit wurde sie zur Feindin im Kollegenkreis. Leider hat Hannemann keinerlei makroökonomisches Konzept. Sie setzt auf ein allgemeines bedingungsloses Grundeinkommen, ein Wundermittel, das nicht zufällig von mehreren Unternehmern auf den Plan gestellt worden ist. (Die es dann nicht zahlen müssen, aber die Kräfte abbekommen, die mit viel Engagement ihren persönlichen Aufstieg suchen.) Hannemann schreibt aus der Empathie ihrer Einzelfälle heraus. „Meine 25-Sub waren so wunderbare Menschen, in denen enormes Potenzial steckte, auf das nie einer geachtet hat.“ Sie hat ja Recht. Das Hartz-System hat Misstrauen, Überwachung, Druck und Strafe an die Stelle von Ethik gerückt und das sozialen Fortschritt genannt. Es setzte die Denke des 19. Jahrhunderts wieder in Kraft. (Inzwischen heißt es „Bürgergeld“ und wird aus parteitaktischen Gründen, wider besseres Wissen, von CDU und FDP für das Päppeln von Faulpelzen ausgegeben. Die Wahrheit ist: Der alte Hartz-Wahnsinn der Nullerjahre ist geblieben.) Damit wird dieses Gemeinwesen die Aufgaben der Zukunft nicht bewältigen. Weiter-so oder Wieder-wer ist in Wahrheit unser aller Option für den Abstieg gegenüber wirklich dynamischen Gesellschaften. Wer dem Einzelnen nicht vertraut und ihm Spielraum und Freiheit schenkt, wird Mittelmaß und eifersüchtige Duckmäuser und Denunzianten ernten. Hannemann wollte das innerhalb eines Jobcenters umdrehen. Den Menschen glauben, ihnen keinen Druck, sondern Angebote, die wirklich wohin führen, machen. (Mir sind nur Lagerhelfer und der immer gleiche Lebenslauf-Redaktions-Kurs begegnet.) Ihre Kollegen erkannten eine Gefahr in ihr. Sie untergrub die Glaubwürdigkeit der jeweiligen Schreibtische. Inzwischen zitiert wieder jede TV-Talkshows die Ansichten der Jobcenter-Mitarbeiter. Als würden die sich nicht sieben Beine dafür ausreißen, ihren Schreibtisch behalten zu dürfen. Aber Inge Hannemann ist eine 150-Prozentige. Sie postet die von ihr erlebten dienstlichen Vorgänge als „Meinungsäußerung“. Sie verschließt sich allen Warnungen, in der Pharmaforschung könne auch nicht jeder einzelne Beschäftigte die Aufgabe an sich reißen, der Öffentlichkeit die Augen zu öffnen, was da alles so getrieben wird. Sie bekommt es zu tun mit einer 23-jährigen Schulabbrecherin, die seit Jahren Schauspielerin werden will. Die hat schon ihre Sedcards zusammen, hat mal da, mal dort mitgespielt, doch keine Schauspielschule nahm sie. Im persönlichen Gespräch überzeugt sich Hannemann davon, dass diese Frau so eine Energie ausstrahlt, dass auch ein Theaterpublikum sie lieben wird. Etwas derartiges habe ich bei Frau Hannemanns Kolleginnen (es sind zur übergroßen Mehrheit Frauen, auf den unteren Karrierestufen selbstverständlich) niemals erlebt. Vielmehr hat mir eine zu verstehen gegeben, wenn ich unbezahlt irgendwelche Texte fürs Internet schriebe, könne man mir den Zeitaufwand vom Hartz-Anspruch abziehen, ich stünde faktisch nicht voll der Arbeitsvermittlung zur Verfügung. Im angenehm lesbaren Deutsch ihrer Ghostwriterin Beate Rygiert unterhält Inge Hannemann uns mit etlichen Tageserlebnissen („dann ging das Kennwort nicht“), läuft hin und wieder zu Fundamentalkritik auf (���Die Leute werden in Mini-Jobs hinein sanktioniert, von denen keiner leben kann, damit sie als „in Arbeit vermittelt“ gezählt werden können, der Steuerzahler zahlt anschließend ihr Aufstocker-Hartz, damit ein Boss die Konkurrenz unterbieten kann, wenn sie noch Tariflohn zahlt“), kann den mit dem Titel des Buchs erhobenen Vorwurf einer „Diktatur“ allerdings nirgendwo untermauern. ...more |
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Nov 09, 2024
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3498035436
| 9783498035433
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| Jan 19, 2009
| Jan 16, 2009
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Oft sind die preisenden Worte der Buchumschläge, genau die, wegen denen man es gekauft hat, auch schon die gewesen, die einen hätten warnen sollen. Fü
Oft sind die preisenden Worte der Buchumschläge, genau die, wegen denen man es gekauft hat, auch schon die gewesen, die einen hätten warnen sollen. Für Daniel Kehlmann lautet die meistgebrauchte Einschätzung: „intelligent“. Auf Umschlag und Seite 4 dieses Taschenbuchs lautet das so: FAZ: „... ein Buch von funkelnder Intelligenz“, Die Welt: „... ein raffiniertes literarisches Bravourstück“, DeutschlandRadio Kultur: „... ein hochintelligentes Buch und zugleich ein Lesevergnügen“, Rowohlt Verlag: „... tiefgründig und elegant erzählt“, Weltwoche: „... hat mit seinem neuen Roman Weltliteratur geschaffen“, NZZ: „Er scheint alles zu können“, NZZ am Sonntag: „... brillant“. Wie eigentlich immer, wenn so was dort steht, stimmt es irgendwie ja auch, nur wird man bis zum Ende damit nicht so glücklich bleiben, wie man sich hier noch dachte. Daniel Kehlmann, der Alleskönner, der selbst Selbstironie beherrscht, lässt die Figur Leo Richter, sein Alter Ego als Schriftsteller, so auftreten: „... der Autor vertrackter Kurzgeschichten voller Spiegelungen und unerwarteter Volten von einer leicht sterilen Brillanz.“ „Ruhm“ ist ein Roman „aus Kurzgeschichten“. Daniel Kehlmann war auch bisher schon immer der Mensch, der erst einen Bauplan, der so was wie einen philosophischen Gedanken veranschaulicht, im Kopf gehabt hat und anschließend dann eine fiktive Erzählung darum herum windet: die Figuren, ihre Charaktere, Berufe, Verwandtschaftsverhältnisse, Leidenschaften, die Schauplätze, Jahreszeiten, das Wetter, Passanten, die kurz vorbei streichen und dabei die erfundenen Figuren als echt beglaubigen. Sagen wir mal: Nebel, Umleitung eines Zürich-Flugs nach Basel, Umsteigen in einen Schnellzug nach Zürich. Weil der Autor nicht so schnell in der Schweizer Sterbeklinik ankommen möchte wie seine Figur, weil seine Figur vorher noch jemanden treffen soll. Die Figur selbst ist aber auch nicht als bemerkenswerter Mensch da drin, sondern weil der Autor das Thema Sterbehilfe braucht. Es kommt dann halt immer der Verdacht auf, alles wäre „vermittelt“, hergeleitet, irgendwie sekundär. Ein Bücherwurm in einer Bibliothek voller abendländischer Geistesgeschichte. Er ahnt schon, heute reicht Exzerpieren aus alten Büchern nicht mehr, man muss vernetzt sein und im Internet kommunizieren. Er eignet sich das an. Kehlmann macht so etwas wie einen kontaktunfähigen Promi-Stalker aus ihm. Ich wette, so einen Menschen hatte Kehlmann in seinem wirklichen Leben noch nie gekannt, bevor er ihn für dieses Buch beschrieben hat. Er wusste allerdings genau, welchen Zweck die Figur im Mechanismus seiner kleinen Erzählung erfüllt. Ein leitender Angestellter aus der Telekommunikations-Branche traut sich an eine Doppelexistenz mit zwei Frauen heran, die nichts von einander wissen. Aufs Mal geht eine Art Meteoritenhagel unglücklicher Zufälle gegen ihn los, sodass er irgendwann das Auffliegen des Betrugs innerlich schon vorweggenommen hat, bevor es da ist. Ein Lügner, der sich in seinen eigenen Stricken verfängt. Wo doch jeder halbwegs erfahrene Leser schon gleich geahnt hatte, wie so eine Geschichte ausgeht, Achtung, jetzt der postmoderne Trick von Kehlmann: dann kann die Figur im Buch es doch auch schon wissen! Wenn der Mann nackt im Hotelzimmer ist, während er ganz woanders sein sollte, klopft es an der Tür und er weiß sofort, dass er aufgeflogen ist. Jetzt, zweiter postmoderner Kniff, bricht der Text ab. Wir erfahren nie, wer geklopft hat. Selten war Klopfen so spannend. Eine alte, krebskranke Frau fliegt nach Zürich, um sich euthanasieren zu lassen. Unterwegs merkt sie, dass sie wohl doch eher weiter leben möchte. Weil sie in einer Geschichte (die der schon genannte Autor Leo Richter geschrieben hat) steckt, bittet sie diesen Autor, das Ende zu ändern. Nach etwas Widerstand gibt (der) Richter nach und lässt sie leben. Bloß aus dem Buch ist sie natürlich draußen. Einfach nur eine alte Frau ohne Tod, das interessiert den Leser nicht länger. Der auch schon erwähnte Promi-Jäger kommt in Kontakt zum berühmten Autor Leo Richter. Er seinerseits will mehr oder weniger das Gegenteil, nämlich nicht aus dem Buch hinaus, sondern in es hinein, ein „Held“ werden, damit er endlich ein eigenes Leben hat. Die beiden freunden sich wunderbar an, allerdings vor allem in Form einer Alkoholorgie, sodass sie morgens mit dickem Kopf und in einem verwüsteten Zimmer aufwachen. Der Besucher ist enttäuscht, jetzt ist er doch nicht interessanter Teil eines viel gelesenen Buchs geworden. „Aber bist du doch!“, sagt Richter/Kehlmann. „Das war auch schon wieder eine Geschichte und jetzt ist sie aus.“ Auf einer Lesereise durch Südamerika setzt Richter, der Berühmte, mit allerlei Eitelkeiten und seiner Flugangst seiner Freundin zu, die er noch nicht lange hat. Diese Elisabeth ist Ärztin, praktizierende Humanistin, und möchte auf gar keinen Fall in seiner Literatur verbraten werden. Als „Ärztin ohne Grenzen“ gerät Elisabeth in den Wirbel eines Bürgerkriegs. Was sie tut, ahnt Richter, ist vielleicht viel essenzieller als, was er da treibt. Er cancelt seine Lesereise, begleitet sie ins Herz Afrikas und legt dort überraschende Führerqualitäten an den Tag. Elisabeth kann es gar nicht fassen, wie er sich rausgemacht hat. Wir, inzwischen postmodern schon etwas gewitzter, ahnen: Solange er hier der Autor ist, kann er auch einen neuen, einen besseren Menschen aus sich machen. Die nächste Frage, die sich stellt: Will er wirklich Elisabeth Protagonistin dieser Geschichte sein lassen, wenn er es selbst sein könnte? Sie sank auf das Bett. Sie war mit Carl, Henri und Paul im Jahr davor in Somalia gewesen. Am letzten Tag hatte Carl ihr gesagt, daß er das nicht mehr lange machen würde, seine Nerven hielten es nicht mehr aus, und gut für die Seele sei es auch nicht. Was tat man den dreien jetzt gerade an, in was für einem lichtlosen Zimmer, unerreichbar für alles, was in der Welt vernünftig war? Sie lag reglos da, und unversehens hatte sie sich in ein Gespräch mit vier Polizisten verfangen, die auf irgendeine Weise zu ein und derselben Person verschmolzen, der sie keine falsche Antwort geben durfte, obwohl sie nach Details aus ihrer Kindheit fragte und ihr sehr schwere Rechenaufgaben stellte, denn für jede falsche Antwort mußte jemand sterben. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, mit einem Schrei fuhr sie hoch. Im Spiegel sehen wir einen Kopf von schräg hinten. Vor dem Menschen im Spiegel ist noch ein Spiegel und in dem Spiegel wiederum ein Kopf von schräg hinten. Und so weiter, man kennt das Bild. So arg modern will uns das nichts scheinen, ist aber exakt die Modernität des jungen Autors Daniel Kehlmann hier in diesem Roman aus Storys. Unter dem Namen Miguel Auristos Blancos hat Kehlmann aus dem populärsten Autor Brasiliens einen Running Gag gemacht. Wo immer Leo Richtern in diesen Geschichten auch hinkommt, die Bestseller von Miguel Auristos Blancos sind vor ihm schon dort. Dessen Ruhm ist entschieden größer. ...more |
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Oct 07, 2024
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Hardcover
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B0DM248Q11
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| Jan 01, 2011
| 2011
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Leider hat es dieses vorzügliche, glasklare Buch eines Schweizer Wirtschaftsjournalisten, fragend, ob aus der globalen Finanzmarkt-Krise die richtigen
Leider hat es dieses vorzügliche, glasklare Buch eines Schweizer Wirtschaftsjournalisten, fragend, ob aus der globalen Finanzmarkt-Krise die richtigen Lehren gezogen wurden, nicht zum Rang eines Standardwerks gebracht. Dennoch lohnt sich die Lektüre. Im Wesentlichen ist alles gleich geblieben! Auch das ungute Gefühl, der große Zusammenbruch stehe uns immer noch bevor. Verlegt wurde die Standortanalyse vom Zürcher Verlag Orell Füssli. Markus Diem Meier dürfte mit der Anschuldigung, er wäre ein linker Pamphletist oder naiver Gutmensch, nicht beizukommen sein. Eher ist er ein Beispiel für das, was er für den Fluch der Finanzbranche hält: die Nähe der Kontrolleure zu einem Finanzsektor, der ihnen letztlich Karriere und Reichtum verschafft. Eine Zeitlang ist Meier Pressebeauftragter der Zürcher Kantonalbank gewesen, zuvor Journalist bei der „Wochenzeitung“ und FH-Dozent (Volkswirtschaft). Dann wurde er stellvertretender Ressortchef beim „Tagesanzeiger“, Korrespondent von „Der Bund“, „Berner“ und „Basler Zeitung“. Auch ein Lehrbuch der Volkswirtschaft hat er veröffentlicht. Heute ist er Co-Chef der (Schweizer) „Handelszeitung“. Er sollte sich auskennen. Laut Diem Meier ist die Finanzkrise von 2008/2009, die sich zu einem Weltdebakel wie 1929/1930 hätte ausweiten können, hätten die Regierungen sich nicht ganz schnell auf die seinerzeit von John Maynard Keynes entwickelten Gegenmittel besonnen, nichts anders und nicht weniger als der Kollaps und die Widerlegung des seit den achtziger Jahren entwickelten Marktradikalismus der Neoliberalen. (Seltsam, das in einem Deutschland des Jahres 2024 zu schreiben, in dem FDP und CDU noch immer keine anderen Wege als die der Neoliberalen entdeckt haben!) In Anlehnung an die Neu-Keynesianer Joseph Stiglitz (ehemaliger Weltbank-Chef und Berater Bill Clintons) und Paul Krugman (Ökonomie-Nobelpreisträger 2008) konstatiert Diem Meier ein „Dunkles Zeitalter“ ab 1980, mit Thatcher („There is no alternative.“) und Reagan. Längst bekannte Tatsachen wurden in dieser Zeit einfach ausgelöscht, als hätte sie irgendwer irgendwo widerlegt. Den Antikommunisten und Upper-Class-Finanzinvestor Keynes stempelte man als sozialistischen Volksaufwiegler ab. Jahre universitärer Forschung sind in die Entwicklung angeblich unfehlbarer mathematischer Modelle gesteckt worden, mit denen genau das hätte verhindert werden sollen, was 2006 bis 2009 dann leider doch passierte. Inzwischen wird sehr frech wieder behauptet, ja das komme bisweilen schon mal vor, dass genau die Manager mit Millionen-Boni belohnt und in den Ruhestand verabschiedet werden, die einer breiten Masse der Steuerzahler Milliarden von Staatsschulden aufgeladen haben, aber das wäre sekundär, wenn man daran denke, dass sie bis dahin doch auch Milliarden erwirtschaftet hätten, die allmählich schön durch die Gesellschaft herunter getröpfelt wären. (Thatcher: „There is no such thing as society.“) Preis für allgemeinen Wohlstand sei leider die radikale Verteilungsungerechtigkeit, wie wir sie in den USA und in Deutschland erleben, wo sie für eine der Ursachen für den Erfolg von Trump und der AfD gehalten werden. Nichts Neues sei nach 2008 auf die Mär des Neoliberalismus vom großen Reichtum gefolgt. Nachdem man Lehman Brothers hatte fallen lassen, waren orientierungslose Politiker mit einem Mal wieder beim vermeintlichen Linken Keynes angekommen. Der Staat müsse sich in der Krise heftig verschulden können, den Kapitalismus subventionieren, bevor es zu einer säkularen Deflationsspirale abwärts komme. Sie ließen Gemeinwesen mit Bürgschaften und Geldmengenschöpfung aus dem Nichts für die Fehler der Wertpapierspekulanten haften. Das habe allerdings, meint Diem Meier, eine Idee in den Köpfen der Banker zur Gewissheit werden lassen: „Ihr könnt euch einfach alles erlauben. Wenn ihr alles kaputt macht, retten wir euch, denn ihr seid unverzichtbar für die Weltwirtschaft.“ (Die Schweizer Eidgenossenschaft hat es wieder getan, nachdem Credit Suisse sich zu Tode spekuliert hatte. In Deutschland hat das gar nicht mehr interessiert. Hier machen wir uns für den Fallschirm für die Deutsche Bank bereit.) Das Schöne bei Markus Diem Meier ist, dass er ein kundiger Makroökonom vom Bankenplatz Zürich ist, der als Journalist sich auch allgemein verständlich auszudrücken weiß. In folgendem Ausschnitt geht es um die Einflüsse des globalen Finanzmarkts auf kleinere, aufsteigende Ökonomien, namentlich die asiatische Krise der späten neunziger Jahre. Was er hier gerade schildert, konnte der Autor im Jahr 2011 noch gar nicht wissen: die sogenannte Euro- und Griechenland-Rettung der Zehnerjahre! Länder erleben spekulative Übertreibungen auf Immobilien- und Aktienmärkten. Banken aus dem Ausland (vor allem den USA und dem Westen) beteiligen sich daran über kurzfristige Kredite, was eine solche Blase weiter aufbläht. Platzt sie schließlich, verlangen die Banken sofort ihr Geld in ihrer eigenen Währung zurück, was die Währung des Krisenlandes abstürzen lässt. Weil sich diese Länder in ausländischer Währung verschuldet haben, explodieren durch den Währungszerfall die Schulden erst recht. Hilfspakte knüpft der IWF dann an die Bedingung, dass die Schulden an ausländische Banken zurückbezahlt werden - auch wenn sich die Krise in einem betroffenen Land dadurch weiter verschärft. Da letztlich Steuerzahler für die IWF-Gelder geradestehen, kommt die ganze Geschichte einer Umverteilung von öffentlichen Geldern an die Banken gleich: Banken gehen Risiken in Ländern mit spekulativen Blasen ein. Entweder verdienen sie dort viel Geld oder sie werden vom IWF und damit von den Steuerzahlern im Krisenfall gerettet. Die betroffenen Länder stürzen wirtschaftlich und politisch schwer ab. Düster ist die Zukunft, die Markus Diem Meier heraufziehen sieht. Das Finanzsystem läuft dem nächstem Crash entgegen. Nationen laufen einem Kampf der Kulturen und Systeme entgegen. Der Euro-Raum hat sich auf Selbstzerschmetterung geeinigt. Die Leichengräber der Demokratien und des Humanismus sind in den dreißiger Jahren auch nicht die in der Krise geplünderten Armen gewesen, sondern die Wutbürger der sich auflösenden Mitte. Wie Raghuram Rajan, Chef der Indischen Nationalbank, sind es gut situierte Leute, die eines Tage einsehen müssen, dass, was immer sie auch noch unternehmen, sie die Milliarden, über die Donald Trump verfügt, nie erreichen werden. Realismus hieße zu sehen, dass ihre Kinder etwas ärmer und unsicherer als sie leben werden, deren Kinder noch mal schlechter. Während die Mächtigen des Systems immer wieder sagen werden, aber „wir“ sind doch reicher geworden. Die USA waren noch nie so reich wie jetzt und hatten noch nie so viele Bürger in völlig unzumutbaren Lebensverhältnissen! Wutbürger sind Menschen, die bis gestern noch glaubten, im Erster-Klasse-Wagen der Gewinner der Geschichte zu reisen. ...more |
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Oct 03, 2024
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384120998X
| 9783841209986
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| Dec 1983
| Apr 28, 2015
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Weltwirtschaftskrise, 1930 und 1931, Würzburg, Argentinien, Berlin, Würzburg; Genre: groteske und melancholische Episoden von der ziellosen Wanderung
Weltwirtschaftskrise, 1930 und 1931, Würzburg, Argentinien, Berlin, Würzburg; Genre: groteske und melancholische Episoden von der ziellosen Wanderung dreier von Arbeitslosigkeit und Hunger gebeutelter Männer durch die Welt. Von den Würzburger Romanen Leonhard Franks ist dieser nicht nur der kürzeste, sondern offenkundig der am wenigsten gelungene. Auch Franks Timing scheint nicht das beste gewesen zu sein. Hatte er schon 1927 mit dem „Ochsenfurter Männerquartett“ ein Buch zur Krise der Weimarer Republik vorgelegt, in dem sich ein paar Männer als Gesangskünstler dagegen wehren, per Stellenabbau zu Fällen der Sozialfürsorge zu werden, also über die Folgen der Inflation von 1923, während die besten Jahre der Republik gerade angefangen hatten, legte er hiermit eine Reaktion auf die globale Krise seit dem Schwarzen Donnerstag/Freitag 1929 vor, also noch mal ein ähnliches Buch, das aber an Realistik und Unterhaltsamkeit an vorher schon oder mehr oder weniger parallel herauskommende Romane wie Kästners „Fabian“, Keuns „Das kunstseidene Mädchen“ oder Haffners „Blutsbrüder“ nicht heranreicht. Auch bekam das nicht mehr lange Zeit, zu wirken und sich in der deutschen Erinnerung festzusetzen. Schon im Mai 1933 wurden die Werke des ins Ausland geflohenen Leonhard Frank von den Nazis verbrannt. Auch hier begegnen wir Figuren noch mal, die einst im 1914 erschienen (aber um 1900 spielenden) „Die Räuberbande“ noch 13- und 14-jährige Jungs gewesen waren. Nämlich Oskar Benommen, „der Schreiber“ genannt, und dem Einäugigen, ehemals „Falkenauge“ oder auch „Winnetou“ genannt, die nach wie vor unzertrennliche Freunde und ziemliche Pechvögel sind. Während sie aus dem „Ochsenfurter Männerquartett“ noch leidlich gut situiert und optimistisch hervorgingen, hat sie die globale Krise inzwischen um alles gebracht, sodass sie sich, wie die Bremer Stadtmusikanten sagen, hier in Würzburg können wir nur vor die Hunde gehen. Etwas Besseres als den Tod werden wir noch irgendwo finden. Ohne irgendeinen Plan und Zielort wandern sie davon ins offene Land - und in der Tat wird sich dieses Buch als eines über ewig Wandernde, sich am Ende nur noch Weiterschleppende herausstellen. Dieses Mal werden Optimismus und Glaube an die Freundschaft nicht belohnt. Man erreicht Hamburg, wie einst sich von der Räuberbande für ihre Fantasien vom Auswandern ins Karl May'sche Prärie-Amerika ausgemalt, bekommt Tickets zur Überfahrt. Die USA boten sich nicht an, dort macht man sich bereits Gedanken, wie man arme Schlucker wieder los wird. Über Brasilien und Argentinien erreicht das Kleeblatt, zu dem noch ein namenloser Schneider und dann auch ein treuer Hund gehören, Paraguay. Sie leben eine kurze Zeit ziemlich kostengünstig, glücklich und mit zwei verliebten Schwestern auf einer Hazienda. Dann erreicht die Depression auch Südamerika. Der Großgrundbesitzer, bei dem sie untergekommen waren, muss verkaufen. Sie müssen es, erneut völlig mittellos, zurück nach Buenos Aires schaffen. Also weiter laufen, weit, weit laufen. Es ist das Bild, unter dem sich das Buch subsumieren ließe; drei, ältere, abgemagerte, zerlumpte, männliche Gestalten, die zäh und langsam immer weiter gehen und allmählich ihre Hoffnung einbüßen. Der Schneider stirbt, sie sind noch zu zweit, mit dem Hund, der wird ihnen auch genommen, als man sie zurück nach Europa abschiebt. Eine kurze Erholungsphase in Marseille und Genua, als der eine Mann eine lukrative Verdienstmöglichkeit als lebende Schaufensterwerbepuppe findet. Dann der bittere Abstieg in Berlin, wo sie zu Bettlern und Dieben werden, Prostituierten bei der Arbeit zusehen, in eisigen Novembernächten unter einer Eisenbahnunterführung auf einem Baugerüst schlafen. Nach allem, was man bisher gehört hat, stellt man sich das als einen politisch motivierten, ziemlich depressiven, vielleicht auch proletarischen Roman vor. Immerhin hat Leonhard Frank ein Leben lang aus der marxistischen Prägung, die er bei den Sozialdemokraten vor dem Ersten Weltkrieg erhalten hatte, kein Geheimnis gemacht und ist vom Zweiten Weltkrieg an eher im Osten als im Westen Deutschlands gelesen worden. Aber zuerst einmal muss man wissen, dass dieser Autor keine großen, kompliziert verschränkten Handlungen erzählt, sondern sich - immer schon - wie ein Wanderer durch die Welt bewegt, sodass Begegnungen, Porträts, kleine Geschichten sich in rascher Folge aneinanderreihen. Hier nun, obwohl das große Thema klar ist, zerfasert ihm alles, ständig wird zwischen den Genres abgewechselt. Das Buch ist mitnichten nur soziale Anklage, sondern will auch idyllisch, verträumt, komödiantisch, ja poetisch und surreal sein. Da es am Ende keine bessere Aussicht gibt als, dass es vielleicht besser wäre, in der Heimat vor die Hunde zu gehen als in der Fremde, dass die Entscheidung zum Weggehen wohl ein netter Versuch, aber ein Irrtum gewesen ist, die Ratlosigkeit allumfassend beibt, bleibt vom Roman der Eindruck eines Durcheinanders, von Unstimmigkeit, auch ziemlich kindlichen und abgebrauchten Humoresken. Ich empfehle das Buch dennoch zur Lektüre. Man wird staunen, welch seltsame Bücher man in Deutschland parallel zu den allseits anerkannten Klassikern noch hat schreiben können. Langweilig ist Leonhard Frank jedenfalls nie, wenn auch versponnen und sprunghaft. Da gibt’s die Tiergeschichte von dem Hund, der drei Männern das Leben rettet. Die sicher nicht eigenständig ausgedachte Vermischung der „1-Million-Pfund-Note“ Mark Twains mit Friederike Kempners „Kontrast“-Gedicht von dem reichen Mann, der seinem Diener eine Münze für die Armen abknöpft, weil er es im eigenen Beutel nur zu groß für den Anlass vorfindet. Die Drei kommen nämlich nur bis Hamburg und zur Überfahrt, weil sie an einem Tennisplatz vorbeikommen, wo ein in Verlegenheit geratener Wirtshauskellner einem reisenden Engländer die nachlässig hingeworfene 100-Pfund-Note zurückgibt, weil er so viel Trinkgeld nicht annehmen kann und fürchten muss, beim Versuch, das Geld zu wechseln, festgenommen zu werden. Zerstreut reicht der Engländer den Schein an den Einäugigen weiter, der sich geistesgegenwärtig zügig vom Acker macht. Am Rio de la Plata gibt es tausende Alligatoren. Man merkt, dass Leonhard Frank seinen Karl May immer noch ernst nimmt. Aber dann kommt die Deflation hier an, eine Revolution bricht aus, bei der die Handwerke und Kleinbürger aus Unterfranken den Armen helfen wollen, schließlich aber einsehen müssen, dass sie versehentlich mit einem Maschinengewehr auf der Seite der Obristen ins Volk geschossen haben. Man erwarte sich, immerhin ist es aus der Erbmasse des Aufbau-Verlag der DDR übernommen, bitte keinen „Sozialistischen Realismus“. Nein, das alles ist vor allem merkwürdig, irgendwie halb von etwas, das man sich nicht so ganz vorstellen kann. ...more |
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Sep 14, 2024
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| May 12, 2014
| Apr 13, 2015
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Sagen wir ein Wort zu „Wem gehört Deutschland?“: interessant. Werden die Reichen immer schneller reicher als alle anderen, weil sie viel Geld gegen Zin Sagen wir ein Wort zu „Wem gehört Deutschland?“: interessant. Werden die Reichen immer schneller reicher als alle anderen, weil sie viel Geld gegen Zinsen anlegen? Nein, denn es existiert eine Korrelation zwischen Inflation und Zinsrate. Nur bei galoppierender Inflation (wie 1923) werden Geldanlagen vernichtet, die großen aber sehr wohl auch. In dem 30 Jahre andauernden Goldenen Zeitalter zwischen 1945 und 1975 glich sich weltweit die Vermögensverteilung an. Seit etwa 1980, erst recht aber seit 1990, wird sie zunehmend unausgeglichener, also „ungerechter“. Zinssätze haben damit nur insofern was zu tun, als Dauerniedrigzinsen, wie wir sie lange hatten, die Gewinnrate der Kleinsparer unter die Inflation drücken, während die Renditen an den Finanzmärkten 7 oder 8 Prozent übersteigen. Da kommt leider der Profit in der Realwirtschaft oft nicht mehr mit, sodass ein Teufelskreis entsteht: Wer für seine Lebensführung die Profite gar nicht mehr benötigt, investiert sie nicht real, sondern kauft Wettscheine in Wall Street! Dafür, macht Jens Berger klar, muss man in aller Regel aber geerbt haben. Die von klassischen Liberalen gelobten Leistungs- und Verantwortungsträger haben vornehmlich die Leistung erbracht, Kind eines superreichen Mannes zu sein. Frauen sind in dergleichen Positionen rar. Und die Verantwortung dafür tragen, das optimale Family Office für die Spekulation mit den Erbmassen in Marsch zu setzen. Berger präsentiert uns ein spannendes Schaubild über die Verteilung der Vermögen zwischen West- und Ost-Deutschland. Das wiederum gestaffelt nach Altersgruppen. Zwischen Geburt und 30. Lebensjahr besitzen die meisten nicht wirklich viel. Von Mitte 30 bis zu 80 plus laufen die Korridore dann dramatisch auseinander. Im Osten liegen die Privatvermögen fast das gesamte Leben zwischen 40.000 und 60.000 €, in den Westländern schießt es bis zur Alterskohorte der 50-jährigen rapide aufwärts, bis auf durchschnittlich 140.000 €, springt bei den Sechzigern aber noch mal deutlich auf 200.000 € hinauf, um bis zum Tod auf etwa den Stand, wie er mit 50 war, abzusinken. Was dahinter steckt, ist in der Mehrzahl der Fälle keine harte Arbeit oder innovative Geschäftsidee, sondern sind ein oder mehrere Erbfälle. Die Altvorderen sind gegangen und haben was hinterlassen; Steuern fielen dabei kaum an. Berger interpretiert eine Studie des Instituts für Altersvorsorge, erstellt im Auftrag der Deutschen Bank, wonach in Deutschland zwischen 2010 und 2020 2,6 Billionen € (2.600 Milliarden) vererbt werden bzw. wurden. 585 Milliarden davon entfielen auf nur etwa 0,1 Prozent aller Erben. Es kommt auf die Familie an. Durch die Rückkehr eines ihrer vormaligen Angestellten in die Politik, Friedrich Merz, ist die US-Kapitalanlagefirma BlackRock, Mitte der achtziger Jahre von Larry Fink an der Wall Street gegründet, etwas mehr ins allgemeine Bewusstsein geraten, als das zur Zeit der Veröffentlichung des Berger-Buchs der Fall gewesen ist. Besagter Herr Fink hatte sich übrigens jene „Finanzprodukte“ ausgedacht, frei handelbare gehebelte und verbriefte Kredite zur Immobilienfinanzierung, die den großen Zusammenbruch der Jahre 2007 bis 2009 ausgelöst haben. BlackRock gehören heutzutage jeweils mindestens 5 Prozent von 80 Prozent sämtlicher DAX-Unternehmen. Ihren Gründerfamilien und sonstigen Privatpersonen gehören die DAX-Unternehmen noch zu knapp einem Viertel. Den größten Brocken halten mit etwa 70 Prozent des Kapitals die „institutionellen Anleger“. Darunter versteht man eine Handvoll großer Banken (wie die Schweizer UBS und die Deutsche Bank), mehr aber noch die globalen Anleger, wie BlackRock einer ist. Für Deutschland ist BlackRock, kein deutsches Unternehmen, der mit Abstand größte institutionelle Anleger. Jens Berger forscht weiter. Wem gehören eigentlich die international aktiven Banken? Wem gehören die anderen Finanzanlagenfonds? Ergebnis: Sie gehören sich gegenseitig. BlackRock ist nahezu überall drin, wie auch die anderen fast alle ihre Anteile an BlackRock halten. Banken und Hedge Fonds gehören sich letztlich selbst. Ihr Bonus für die Geschäftsführer ist ein hingeworfenes Stück von der Beute, die sie für ihre Shareholder geholt haben. Mit Verantwortung hat das nur wenig zu tun. Wirtschaften sie sich in den Ruin, sind sie systemrelevant, also reißt der Steuerzahler sie raus. Diese, mit ihren Entscheidungen in der Medien und der Öffentlichkeit fast nie auftauchenden Finanzunternehmen sind die grauen Eminenzen der Weltwirtschaft, die Könige der Jahre seit 1990, als in den USA die Beschränkungen für den Finanzmarkt fielen. Für sie zu arbeiten, schließt das Recht, ein Leben als Millionär führen zu können, ein. Friedrich Merz hat sich dazu bekannt, einer zu sein, hält das allerdings für Leistungsträger-Mittelstand. Spitzenpositionen des Finanzsektors werden fast ausschließlich von Kindern der Elite übernommen, der Nachwuchs von Unternehmenseignern, Professoren, Chefärzten, Ministern. Auch Ministerien, die vor einigen Jahrzehnten noch von Handwerkersöhnen besetzt wurden (Franz Josef Strauß, Metzgersohn), werden heute aus dieser Klasse rekrutiert. Lustig dann, sich mehr Gerechtigkeit durch Einführung einer Frauenquote zu versprechen. Ein paar Töchter, die Wirtschaft studiert haben, wird die Elite schon noch auftreiben können. Die Rate deutscher Selbstständiger fiel von 1950 bis 1990 von 30 % auf 10 % der Bevölkerung. Da darf man sich der Kriegsheimkehrer mit ihren, für den Wiederaufbau wichtigen Kenntnissen erinnern. Langsam, aber zunehmend stärker wuchs dieser Anteil wieder ab dem Jahr 1990. Das steht allerdings nicht mehr für Reichtum, denn der Reichtum steckt mittlerweile bei Finanzgesellschaften, welche nicht von Selbstständigen, sondern von Angestellten mit Millionenbonus geführt werden. Vielmehr steckt eine Masse prekärer (Schein-)Selbstständiger dahinter, so im Reinigungsgewerbe, im privaten Bildungswesen, unter Freien Medienarbeitern, oft im Internet, oder bei den Zustellern. Gerhard Schröder nannte das Ich-AG und war stolz darauf. Mittlerweile hat man diesen Begriff sang- und klanglos sterben lassen, nicht aber die ausbeuterischen Verhältnisse Selbstständigkeit ist oft ein nettes Wort für Selbstausbeutung. Jens Berger fand heraus, die ärmsten 10 % der Selbstständigen schaffen einen Stundenlohn von 4,60 €. Etwas gestiegen wird er wohl sein in der Zwischenzeit, aber gewiss nicht bei 12 € liegen. Eine Seite seines Buchmanuskripts umfasse 3.100 Zeichen, schreibt Jens Berger. Keineswegs unbekannte Zeitungsverleger würden pro Zeichen 1,3 Cent Honorar zahlen. Wer noch die Ehre genieße, bei so einer Zeitung fest angestellt zu sein, verdiene 3.863 € brutto. Dahin komme der zum erwähnten Satz frei Beschäftigte, wenn er an jeglichem Tag eines Jahres, Feiertage, Wochenende, Urlaub, Krankheit, Recherchen, Fortbildung ungeachtet, wenigstens drei volle Seiten auswirft. (Wobei ihn die Abzüge für Alterssicherung und Krankenversicherung allerdings teurer kommen als den Angestellten.) Jens Berger lebt in Goslar, ist Mitarbeiter des links-alternativen Gegeninformations-Forums „NachDenkSeiten“ und betreibt den Blog „Spiegelfechter“. Er muss einräumen, dass die Faktenbasis für sein Buch zum Teil erschreckend dünn gewesen ist. Von Staats wegen werden in Deutschland weder Armuts- noch Reichtumsstatistiken geführt. Beim Mikrozensus gibt es für die 10 vermögendsten Prozent keine Auskunftspflicht. Als Sonderfälle würden sie das gesellschaftliche Bild nur „verzerren“. Bergers hauptsächliche Quellen sind das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) verantwortete „Sozioökonomisches Panel“ (SOEP) gewesen und die Studie der Deutschen Bundesbank „Private Haushalte und ihre Finanzen 2013“. Was wir nun lesen werden, stammt keineswegs vom mehr oder weniger linken Berger, vielmehr von dem Christdemokraten Ludwig Erhard, Wirtschaftsminister der sogenannten Wirtschaftswunderjahre, aus dem 1957 publizierten „Wohlstand für Alle“: Am Ausgangspunkt stand der Wunsch, über eine breitgeschichtete Massenkaufkraft die alte konservative soziale Struktur endgültig zu überwinden. Diese überkommene Hierarchie war auf der einen Seite durch eine dünne Oberschicht, welche sich jeden Konsum leisten konnte, wie andererseits durch eine quantitativ sehr breite Unterschicht mit unzureichender Kaufkraft gekennzeichnet. Die Neugestaltung unserer Wirtschaftsordnung musste also die Voraussetzungen dafür schaffen, daß dieser einer fortschrittlichen Entwicklung entgegenstehende Zustand und damit zugleich auch endlich das Ressentiment zwischen 'arm' und 'reich' überwunden werden konnten. Ich habe keinerlei Anlaß, weder die materielle noch die sittliche Grundlage meiner Bemühungen mittlerweile zu verleugnen. Sie bestimmt heute wie damals mein Denken und Handeln....more |
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Aug 31, 2024
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Das ursprünglich bei Hoffmann und Campe erschienene Buch gehört der Gattung der klassischen Sozialreportagen an. Die Autoren verarbeiteten Eindrücke,
Das ursprünglich bei Hoffmann und Campe erschienene Buch gehört der Gattung der klassischen Sozialreportagen an. Die Autoren verarbeiteten Eindrücke, die sie bei Recherchen für Sendungen des WDR während drei Jahren vor allem in NRW, Wattenscheid, Hagen, aber auch in Berlin, bei Hartz-IV-Empfänger-Familien sammeln konnten. Sie suchten ihre Gesprächspartner mehrfach auf, mit längeren Intervallen dazwischen. So wird einerseits ein überschaubares Personal mit dem Leser schnell vertrauten individuellen Zeugen vorgestellt, andererseits mit kurzen Kapiteln hin und her „geschwenkt“ zwischen den Schauplätzen, den unterschiedlichen Menschen bzw. ihren Problemlagen. Es geht um eine ehemalige Apothekenhelferin, die in ihrem Leben einige Jahre gebummelt hat, dann nirgendwo mehr rein kam, jetzt für einen privaten Caterer Seniorenmenüs ausfährt. Pro Essen bekommt sie 0,43 Euro. Irgendwann errechnet sie, dass dies einem Stundenlohn von zirka 4 Euro brutto gleichkommt. Nach einem kurzen Monat steht sie mal mit 271 Euro Lohn da. Es geht um technische Helfer in Fabriken. Als Leiharbeiter-Kolonne werden sie von Woche zu Woche woanders hingeschickt („Randstad, die haben immer was“), sind nach Jahren, bei Abschluss der TV-Reportage, allerdings kein Stück weiter. Nach wie vor arbeiten sie für Unternehmen, die in der Vergangenheit eigenes Personal beschäftigt hatten, arbeiten etwas unter dem halben Lohn der „Festen“, die gleich neben ihnen dieselben Tätigkeiten ausführen. Von einem, der irgendwo mal fest übernommen worden wäre, haben sie in den vergangenen drei Jahren nie was gehört. Ähnlich geht’s den auf dem Hagener Friedhof zur Pflege von Wegen und Grabsteinen als „AGH - Arbeitsgelegenheit“ (1-€-Jobs) eingesetzten Männern mittleren Alters. Was sie tun, nimmt keinem in der Volkswirtschaft seinen ordentlichen, anständig bezahlten Arbeitsplatz weg, wird gesagt, denn solche AGH werden in Kooperation mit den Jobcentern nur als „zusätzlichen Bedarf“ eingerichtet. Der vom Gartenamt aus zuständige Beamte geht, seiner Erfahrung nach, davon aus, dass die AGH-Leute eh nur halbe Leistung bringen, oft seien sie krank oder fehlten unentschuldigt. Von einem straffälligen jungen Mann wird erzählt, er habe nach einem Tag Arbeit hingeworfen und sei später wieder in den Knast eingefahren. Andere, die noch dabei sind, sagen allerdings das, was die Menschen von der Arbeitsverwaltung gern hören: „Wir können nicht erwarten, dass nur andere immer was tun für uns. Wir müssen jetzt wieder eigene Leistung zeigen. Ich bin hier gerne.“ Dennoch kommt auch durch diese Maßnahme kein Einziger in längerfristige, sozialversicherte Arbeit hinein, die nicht vom Staat weiterhin per Aufstocken subventioniert werden müsste. Die Hartz-Reformen scheinen neue Fallen errichtet zu haben. Wir hören von Kindern, sie stehen morgens alleine auf und gehen unbegleitet zur Schule. Ihre Eltern, Hartz-Empfänger, bleiben länger liegen. Der Tag ist auch so noch lang. In der Schule ist aufgefallen, dass zahlreiche Kinder in der ersten Stunde einschlafen, weil sie kein Frühstück hatten. Darum hat man sogenannte Arbeitsteams geschaffen, die morgens und mittags in den Eckstunden zusammen einkaufen gehen, Mahlzeiten zubereiten und etwas essen. Gekauft werden nur billige Waren und nach einem bestimmten Schlüssel den betroffenen Eltern vom Jobcenter in Rechnung gestellt, also vom Hartz abgezogen. Man unterhält sich mit dem Direktor einer Sonderschule, die es so, sagt er, nur in Deutschland gebe, inzwischen nennt man sie Förderschulen, hat an der Sache grundsätzlich aber nichts geändert. Sonst in der EU, sagt er, wäre üblich, dass Lernbehinderte und andere Behinderte in die normalen Klassen integriert werden, wie auch die Gesellschaft all ihre Mitglieder wahrnehmen und integrieren sollte, aber in Deutschland würden Randgruppen exkludiert. Der Mann hat durch seine Aussagen in der Wattenscheider Zeitung viele gegen sich aufgebracht. Er sagt: „Diese Kinder werden die Armut von ihren Eltern erben. Ihr ganzes restliches Leben werden diese Menschen draußen vor der Tür bleiben.“ Darum hat er einen Hartz-Mathematik-Unterricht erfunden. „Wir malen den Grundriss einer Wohnung, die vom Jobcenter wegen ihrer Größe gerade noch gefördert werden kann, und rechnen die noch mögliche Raumtemperatur anhand der aktuellen Gaspreise aus.“ In Sport werden Rückwärtsgehen und Senkrechthalten geübt. Die Kinder der Unterschicht würden zu Hause Fernsehen und Chatten im Netz lernen, aber keine Körperbeherrschung. Wir lesen von einem älteren Mann, der früher jahrelang eine herausragende Stellung bekleidet hat. Sein Arbeitgeber ging Konkurs, nach einem Jahr Arbeitslosengeld 1, für das er in die Sozialkassen eingezahlt hatte, war er beim Hartz IV und also in der „Unterschicht“ angekommen. 559 Absagen auf Bewerbungen habe er in dieser Zeit gesammelt. Vom Jobcenter gefördert, frischt er dann sein SAP auf. Aber es ändert sich nichts, weitere Absagen, er schiebt das auf sein Lebensalter und die Konkurrenz im Arbeitsmarkt. Er schämt sich. Nach wie vor komme er mit dem Hartz-Geld nicht zurecht und erhalte heimlich von einem Sohn noch was zugesteckt. Er, der drei Kinder zu ordentlichen Erwachsenen erzogen habe, das wäre würdelos. Mittlerweile stellt der Mann die deutsche Sozialordnung in Frage. Das sei kein anständiges Land mehr. Er denke viel darüber nach, wie sein Leben jetzt aussehen würde, wenn er seine Stelle nicht verloren hätte, und wie alles wäre, wenn es die Hartz-Reformen nie gegeben hätte. Und er hofft, dass die, die die Gesetze geschrieben haben, dies auch tun. „Das wäre wirklich schön“, sagte er. „Wenn wirklich jemand von oben sagen würde: Leute, das tut uns leid. Das war leider alles nichts. Wir müssen alles rückgängig machen oder es zumindest neu planen. Aber eigentlich glaube ich nicht, dass das noch passieren wird.“ Wir lesen von Jugendlichen, die zugeben, dass sie schwächere Kinder auf dem Schulhof drangsalieren, erpressen, ausrauben. So verschaffe man sich Respekt, wer es nicht mache, werde über kurz oder lang zu den Opfern gehören. Ein Mädchen war im Jugendgefängnis. „Der Stress zu Hause geht jetzt also wieder los. Das war ja Erholung.“ Bis sie die Danzers, das Berliner Ehepaar mit den den Menüfahrten, noch mal aufgespürt haben, müssen Jutta Friedrichs und Kollegen am Schluss erst mal lange telefonieren. Die Danzers wohnen jetzt in einer kleinen Stadt in Österreich. Fürs Serviceteam einer Autobahnraststätte hat man sie brauchen können. Mindestlohn gibt es in Österreich schon, in Deutschland befindet er sich zu dieser Zeit noch in der Debatte. Von allen, die für die Arbeit an diesem Buch besucht wurden, sind die zwei Danzers die Einzigen, die eine feste, normal bezahlte Vollzeitstelle bekommen haben. Eine dritte Person kommt noch dazu. Das ist ein junges Mädchen, die vorher stets gesagt hatte, sie werde ihren Hauptschulabschluss schon noch schaffen, sie werde bei Kaufland eine Ausbildung bekommen (sie bekam sie nicht), ihre Mutter lebe vom Hartz, ihr werde das nicht passieren. Dass es nicht dazu kam, liegt an einem Unternehmer, der die Fernsehreportage von Friedrichs gesehen hatte und die junge Frau in seine Firma im Ruhrgebiet holte. Armutspolitik nach Gutsherrenart, wie sie sich in unseren Talk Shows immer sehr gut macht. Ein Buch, dem man nach und nach Vertrauen schenkt. Nach Polemik sieht das nicht aus, sondern nach beharrlicher Arbeit. Ein Buch, das geeignet ist, an die Mitleidensfähigkeit zu appellieren. Allerdings kein Buch, das ökonomisch oder politisch irgendetwas neu analysieren, weiterdenken oder Lösungsstrategien anbieten würde. Hautnah am Leben und somit immer am Einzelfall. Perspektiven wird man andernorts suchen müssen. ...more |
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Aug 28, 2024
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Würzburg, Frühling des Jahres 1927: Genre: Familien- und Freundschaftsroman über kleinbürgerliche Würzburger an Wendepunkten ihres Lebens. Den Schrifts Würzburg, Frühling des Jahres 1927: Genre: Familien- und Freundschaftsroman über kleinbürgerliche Würzburger an Wendepunkten ihres Lebens. Den Schriftsteller Leonhard Frank habe ich mit seinem Buch „Die Jünger Jesu“ entdeckt und muss nun sagen, dass „Das Ochsenfurter Männerquartett“, ein Roman dessen Titel ich schon länger im Kopf gehabt hatte, ein deutlich schwächeres Werk ist. Man wird darüber finden, dass es ein heiteres Buch aus nicht so heiteren Tagen wäre, in dem vier Männer, von der Wirtschaftskrise in Notlagen und Armut gestürzt, sich zusammentun, um als Quartett zu Lieblingen des heimatlichen Publikums zu werden. Das stimmt an sich, aber beide Titel führen uns auch in die Irre: Die Jünger Jesu haben nicht viel mit Jesus und dem unterfränkischen Katholizismus zu tun. (Frank ist übrigens evangelisch gewesen – und vor allem Sozialist.) Wir werden zwar über die Abenteuer der jugendlichen Räuberbande, die im zerbombten Würzburg Notfallhilfe à la Robin Hood leistet, ans Buch gefesselt, es beschäftigt sich zu großen Teilen dann aber mit zwei jungen Frauen, der Jüdin Ruth, die im KZ war, und Johanna, die sich in einen amerikanischen Soldaten verliebt. Beide Romane schließen an Franks bestverkauftes Buch an, „Die Räuberbande“ von 1914. In allen treffen sich die Jugendfreunde zwischen den gewaltigen Befestigungen hinter der Festung Marienberg, um über Wege aus der Krise zu beraten. Dabei erscheint die Idee, eine Art „Comedian Harmonists“ ins Leben zu rufen, anfangs wie eine Sternschnuppe und Schnapsidee. Und dann geht das Buch auch großenteils nicht über dieses Männerquartett und seine Aufführungen. Es sind keine Ochsenfurter, sondern Ochsenfurt ist nur der Platz, an dem sie ihren ersten Erfolg erleben werden, bis da dauert es noch eine Weile, anschließend löst sich das Quartett schon wieder auf! Ach ja, eigentlich hätte ich gern mehr erfahren von den verbliebenen Rabauken der alten „Räuberbande“ und wie sie ihren Niederlagen trotzen. Der Schreiber hat seinen Anwalt verloren, weil der starb, und seither keine Stelle mehr bekommen. Den Wirt der Weinwirtschaft zum Walfisch hat der Verfall der Währung und der allgemeine Zwang, auf jeglichen Luxus zu verzichten, in den Ruin getrieben. Ein Spekulant, der die Schuldverschreibungen aufgekauft hat, hat ihm die leere Wirtschaft abgenommen. Das Lokal ist jetzt wieder da, aber ohne ihn. Der Handwerker träumt von einer eigenen Metallwerkstatt und einem Laden, hat aber kein Kapital für den Start. Einzig dem Gärtner geht es einigermaßen gut. Er muss auch gar nicht singen, sich vor Leuten zum Affen machen. Er tut es aus Freundschaft zu den anderen. Ein Charakteristikum von Franks Prosa: die wortlos bescheidene Selbstlosigkeit von einfachen Leuten. Das treibt einem bei „Die Jünger Jesu“ die Tränen in die Augen. Hier nicht ganz so, aber bemerkenswert ist es schon, wenn ein Schneider vier Fräcke und weiße Westen schneidert, ohne eine einzige Mark Anzahlung zu nehmen. Bei ihm lassen doch sowieso alle immer anschreiben. Wie dann das kleine Kind dieses Schneiders stirbt und die Ehre vom Männerquartett verlangt, in dieser Verkleidung endlich doch noch öffentlich aufzutreten, nämlich bei der Beerdigung des Babys. Aber sonst auch hier: Erzählt wird meistenteils eine, mehrere andere Geschichten. Der Schreiber gerät, samt seinem Freund, der ständig von Lachanfällen geschüttelt wird, unter Mordverdacht und in eine sehr grünliche Untersuchung von Untersuchungsrichter Soso hinein. Sie sollen den Wucherer erschlagen haben, haben sich, auch dem Leser gegenüber, verdächtig gemacht, halten aber die Hypothese aufrecht, das sei der im selben Hause wohnende Schweizer gewesen, ein Sonderling und ehemaliger Anarchist. Der kleine Krimi im Buch – und so fesselnd fand ich ihn nicht. Am liebsten allerdings befasst sich Leonhard Frank mit der Liebesgeschichte von Thomas, dem Sohn des Gärtners, dabei dessen jungen Lebensdrang mit dem allgemeinen Frühlingstreiben in der Natur parallelisierend. Da waltet ein merkwürdig altdeutscher Vitalismus vom Beginn des 20. Jahrhunderts, eine durchaus peinliche Volkstümlichkeit. Thomas verehrt Hanna, eine Art natursinnliche Madonna, auch sie Kind eines der Quartettsänger. Aber da ist noch Dr. Huf, der deutlich ältere Rivale, ein Mediziner aus der Augenklinik, der als Dandy und nietzscheanischer Kulturmensch Hanna imponiert. Diese Geschichte ist immer ein bisschen klebrig vor Geschlechterrollenklischees und maskuliner Romantik. Mag ein bisschen unfair formuliert sein, aber gewiss nicht falsch, wenn ich's auf die Frage herunterbreche, wem Hannas Jungfräulichkeit zum Opfer gebracht werden muss. Dr. Huf fühlt die Last seiner bürgerlichen Herkunft. Er sei ein Pechvogel und scheint dem Untergang geweiht, wie oft er mit Alkoholexzessen und Frauen, die er en passant beschläft, sich auch aufplustern mag. Seiner männlichen Übermacht würde Hanna sich unterwerfen, aber sie merkt, dass er sich ja selbst nicht glaubt. Thomas dagegen steht für den exemplarischen Helden der neuen Zeit, wie der Sozialist Frank ihn sich dachte. Unermüdlich, früh bis spät, ist er am Arbeiten, sowohl Student wie Handarbeiter auf den Gemüsefeldern. Er entwickelt eine unterirdische Dampfheizung, mit deren Hilfe sein Vater fünf Ernten im Jahr schaffen wird. Und noch mehr im Buch ist irgendwie nicht stimmig. Da wären die regelmäßig anfallenden Stellen, bei denen der Autor uns mit einer Expressionisten-Prosa in der Gefolgschaft von Carl Sternheim und Alfred Döblin durcheinander bringt. Eine seiner großen Qualitäten ist ja der Ensemble-Roman, der einen mit unterschiedlichen Charakteren und Lebensstilen konfrontiert. Hin und wieder läuft das aber auch ins Leere. Da wird mit Vor- und Erfolgsgeschichte in den USA eine mögliche Erbtante eingeführt, vor deren Ankunft sich zwei der Sänger darum streiten, wer sie aufnehmen darf. Die Frage ist nur, ob die bedeutende Summe, von der die Frau verlauten hat lassen, sie stelle ihre Absicherung dar, die monatlichen Zinsen einer Millionärin oder den Kapitalstock einer - irgendwann dann doch noch in Armut endenden - Alten meinte. Man erhofft sich komische Verwicklungen – dann kommt nichts mehr. ...more |
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Aug 22, 2024
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Aug 16, 2024
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| 1947
| Jun 26, 2013
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Ein großes Buch, seit Jahrzehnte sträflich unterschätzt und vernachlässigt. Trümmerliteratur aus der Zeit zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und Ein großes Buch, seit Jahrzehnte sträflich unterschätzt und vernachlässigt. Trümmerliteratur aus der Zeit zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Währungsreform. Nach wie vor fallen uns dazu vor allem Wolfgang Borchert und Heinrich Böll ein. Dabei würde ich im Vergleich mit diesen Roman jedes einzelne Buch des von West-Deutschland zum guten Gewissen und Selbstkritiker erkorenen Heinrich Böll weggeben. Leonhard Frank, den man als Autor der Neuen Sachlichkeit bezeichnen könnte, ist weitgehend vergessen. Das hat natürlich Gründe, im Einzelfall dieses, eines seiner späten Bücher, wohl auch, dass der Titel mit der Zeit „ungeschickt“ geworden ist und denen, die das Buch nicht kennen, den Gedanken an religiöses Schrifttum eingibt. Was es nicht ist. Allerdings in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als wesentliche Teile des Kanons für die deutschsprachige Nachkriegsliteratur festgelegt wurden (Stichworte: Friedrich Sieburg, Joachim Kaiser, Fritz J. Raddatz, Marcel Reich-Ranicki), sind die Gründe andere gewesen. Frank war (lebenslang) Sozialist, er galt als Freund der DDR, hatte in den fünfziger Jahren den Staatspreis der DDR und einen sowjetischen Friedenspreis erhalten, wurde im Ost-Berliner Aufbau-Verlag verlegt. Er hatte allerdings auch das Große Verdienstkreuz erster Klasse der Bundesrepublik bekommen. Er wohnte in München und gehörte dort dem, sicher nicht marxistischen Zirkel um Erich Kästner an. Den restaurativen Kräften der BRD galt er als Nestbeschmutzer - und das gerade wegen dieses Buchs! In seinem, im Grunde nicht sehr umfangreichen Lebenswerk war Leonhard Frank immer wieder auf Gesellschaftspanoramen aus seiner unterfränkischen Heimatstadt Würzburg zurückgekommen. Noch vor dem Ersten Weltkrieg hatte er mit „Die Räuberbande“, einem augenzwinkernden, nostalgischen Roman über eine Bande wilder Jungen, einen Bestseller gelandet. Zuvor hatte er Schlosser gelernt und sich später in München zum Künstler ausbilden lassen. Doch Franks unverbrüchlicher Pazifismus führte zum Bruch mit dem deutschen Bürgerkrieg. Er ohrfeigte öffentlich einen SPD-Abgeordneten, der die Versenkung des britischen Passagierschiffs „Lusitania“ zu einer der größten militärischen Leistungen der Menschheitsgeschichte erklärt hatte. Mittelbar führte das zu seiner Emigration in die Schweiz. Nach dem Krieg wieder in München, schloss er sich der separatistischen Räterepublik an, schloss lebenslange Freundschaft mit Johannes R. Becher, dem späteren KPD-Apparatschik und DDR-Kulturminister. In der Weimarer Republik gehörte er in den Kreis um Kurt Hiller, Bertolt Brecht und Alfred Döblin, sodass er 1933 sofort die Flucht nach Frankreich ergriff, seine Bücher in Flammen aufgingen und er einige Jahre später durch die Nazis ausgebürgert wurde. Mit Kriegsbeginn wurde er in Frankreich interniert, brach aus und schaffte es bis nach Amerika. Dort lebte er vom Drehbuchschreiben, war als Gast von Thomas Mann gerne gesehen. Er kehrte nicht nach Berlin zurück, wechselte auch später nicht mehr in die DDR, war nach wie vor links, schrieb diesen Nachkriegsroman über ein auf den Hund gekommenes Deutschland. Noch einmal geht es hier um eine Würzburger Jungenbande. Die Jünger Jesu verstehen sich als Urchristen und stellen die Apostel dar. Jesus tritt nicht auf. Die Jünger bleiben ohne markante Führerfigur. Es ist eine Robin-Hood-Erzählung und als solche wäre sie von Haus aus populär. Es denen nehmen, die mehr als genug haben – und heimlich, wie Gespenster in der Nacht, an die verteilen, die in türlosen Kellern hausen, keine Mäntel und Schuhe und nur einen Kanten Brot zu essen haben, keine Milch, keinen Kaffee, keine Wurst, keine Öfen, keine Werkzeuge, irgendwas aufzubauen, kein Holz zum Heizen. Das Elend, wie es hier für die Jahre 1946 und 1947 für Würzburg gezeichnet wird, ist grenzenlos. Fernsehanstalten, die „Ein Mann will nach oben“, „Die Powenzbande“, „Es muss nicht immer Kaviar sein“, „Babylon Berlin“ verfilmt haben, hätten dieses längst auch verfilmen müssen. Es hätte ein Renner werden können und müssen. Aber geschehen ist es nicht. Das hat natürlich Gründe. Mangelnde Spannung, stilistische Schwächen, auch die vielleicht etwas oft aufkommenden Sentimentalitäten des Romans, - man wird bei der Lektüre kaum umhin kommen, ein paar Tränen zu weinen -, dürften kaum verantwortlich sein. Das Buch ist wundervoll geschrieben, knapp, sparsam, in einer Art schmucklosem Volkston, wie man ihn in den für Leonard Frank prägenden Jahren nach dem Ersten Weltkrieg international auch bei C.F. Ramuz, Sinclair Lewis, Vladislav Vancura, F.E. Sillanpää sehen konnte. Nein, das Problem des Buchs, das dazu geführt hat, dass einflussreiche Multiplikatoren ihm nie vergeben haben, liegt darin, dass Leonhard Frank, je länger das mit den Diebereien, mit Überfällen auf Lager von Schwarzhändlern, mit Kontakten zur keineswegs unfreundlich gezeichneten US-Besatzung voranschreitet, die Jesus-Jünger zunehmend verlässt und sich auf zwei junge Frauen, die wohl wahren Protagonistinnen, konzentriert. Ruth ist eine Jüdin, der man mit 17 Jahren die Eltern erschlagen hat, um sie nach Auschwitz und danach in ein Bordell in Warschau zu verschicken. Sie kehrt zurück, seelisch gebrochen, eine wandelnde Leiche. Nicht Reue oder Hilfsbereitschaft schlägt ihr entgegen., sondern Hohn und Gewalt. Wie kann eine jüdische Hure es wagen, unter den Augen anständiger Würzburger eine Wilde Ehe mit einem Arier aufzunehmen! Ruths Schulfreundin Johanna war bis jetzt noch Jungfrau geblieben. Auch sie ist, wie mehr oder weniger alle Würzburger, ausgebombt. Sie und die 14- bis 15-jährigen Jünger helfen Ruth sofort. Johanna lässt sich mit einem amerikanischen Soldaten ein. Sie wollen heiraten, aber er wird vom Militär entlassen und nach Pennsylvania zurückgebracht. Sie schreiben sich Briefe. In denen verschweigt sie ihm, dass sie sein Kind erwartet. All dies ginge wohl an. Und käme im deutschen Familienfernsehserienangebot unter. Aber jetzt schreckt Leonhard Frank vor einer moralischen Frage nicht mehr zurück, die keiner lesen wollte: Wie denn nun, wenn einer dieser Juden, denen man die Verwandten ermordet und deren Jugend man zerstört hat, eine Waffe in die Hand nähme und ruhig einen erschießen würde, der so was getan hat, der als Mörder verurteilt gehört hätte, den die deutsche Justiz, die selbstverständlich nach wie vor dieselbe wie unter den Nazis ist, aber schützt, indem sie alle Versuche einer Anzeige und der Zeugnisniederlegung systematisch hintertreibt? Darf so eine Justiz den Juden, der objektiv gemordet hat, noch verurteilen? Sollte Fragen stellten andere Bücher nicht. Deswegen durften sie dann zu Klassikern werden. Doktor Buch sah ihn an. „Es ist nicht die Aufgabe der Geschworenen, das gebrochene Recht auf Kosten von Ruth Freudenheim wieder zusammenzuleimen. Das Recht kann nur auf Kosten der Naziverbrecher, die nach wie vor unter uns leben, unbehelligt von den Autoritäten, wieder in Kraft gesetzt werden.“ Er deutete empor zu dem hellen Fleck. „Sein Bild hängt nicht mehr da. Aber sein satanischer Ungeist lebt und wirkt kräftig weiter in Deutschland.“...more |
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Indien, ein autonomes Fürstentum im Inneren der britischen Kronkolonie, Januar bis Mai 1930, Genre: Reise-Tagebuch Berühmt und erfolgreich verfilmt ist Indien, ein autonomes Fürstentum im Inneren der britischen Kronkolonie, Januar bis Mai 1930, Genre: Reise-Tagebuch Berühmt und erfolgreich verfilmt ist das große Buch „Reise nach Indien“ von E.M. Forster, zuerst erschienen im Jahr 1924. Ackerley, ist damals ein jungen Mann gewesen. Er wurde 1896 geboren. In der Einleitung zu seinem eigenen Reisebericht erwähnt er, dass ihm ein befreundeter Autor die Gelegenheit vermittelt hätte, bei einem indischen Maharadscha eine Anstellung anzutreten, deren Charakter ganz undefiniert war und, wie er mit einer seiner augenzwinkernden Bemerkungen offenbart, vor allem darin bestanden habe, sich mit ihm zu schmücken und ihn zu verehren. Der Landsmann, der da vermittelt hatte, übrigens so dezent verhüllt homosexuell wie er selbst, ist genau der berühmte Forster gewesen. Wir haben es mit keinem Roman zu tun; es gibt folglich keine durchgehende Geschichte, keinen Plot, keinen Spannungsbogen. Was man sich schon noch mal vergegenwärtigen sollte, bevor man sich an ein Buch von gut über 400 Seiten macht. Ein authentisches, Tag um Tag geschriebenes Tagebuch ist es auch nicht, allenfalls konnte Ackerley auf ein solches zurückgreifen. Das Buch mit den Beobachtungen aus dem Jahr 1924 erschien erst im Jahr 1932, dafür wurde das Geschehen nach 1930 verschoben. Während der Autor im Buch immer Mr. Ackerley ist, wurde der Name des Maharadschas verändert, wurde aus seinem Staat, der in Wirklichkeit ähnlich hieß, Chhokrapur. Ackerley, über dessen Vorleben und englische Lebensumstände nie Nennenswertes zu erfahren sein wird, kommt kurz vor Silvester 1923 in Chhokrapur an und kehrt ihm Anfang Mai den Rücken. Stellt man in Rechnung, dass es längst nicht für jeden Tag eine Eintragung gibt, wird fühlbar, dass es sich um ein eher gemächliches Voranschreiten und Herumschweifen handelt, das man faktisch unmöglich täglich mit ein paar nächtlichen Stunden aufschreiben, geschweige in jene perfekte Form hat bringen können, wie wir es heute lesen. Man merkt vielleicht, ich versuche diejenigen, die eine Lektüre in Erwägung ziehen, darauf einzustimmen, dass sie kein „spannendes“, turbulentes, saukomisches, erotisches, verzaubertes Buch bekommen. Man sollte es sanft-ironisch, verschmitzt, mokant, dezent, distanziert, erlesen nennen. Der Schleier exzentrischer, maskuliner Globetrotteligkeit verlässt einen selten. Wie gewisse Kolonialszenen bei Monty Python, aber ohne Tiger, Blut und Lacher. Der Maharadscha ist ein kleiner, alter Mann, zu dessen Palast der Gast nur manchmal Zutritt bekommt. Der Alte hat eine Frau und mehrere, überraschend junge Kinder. Sie kommen im Buch kaum vor. Zwar wird als Grund die übergroße Hitze angegeben, aber, ohne dass Ackerley es sagen würde, schimmert durch, dass das nie ganz geglückte Verhältnis der zwei Homosexuellen (was aber erst recht nie gesagt wird!) den Ausschlag für Ackerleys Heimreise gegeben hat. Er komme vielleicht bald wieder, gelobt er. Aber er kam nie wieder. Der Potentat ist ein großer Freund des Empires und der klassischen griechischen Kultur und möchte sich darüber immer wieder unterhalten. Dabei treten abenteuerlich schillernde Kenntnisse zwischen Nietzsche und englischen Jugendbüchern aus dem späten 19. Jahrhundert zu Tage. Der Inder kann putzig naive Fragen stellen, zieht sich hin und wieder aber auch auf seinen Status als lebender Gott zurück. Sein Wort hat zu gelten. Zum Griechentum des Inders gehört, dass er Knaben sammelt. Er führt Ackerley seine Tänzer und Schauspieler vor, die er in Dörfern seines Fürstentums den Eltern abgekauft hat und die mythologische Pantomimen und Gesänge aufzuführen haben. Vor allem will er endlich ein griechisches Dorf voller Jünglinge bauen. Allerdings kostet das zu viel und hier ist der Allgewaltige kaum anders als viele in diesen Monaten, die immer glauben, mit Ackerleys für sie bei der britischen Verwaltung eingelegtem Wort werde sich alles zum Besseren wenden. Ähnlich zu den in den dreißiger Jahren von Christopher Isherwood vorgelegten Büchern haben wir es mit einem Buch zu tun, dessen homoerotische Untertöne einem alle paar Seiten ins Gesicht springen, dennoch unter der Vorgabe funktionieren, dass es so etwas wie Geschlechtsverkehr unter Männern - zumindest in England nie gegeben hat und nie geben wird. Wenn dem jungen Reisenden mal wieder ein zuvor als Adonis angekündigter Halbwüchsiger vorgeführt wird, sieht er dessen Reize nicht und gibt das auf Nachfrage auch noch bereitwillig zu. Der neuste Augenstern soll dem Kaiser Napoléon III. wie aus dem Gesicht geschnitten sein. Der Absonderlichkeiten sind viele. Der Maharadscha und der Engländer fahren im Auto durchs Land. Ein Glück bringendes Tier kommt in Sicht. Leider wirkt der Segen nicht, weil es auf der falschen Seite grast. Nach einer Weile befiehlt der Maharadscha zu drehen und zurück zu fahren, damit das günstige Vorzeichen Kraft bekomme. Dann bereitet er über Wochen die Reise zu rituellen Weihestätten vor, die er jedes Jahr tun müsse, sonst sterbe er, findet aber laufend neue Vorwände, sie nicht antreten zu können. Ackerley bekommt einen Jungen zugeteilt, der ihn angrinst wie ein Honigkuchenpferd, sie verstehen wechselseitig ihre Sprachen nicht, immer herbeieilt, sobald eine Zigarette geraucht ist, mit Brimborium den Ascher reinigt, ansonsten aber nie etwas tut, auch wenn die Wohnung verdreckt. Verschiedentlich spielen die Essensgewohnheiten der im Land beheimateten Kulturen eine Rolle. So wenn erläutert wird, warum Muslime gefährlich sind, sie essen Rinder, warum der gute Hindu, der die Kuh nie essen darf, nicht allein ihre Milch, sondern auch Auszüge aus Urin und Kot zu sich nehmen muss. Abdul wird Ackerley als Sprachlehrer zugeteilt. Abdul ist Muslim, somit ein Diskriminierter in Chhokrapur. Dazu ist er ein Schleimer, Feigling und dümmlicher Intrigant. Englisch kann er eher nicht, aber nicht er soll was lernen, sondern der Ausländer. Es schließt sich eine Operette aus passiver Aggressivität an. Ackerley kann Abdul nicht leiden und möchte ihn so oft wie möglich loswerden. Abdul wirft ihm das vor, Sie mögen mich nicht, uns Moslems hasst man überall. Aber nein, versichert Ackerley, wird mit dubiosem Zuckerzeug beschenkt, das er vor Abduls Augen nicht essen mag. „Sie mögen meine Geschenke nicht, weil Sie mich nicht mögen!“ Und so weiter. Ackerley soll sich dafür verwenden, dass Abduls Lohn erhöht wird. Das geht durch, aber das muss jetzt noch abgesichert werden, Ackerley wird abreisen, dann nehmen sie es ihm ja doch wieder. Ackerley muss sich bei den Engländern für ihn verwenden. Und so weiter. Die wenigen Engländer, vornehmlich arrogante Frauen, fassen es übrigens kaum, dass Ackerley sich für die Sitten und Gebräuche ehrlich interessiert. Die Einheimischen würden wie Kinder im Karneval leben, vor allem schrecklich unhygienisch. Lieber als mit seinem göttlichen Gastgeber ist Ackerley mit dem Jüngling Narayan zusammen, einer von zahlreichen Bediensteten, denen man unklare Aufträge, sich um ihn zu kümmern, erteilt hat. Narayan hat schon einen prächtigen Bart, unverzichtbares Schönheitsmerkmal jeden Hindu-Mannes, und eine Gattin. Mehr noch scheint dem Engländer an Narayans Freund Sharma gelegen, dem der Bart eher noch nicht wächst. Auch Sharma ist verheiratet; im Lande werden Kinder mit 12 oder 14 von ihren Eltern verheiratet. Oft scheinen die Jungen Angst vor Kontakten mit dem Engländer zu haben, vor allem wenn sie längere Zeit mit ihm im Inneren eines Hauses sind. Auch das wird nie offen gesagt, aber man spürt, dass hier Eifersucht im Spiel ist. Der Alte könnte es nicht mögen, wenn dieser junge Mann seinen Jünglingen zu nahe kommt. Eine Warnung: Es handelt sich zwar um einen Meilenstein der Gay-Literatur aus der Zeit vor Stonewall, aber wirklich „schwul“ wird das Buch (natürlich) nie. Man sollte es primär als Reisebericht und aus Interesse am Land lesen und dann mit britischem Understatement der leicht hochgezogenen Braue umgehen können. ...more |
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Aug 05, 2024
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| 9783888978227
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| 3.57
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| 2012
| Mar 2013
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Robert, der Vater, englischer Professor für Ökonomie, veröffentlichte sein Buch „Rückkehr des Meisters - Keynes für das 21. Jahrhundert“ nach dem Scho
Robert, der Vater, englischer Professor für Ökonomie, veröffentlichte sein Buch „Rückkehr des Meisters - Keynes für das 21. Jahrhundert“ nach dem Schock an der Wall Street 2008. Das hier mit dem Sohn Edward, einen Philosophen, vorgelegte Nachfolgewerk fängt mit einem von Keynes‘ Irrtümern an. Der wohl größte Wirtschaftswissenschaftler des 20. Jahrhunderts hat prophezeit, in 70, 80 Jahren (nach seiner Zeit, also jetzt ungefähr) werde es möglich sein, ausnahmslos allen Menschen rund um die Erde anständige Lebensumstände zu gewährleisten. Die monatliche Arbeitszeit werde stark sinken. Die gut ausgebildeten und in sicheren Verhältnissen lebenden Menschen würden dann viel mehr kreativen und philosophischen Beschäftigungen nachgehen, wie sie sich vordem eigentlich nur die Eliten hätten erlauben können. Offensichtlich ist das nicht passiert. Aber warum? Zum Einen, sagen die Skidelskys, weil der Reichtum nach wie vor falsch verteilt wird, national wie global. Zum Anderen, weil Finanzjongleure, Marketingfüchse und Influencer es geschafft haben, die von Natur her mitgegebene Unersättlichkeit des Menschen vor ihren Karren zu spannen. Wer immer was hat, wird bald einsehen, dass er noch viel mehr bräuchte. Der Mensch will gar nicht zufrieden sein. Geld, das wir immer als Mittel zu einem Ziel betrachtet haben, ist jetzt schon selbst zu einem reinen Ziel geworden. Es wird uns suggeriert, dass, wer 1 Milliarde hat, glücklicher lebt, als wer 10.000 Euro hat. Obwohl sozialpsychologische Befragungen immer wieder gezeigt haben, dass das nicht zutrifft. Die Skidelskys fordern eine entschlossene Umkehr zu den Werten der Alten Griechen. ...more |
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Jul 20, 2024
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Hardcover
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3257238274
| 9783257238273
| 3257238274
| 3.55
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| 1946
| 2008
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Zwei arme Jungs aus der Gascogne wandern nach Amerika aus. Der eine spielt die Violine, der andere die Klarinette. Sie entwickeln eine Musikclownnumme
Zwei arme Jungs aus der Gascogne wandern nach Amerika aus. Der eine spielt die Violine, der andere die Klarinette. Sie entwickeln eine Musikclownnummer und ziehen mit einem Varieté durch die Staaten. Der Erfolg bleibt bescheiden. Der eine Musiker fängt eine Liebschaft mit einer Kollegin an. Zu dritt ziehen sie in die Bronx. Gegenüber ist das Haus von einem italienischen Schneider. Der Vater vom Geiger wird krank und der Junge geht einige Zeit nach Frankreich, er lässt seine Frau zurück. Der Klarinettist und die Frau sind allein. Das Mädchen ist bereits schwanger, vom Geiger, weiß das aber noch nicht. Die beiden haben was miteinander. Der Geiger kommt zurück und findet ein Baby vor. Die Frau will jetzt wieder mit dem Geiger zusammen sein, aber der Klarinettist will das nicht. Er gibt das Kind für seines aus. Der Betrogene bringt im Affekt die Frau um und lässt die Leiche auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Der Italiener ist aber vorbeigekommen und hat alles gesehen. Die drei Männer schwören einen Bund des ewigen Schweigens und gehen auseinander. Der Klarinettist geht zurück in die Gascogne, steigt nach Jahren zu einem gefeierten Dirigenten von Kurorchestern auf, wird reich, heiratet und zeugt noch seinen eigenen Sohn. Der Geiger gibt seinen Sohn, von dem er annimmt, er wäre vom Klarinettist, in die Pflege. Später, zum Mann geworden, geht dieser Sohn für ein paar Jahre nach Kanada, ist dann wieder in New York und kommt dort mit Leuten von der Mafia in Kontakt, ohne selbst je Gangster zu werden. Der Geiger hingegen hat eine andere Frau gefunden und mit ihr einen Sohn gezeugt. Aus dem Nobody wird einer der reichten Männer der USA. Denn dort steht in jeder Kneipe einer seiner Musikautomaten. Von jeder Münze wandert ein kleiner Prozentsatz in seine Taschen. Er nennt sich mittlerweile „Little John“. Little Johns älterer Sohn, der nicht wissen kann, dass der reiche Mann sein Vater ist, nennt sich jetzt auch anders, nämlich McGill. Und es gibt auch noch einen höchst unseriösen Journalisten, der sowohl Beziehungen zu McGill wie zur Mafia hat. Der wird Maigret in die Augen stechen, sobald der in New York ist. Aber zuerst mal fährt dieser Journalist nach Frankreich und stolpert dort über den Dirigenten, also den Klarinettisten, den Ehebrecher, der sich für den Vater ausgegeben hat. Der Journalist erfährt genug, um darauf zu kommen, dass der reiche Little John und der arme Geiger von damals ein und dieselbe Person sind. Und wie der Zufall es so will, kennt er ja auch schon längere Zeit McGill, der keine Ahnung hat, dass sein Vater oder Onkel in Frankreich berühmt ist. Um jetzt mal Little John bluten zu lassen, braucht man brutale Freunde, aber die hat er ja: die Mafia. Die allerdings will die Angelegenheit komplett im Griff haben und offenbart McGill, wo er hergekommen ist. Sie schicken McGill zu Little John, damit er den erpresst. Doch es gibt ja noch den jüngeren Sohn von Little John. Der studiert in der alten Heimat seines Vaters, in Frankreich. Auch dort drüben regiert letztlich der Zufall und so kommt es, dass dieser ahnungslose junge Mann den berühmten Kommissar Jules Maigret kennen lernt. Maigret fühlt irgendwie, dass in New York ein Mord bevorsteht. Maigret besteigt den Ozeanliner und als er ankommt, ist der Sohn von Little John, also der Jüngere, der mit ihm von Frankreich herüber gereist ist, verschwunden. Man wird ihn entführt haben. McGill, der ältere Sohn, wohnt inzwischen bei Little John. Maigret will Little John in seiner Suite interviewen, doch McGill, der ihn ja nicht kennt, lässt es nicht zu. Also zieht Maigret sich erst mal nur die Atmosphäre der Stadt rein. Er schaut sich die Straße in der Bronx an, das Haus, wo die Armen aus Europa gewohnt haben. Wie die Mafia in den USA und der Zufall es gerade wollen, wird just in diesem Moment auf offener Straße ein alter Mann, nämlich besagter italienischer Schneider und Zeuge einer Bluttat, ermordet. Maigret weiß noch nicht, wer hier wer ist, aber er weiß, da drüben haben zwei junge Männer zusammen mit einer jungen Frau gewohnt und der eine von denen hat Klarinette gespielt. Das reicht ihm mehr oder weniger. Mit einem Mal sieht er die kleine, die traurige, die alte, die ewige Geschichte von den Männern, den Frauen, dem Geld vor sich! Maigret geht gerne zurück in Bars, wo er schon mal was getrunken hat. Schon beim ersten Mal in dieser einen Bar ist ihm der abgewrackte Journalist aufgefallen und jetzt ist der wieder dort, volltrunken. Aber vor allem kommt der Kommissar drauf, dass dieser Journalist in die Sache verwickelt sein muss. Denn er spricht Französisch, also muss er es drüben, in Frankreich wohl, gelernt haben! Sobald Maigret den bösen Journalisten in die Finger bekommt, der ihm erst mal entschlüpft ist, hat er den Fall gelöst. Unterdessen hat McGill den kleinen Bruder getroffen und die Brüder haben sich verständigt, sie halten dicht. Aber Maigret ruft den Dirigenten in Frankreich an und macht so viel Druck, bis der ihm alles enthüllt, was wir schon halb wissen oder ahnen. Von Amerika hat Maigret jetzt aber genug. Erst in Frankreich hört er, dass auch die Amerikaner gearbeitet haben und die Mafia demnächst vor Gericht steht. Maigret schweigt sich aus und dafür wird an seine Frau ein Paket mit einem Geschenk geschickt: ein Plattenspieler. Wenn man die Geschichte so herum erzählt, zieht sie einem die Schuhe ein bisschen schneller aus. ...more |
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Jul 16, 2024
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3311130456
| 9783311130451
| 3311130456
| 3.80
| 5
| unknown
| Oct 04, 2018
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it was ok
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Ein junges Mädchen hält sich für begabt und für was Besseres. Sie möchte als Schauspielerin Karriere machen. Wobei, Obacht: Diese Sätze beziehen sich
Ein junges Mädchen hält sich für begabt und für was Besseres. Sie möchte als Schauspielerin Karriere machen. Wobei, Obacht: Diese Sätze beziehen sich noch auf die Mutter der Protagonistin. Sie, also die Mutter, kommt allerdings nie wirklich voran. Sie tingelt als Nachtclubtänzerin im Orient. Ob das im Jahr 1954 und im Umfeld eines der damals populären Maigret-Romane eine dezente Andeutung für Prostitution gewesen ist, weiß ich nicht. Jedenfalls verkehrt sie mit vielen Männern und wird dann auch mal schwanger. Ein Holländer In Istanbul verspricht ihr die Ehe. Mit 38 Jahren bekommt sie ihre Tochter, das spätere Mordopfer in einem Fall von Kommissar Jules Maigret in Paris. Alle Papiere, die der Holländer beschafft, sind Fälschungen. Sie richten sich an der Cote d'Azur ein, in Nizza. Die zur Ruhe gesetzte Tänzerin glaubt sich legal verheiratet, ist es aber nicht. Der Holländer verschwindet und schickt gelegentlich Geld, irgendwann dann keines mehr. Um ohne Arbeit einen gewissen Lebensstandard halten zu können, verlegt sich die gealterter Tänzerin darauf, jeden Tag mit dem Bus ins Casino von Monte Carlo zu fahren und dort ein, wie sie glaubt, sicheres, vorsichtiges System zu spielen. Sie wird zunehmend verrückter und egoistischer und hätte die Tochter gern in einem Beruf und aus dem Haus. Diese Tochter hat von ihren Eltern gelernt, dass man als nobler Mensch keine einfachen, langweiligen Arbeiten für andere Menschen erledigt. Sie ist extrem stolz und sehr einsam. Dies, liebe Freunde, ist eine kleine, traurige Geschichte von einem lebensuntüchtigen Träumen-Menschen, für den die Normalen nur Spott und Neid übrig haben. Das Herz sozusagen sämtlicher Maigret-Romane! Noch im Jugendalter reißt die junge Frau ihrer egoistischen Mutter aus und lernt im Zug ihre - für die kommenden Jahre - beste Freundin kennen, auch sie von zu Hause ausgerissen, aus Lyon. Sie nehmen zusammen eine Wohnung in Paris, doch jetzt zeigt sich, dass sie charakterlich ziemlich verschieden sind. Die Lyonerin ist eine eiskalte Realistin, die begriffen hat, dass frau Geld braucht und am schnellsten dazu kommt wenn frau sich den Männern hingibt. Und die von der Cote ist eine scheue, schweigsame, zerbrechliche Heilige. Als solche wird sie von den Männern begehrt, entzieht sich ihnen aber immer wieder. Sie wechselt die Arbeitsstellen, überall eckt sie an, man findet sie zu stolz und arrogant. Zumal sie sich gegen sexuelle Übergriffe wehrt. Man erklärt sie für frigide. Der Arzt, nachdem man sie erschlagen aufgefunden hat, kann Maigret mitteilen, dass sie jungfräulich war. Zuletzt wohnte sie ganz allein und hatte Mietschulden bei ihrer alten Vermieterin, die etwas von einer unbefriedigten Lesbe an sich hat und sich bei Maigret beklagt, dass sie so selten zu Hause war. Maigret findet heraus, dass sie Monate arbeitslos gewesen ist und sich die Tage im kalten Winter einsam auf Bänken in Parks um die Ohren geschlagen hat, damit in der Straße niemand was mitkriegt. Hierin ähnelt sie dem Büroangestellten aus dem im Jahr zuvor veröffentlichten Buch „Maigret und der Mann auf der Bank“, der seiner Ehefrau den großen Wandel in seiner Existenz auch nicht erzählt hat und den Großteil seiner Zeit auf einer Bank an der Seine verbringt und dadurch in Kontakt zu einem Verbrecher kommt. Die ehemalige Freundin, das Mädchen aus Lyon, hat sich mit einem Gauner eingelassen, will heiraten und schärft ihrem Freund ein, dass er der Einsamen auf gar keinen Fall verraten soll, wo sie jetzt wohnt. Den Holländer, den Vater gibt es auch immer noch, als verurteilter Verbrecher und von einer tödlichen Krankheit gezeichnet, sitzt er in den USA im Zuchthaus, in Sing Sing. Von der alten Tänzerin hat er erfahren, dass seine Tochter irgendwo in Paris ist und beauftragt einen Vertrauten damit, sie ausfindig zu machen und ihr eine Menge Geld zu übergeben. Der Bote des Vaters in Amerika bestellt die junge Frau mit einem Brief in eine Bar, die eine Gangster-Bar ist. Der Brief erreicht sie aber nicht, sondern einerseits die frustrierte Vermieterin, andererseits die Lyonerin, die nun doch noch einmal zu Besuch gekommen war, sie aber nicht angetroffen hat, denn sie sitzt ja draußen in der Kälte ihre Zeit ab. Die falsche Freundin will sich dem Boten gegenüber als gesuchte Tochter ausgeben. Die arme Tochter erfährt was, erfährt auch, wo die Hochzeitsparty sein wird, wirft sich im Schale, um dort Rechenschaft zu fordern. Man findet sie tot auf dem Pflaster der Pariser Straßen, in Kleidern und Schmuck, die ihr nicht gehören. Maigret zog ein paarmal an seiner Pfeife und betrachtete schweigend seinen Gesprächspartner. Wenn er eine Pause einlegte, hätte man meinen können, er mache es einem Schauspieler nach, um dem, was er sagen würde, größeres Gewicht zu verleihen. Bei ihm war dies jedoch alles andere als Effekthascherei. Das Gesicht des Barkeepers nahm er kaum wahr. An Louise Laboine dachte er. Die ganze Zeit über, die er schweigend in der Bar in der Rue de l’Etoile verbracht hatte, als Janvier unten beim Telefonieren war, hatte er versucht sich vorzustellen, wie sie die Bar voller Gäste betrat, in ihrem schäbigen Abendkleid und dem schlecht sitzenden Samtcape. Wie stets geht es um den Augenblick, wenn Maigret die kleine traurige Geschichte klar vor seinem geistigen Auge erkennt. Maigret-Fälle werden nahezu nie durch systematische Polizeiarbeit, logische Konstruktion oder Gewalt entschieden. Vielmehr fast immer dadurch, dass im Rahmen von zirka fünf bis acht Kapiteln der Kommissar den Lebenslauf des oder der Verlorenen erfährt. Hat er den zusammen, sieht er, wir Leser noch nicht, wie durch Magie den Täter vor sich, wenn der Mörder auch, wie bei diesem Buch, so ziemlich jedermann hätte sein können und überhaupt nur durch Zufall in die Geschichte hinein gelangt ist. Ohne sehr passend eintretende Zufälle ginge so gut wie kein einziger Maigret jemals auf. Das ist allerdings nicht schlimm, in Wahrheit geht es bei den Maigrets ja nicht um die Klärung von Morden, sondern das wird nur vorgeschoben, um den andernfalls vielleicht weniger geneigten Leser für die kleine, traurige Geschichte zu ködern. ...more |
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Jul 15, 2024
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3863003179
| 9783863003173
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| 4.06
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| Feb 1926
| Sep 23, 2022
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Jun 24, 2024
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| 1938
| Sep 04, 2016
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it was ok
| Das Telefon schrillte. Studer hob den Hörer ab. Das Telefon schrillte. Studer hob den Hörer ab. Der glücklose Schweizer Kriminalromanautor mit seinen Drogensüchten, dem autoritären Vater, den Psychiatrieeinweisungen, auch mit seinem menschelnden, sehr berndeutschen, rau-herzlichen Wachtmeister Studer habe, gewiss doch, glaubt man sich zu erinnern, sehr gute Krimis geschrieben. Aber wo mir beim (aus demselben Jahr 1937 stammenden, kürzesten Buch) „Krock & Co.“ einige Zweifel schon angebracht schienen, sollte man vor diesem, dem dicksten aller Studer-Bücher direkt warnen. Ein schlechtes Buch von einem Menschen, der ohne Zweifel ein höchst befähigter Schriftsteller gewesen ist und dem man Meisterwerke zugetraut hätte, wäre er nicht so früh gestorben. Die Forderung nach Spannung, die für Kriminalliteratur gemeinhin erhoben wird, erfüllt Glauser hier auf groteske Weise durchaus nicht. Genießen kann man dieses Werk nach wie vor wegen seines (nostalgisch gewordenen) Schweizer Kleinbürger-Kolorits. Auch dieser Mensch Studer, offenkundig ein Berner Kommissar Jules Maigret, ist einem durchaus lieb. Aber schon die, für einen Roman auch nicht ganz unwichtige Frage, was da überhaupt los ist, um was es im Wesentlichen gehen sollte, fällt einem zu beantworten gar nicht so leicht. Die Stellen häufen sich, an denen man schwören möchte, auch Friedrich Glauser hatte damals den Überblick verloren. Was er dann macht, er schiebt Rückblicke ein, das und das wissen wir jetzt schon. Man möchte Seiten überspringen, aber vielleicht verpasst man was. Ich fürchte, da stecken die Abrechnungen nach gedruckten Zeilen in den Magazinen dahinter, in denen die Studer-Sachen seinerzeit zuerst erschienen sind. Außerdem ist Glauser damals nicht auf dem Posten gewesen, sondern saß in der Psychiatrie ein, als er sich an dieses Buch machte. Er wollte es für einen Wettbewerb einreichen. Und er hat es danach noch zwei Mal umgeschrieben, bevor es ein Buch wurde. Es gibt hier viel Mystik, die gegen Ende hin auf einmal, geradezu schockartig, über Bord geworfen wird, um einer rationalen Lösung Platz zu geben. „Ein Fall der Schatten“, sei das gewesen, sagt der Wachtmeister am Ende. (Studer ist zwar der beste Mann von der Berner Kripo, aber Kommissar kann er nicht mehr werden, seit er vor vielen Jahren mit einem mächtigen Politiker aneinander geraten ist.) Die Vorgeschichte zum Fall liegt schon ein paar Jahrzehnte zurück. Es scheint sich um einem Giftselbstmord gehandelt zu haben, die Polizeiakten führen ihn als nie aufgeklärten Mord, Täter flüchtig. Wie auch noch in ein paar anderen Krimis der damaligen Zeit gibt es einen geheimnisvollen Daumenabdruck, der nie einem Menschen zugeordnet werden konnte. Es gibt die zwei Brüder Koller. Südlich vom Atlas-Gebirge, in der wüsten Leere Marokkos, bei der Fremdenlegion waren sie untergetaucht. Diesen Namen Koller haben sie aber nur vorher getragen, in Fribourg noch, in der Schweiz. Cleman haben sie sich dann im Sahara-Außenposten Gurama genannt. Friedrich Glauser, der Schriftsteller, ist tatsächlich selbst mal an jenem fernen Ort Soldat gewesen und jetzt schickt er allen Ernstes den bärbeißigen Berner Polizisten hin. Studer trifft einen hellseherisch begabten Korporal, der sich zu gewissen Zeiten auch durch Europa bewegt und das hinterher wieder vergessen zu haben scheint. Der Hellseherkorporal heißt Collani. Klingt das nicht fast wie Koller? Auch eine reizende junge Cleman-Dame gibt es, Marie, sie läuft dem Wachtmeister in Paris und dann wieder in Basel über den Weg. Schon hat sich der behäbig Langverheiratete ein kleines Bisschen verliebt. Wie er das gerne tut, sobald eine einigermaßen hilflose und scheinbar unschuldige, junge weibliche Seele sich in einen Mordfall verirrt hat. Und nun wird in Basel die Mutter dieser jungen Cleman mit Hilfe eines fingierten Gasunglücks umgebracht. Wenig später stirbt die Schwester der Cleman-Mutter in Bern. Was haben wir denn da? Zwei Brüder Koller, die irgendwann plötzlich Cleman hießen. Zwei zu Tode gebrachte Schwestern, die ebenfalls Cleman hießen. Doch nein, es sind nicht die Schwestern der Brüder. Sondern die eine Cleman ist mit dem einen Koller verheiratet gewesen. Und wie im Märchen hat es eine gute und eine böse Schwester gegeben. Außerdem gibt es noch einen jüngeren Cleman in Paris, einen Cousin und Anwalt und er ist verschwunden. Außerdem hat es eine Kassette gegeben und in ihr könnten Urkunden über den Besitz eines Stücks Wüste in Marokko liegen, unter der eine Menge kostbaren Erdöls lagert. Der „verkachelte“ Fall (Originalton Studer) kommt und kommt und kommt nicht von der Stelle. Selten ist einem ein Krimi so lang und langweilig vorgekommen. Man blickt auch nie durch, Studer aber schon. Der fährt nach Paris, nach Basel, nach Bern zurück, noch mal nach Paris und dann noch nach Marokko. Irgendeine Koller-Cleman-Figur ist überall kürzlich erst herumgegeistert. Und dann wäre da auch noch ein seltsamer Heiliger, der Pater Matthias, barfüßiger Mönch in Latschen, der immer alles besser weiß, nur nichts Gescheites verrät. (Sollte auch er ein Koller sein?) ...more |
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Jun 17, 2024
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Paperback
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3492305687
| 9783492305686
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| 3.94
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| Sep 17, 2013
| May 11, 2015
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Ein sehr gelungenes Buch mit einem in die Irre weisenden Titel. „Sieg des Kapitalismus“ klingt wie „Niederlage des Kommunismus“ oder wie „Spitzenanlag
Ein sehr gelungenes Buch mit einem in die Irre weisenden Titel. „Sieg des Kapitalismus“ klingt wie „Niederlage des Kommunismus“ oder wie „Spitzenanlagen mit Fonds“. Ulrike Herrmann sagt: Zu dem Terminus „Kapital/Kapitalismus“ haben die Deutschen kein entspanntes Verhältnis. In den USA gebraucht man „capitalism“. Wir in Deutschland hätte die Tatsachen gerne bemäntelt mit Wörtern wie „(die soziale) Marktwirtschaft“, der „Freie Markt“ oder „Liberalismus“. „Warum die letzten 200 Jahre der Menschheit so reich waren wie nie zuvor. Und warum das nicht mehr lange so weitergeht“. So hätte die Frau ihr Buch nennen können, dann wäre klarer geworden, was drinsteht. Ulrike Herrmann ist Wirtschaftskorrespondentin der Zeitung taz. Sie tritt beim ARD-Presseclub oder in Phoenix auf. Sie hat Wirtschaftsgeschichte und Philosophie in Berlin studiert, ihre journalistische Ausbildung von der Henri-Nannen-Schule erhalten. Aber zuerst mal hatte sie Bankkauffrau gelernt. Sie war auch mal die Pressesprecherin der Grünen Krista Sager, als sie Gleichstellungssenatorin in Hamburg war. Herrmann ist also „irgendwie links“, eine ausgemachte Gegnerin der (noch herrschenden) neoliberalen Ideologie von der Selbstheilung der Märkte. Kommunistin ist sie deswegen aber noch lange nicht, sondern sie schätzt die Annehmlichkeiten, die der Kapitalismus uns allen gebracht hat. Ohne Markt, Privateigentum, selbstsüchtiges Gewinnstreben ging's nicht. Ulrike Herrmann wartet nicht, bis die Natur des Menschen sich geändert hat. „VWL für Dummis“ könnte man diese Einführung auch nennen. Im historischen Rückblick erzählt sie, warum es im Alten Rom siebenstöckige Mietskasernen, Tonwarenfabriken und den Zinseszins gegeben hat - und warum das trotzdem noch kein Kapitalismus war. Sie erklärt, warum das Prokopfeinkommen der Chinesen fast 1000 Jahre lang (450 v. Chr. bis 1300) besser war als das der Europäer (ihr einziges Diagramm); dennoch hatten sie nie AGs und erst recht keinen Derivatehandel. (Derivate sind von anderen Finanzpapieren sekundär abgeleitete Papiere, die man kaufen kann, ohne das primäre Papier überhaupt zu besitzen, kurz gesagt: die Scheine, mit denen an der Wall Street gewettet wird. Man kann als Gewinner aus dem Rennen gehen, wenn man zutreffend auf einen kommenden Verlust von jemand anderem gesetzt hatte.) China besaß am Ende des Mittelalters die mächtigste Flotte dieser Welt, dann entschied die politische Führung, sich nur noch nach innen zu entwickeln, den Handel mit den Ausländern abzubrechen, die Marine zu verschrotten. Im Florenz der Renaissance gab es bereits Banken, Börsen und Schuldscheine, doch Kapitalismus war das auch noch nicht, erklärt Ulrike Herrmann. So wie sie ihn versteht, entsteht Kapitalismus etwa 1770 in den Textilindustrierevieren Nordwestenglands. Damals waren dort die sozialen Standards und das Lohnniveau der breiten Bevölkerung so hoch wie nirgendwo sonst in der Welt. Erst darum, weil die menschliche Arbeitskraft viel teurer war als je in China oder Rom, wurde lukrativ, sich von der Landbesitzer-Verwandtschaft Kapital zu leihen, um Gesellschaften zu gründen, die es sich leisten konnten, teure Maschinen entwickeln zu lassen, die ihrerseits menschliche Arbeitskraft unnötig machten. Zugleich wurden aber in den Fabriken auch noch hohe Löhne gezahlt, sodass die (meist textilen) Produkte gekauft werden konnten. Das Nachsehen hatte letztlich das Land, denn die Menschen strömten zur besser bezahlten Arbeit in die Städte. London wurde zur größten Stadt der Welt. Hierin scheint schon der fatale Kettenbriefeffekt des Kapitalismus auf. Er muss ständig weiter wachsen, um seinen Geldgebern einerseits Zinsen auf ihr Kapital, den Arbeitern Lohn, den Kapitalisten im Endeffekt aber auch kräftigen Profit geben zu können. Das meiste Geld entsteht nicht durch die Notenpresse des Staats, sondern immer, wenn Banken jemandem einen Kredit gewähren. Es ist Buchgeld, digitales Zifferngeld, Giralgeld. Es wird nicht durch Goldreserven zu etwas Wertvollem, sondern durch das Vertrauen aller in die - auch in Zukunft noch haltende - Kraft der jeweiligen Volkswirtschaft. Missverständnisse ließen Menschen oft zu den falschen Rezepten greifen: Wo es ums Kapital ging, meinten sie, es mit Geld zu tun zu haben. Wenn sie die Krise einer ganzen Volkswirtschaft bekämpfen mussten, glaubten sie, es wie eine schwäbische Hausfrau mit Ausgaben-Kürzen schaffen zu können. Sie verwechselten die Betriebswirtschaft der einzelnen Familie oder einer kleinen Firma mit der Volkswirtschaft einer großen Industrienation. Wem der Unterschied zwischen BWL und VWL vielleicht noch nie klar war, der sollte unbedingt dieses Buch lesen! Es gibt drei Akteure des Kapitalismus. Keiner von diesen Drei tut irgendwas, ohne die anderen beiden in irgendeine Ecke zu treiben. Das sind Staat, Produzenten und Verbraucher, also Bürger. Streicht der Staat seine Ausgaben zusammen, muss mindestens einer der beiden anderen Spieler mehr ausgeben. Läuft nun aber das Schuldenzusammenstreichen des Staates übers Kürzen von Renten, Arbeitslosengeld und Beamtenbesoldung, kann die Verbraucherseite nicht mehr ausgeben als bisher. Wo nun aber die Produzenten merken, dass neuerdings weniger gekauft wird, schrecken sie davor zurück, weiter in die Produktion zu investieren. Statt in die Wirtschaft wollen die Vermögenden jetzt in Finanzpapiere investieren, vorzugsweise in Schuldenpapiere des Staats. Aber diese will der Staat ja gerade reduzieren! Also schickt man das Kapital lieber ins Casino des internationalen Finanzmarkts als in die Hardware unserer Zukunft. Bis zum kommenden Crash. Nahezu nichts hat einen stabilen Wert, den es behalten könnte, wenn der Wert der Volkswirtschaft als Gesamtheit kriselt. Das Geld ist immer eine Schuldzusicherung: „Ich gebe dir einen Zettel, für den dir jemand anders eine Leistung in dem und dem Wertumfang schuldet.“ Es funktioniert, solange alle an das Schuldeinlösungsversprechen glauben. Jedes Geld kann seinen Wert verlieren. Auch Gold oder ein Meisterwerk der Kunst, falls man sich eines Tages kaum noch was zu essen kaufen kann. (Man produziert die Nahrung nicht mehr selbst, das gehört zur Arbeitsteilung des Kapitalismus.) Gold wird man weder essen noch trinken. Alle, auch die Superrechen, brauchen einen allgemeinen Wohlstand der Massen. Die reine Logik würde also gebieten, dass sich der deutsche Staat stärker verschuldet, wenn private Haushalte und Unternehmen sparen. Doch stattdessen wurde sogar eine „Schuldenbremse“ ins Grundgesetz geschrieben, damit der Staat bloß keine Kredite aufnimmt. In Deutschland spart also jeder: die Bürger, die Firmen und demnächst der Staat. Die Deutschen erinnern an ein Volk von Eichhörnchen, die sich alle einen riesigen Vorrat an Extranüssen anlegen, aber keine essen wollen. Wer sagt, dass nur die Banken sich ihr Geld erfinden können? Auch die Staatsbank könnte es. Der Staat würde Beamte, Rentner und Kinder zahlen und zugleich mit dem von ihm „geschöpften“ Geld Stromleitungen, Bahnstrecken, Schulen bauen/sanieren. (Oder auch das Militär aufrüsten.) Das wäre, wie aber doch der gesamte Kapitalismus, eine Wette auf eine gute Zukunft. Nur falls in dieser Zukunft ein Zustand erreicht würde, bei dem alle glauben, es funktioniert nicht mehr, früher ging es uns viel besser, würde das Geld sich als Betrug herausstellen und die Währung zusammenbrechen. Andernfalls würde der erreichte Fortschritt die aufgenommenen Schulden von gestern „einspielen“. Die internationalen Finanzmärkte hält Ulrike für hoch problematisch. Ob ich einen Stuhl gebaut habe oder nicht, stellt einen Leistungszuwachs in der realen Welt dar. Wenn ich aber zwei Milliarden oder eher zwei Billionen in Software global verschiebe, ist real nichts entstanden, das Risiko eines Zusammenbruchs aber gestiegen. Ein ausgezeichnetes Buch, sauber strukturiert, verständlich geschrieben, voller Anstöße, selbst weiter zu denken, sich kundiger zu machen. Klartext gegen die Stimmungsmache in Parlamenten und auf vielen Medienkanälen. ...more |
Notes are private!
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Jun 02, 2024
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Paperback
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it was ok
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Nov 09, 2024
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3.51
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really liked it
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Oct 07, 2024
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4.50
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it was amazing
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Oct 03, 2024
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liked it
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Sep 14, 2024
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4.12
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it was amazing
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Sep 01, 2024
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3.64
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it was amazing
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Aug 31, 2024
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3.76
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really liked it
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Aug 28, 2024
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3.14
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liked it
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Aug 22, 2024
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3.79
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really liked it
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Aug 16, 2024
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3.77
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it was amazing
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Aug 16, 2024
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3.42
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really liked it
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Aug 14, 2024
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3.35
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it was amazing
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Aug 13, 2024
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3.79
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Aug 13, 2024
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3.58
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liked it
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not set
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Aug 05, 2024
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3.57
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really liked it
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not set
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Jul 20, 2024
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3.55
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it was ok
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Jul 16, 2024
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3.80
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it was ok
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Jul 15, 2024
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4.06
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really liked it
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Jun 24, 2024
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3.62
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it was ok
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Jun 17, 2024
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3.94
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it was amazing
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not set
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Jun 02, 2024
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