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Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2011-2012)/Teil I/Vorlesung 21

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Ableitung von Potenzreihen

Viele wichtige Funktionen wie die Exponentialfunktion oder die trigonometrischen Funktionen werden durch eine Potenzreihe dargestellt. Der folgende Satz zeigt, dass diese Funktionen differenzierbar sind und ihre Ableitung durch diejenige Potenzreihe dargestellt wird, die sich durch gliedweises Ableiten ergibt.


Es sei

eine Potenzreihe, die auf dem offenen Intervall konvergiere und dort die Funktion darstellt.

Dann ist auch die formal abgeleitete Potenzreihe

auf konvergent. Die Funktion ist in jedem Punkt dieses Intervalls differenzierbar mit

Der Beweis erfordert ein genaues Studium von Potenzreihen.



Die Exponentialfunktion

ist differenzierbar mit

Aufgrund von Satz 21.1 ist



Die Ableitung des natürlichen Logarithmus

ist

Beweis

Siehe Aufgabe 21.3.



Es sei .

Dann ist die Funktion

differenzierbar und ihre Ableitung ist

Nach Definition 17.15 ist

Die Ableitung nach ist aufgrund von Satz 21.2 und Korollar 21.3 unter Verwendung der Kettenregel gleich



Die Sinusfunktion

ist differenzierbar mit

und die

Kosinusfunktion

ist differenzierbar mit

Beweis

Siehe Aufgabe 21.4.




Die Zahl

Die Zahl ist der Flächeninhalt bzw. der halbe Kreisumfang eines Kreises mit Radius . Um darauf eine präzise Definition dieser Zahl aufzubauen müsste man zuerst die Maßtheorie (bzw. die Länge von „krummen Kurven“) entwickeln. Auch die trigonometrischen Funktionen haben eine intuitive Interpretation am Einheitskreis, doch auch diese setzt das Konzept der Bogenlänge voraus. Ein alternativer Zugang ist es, die Zahl über analytische Eigenschaften der durch ihre Potenzreihen definierten Funktionen Sinus und Kosinus zu definieren und dann erst nach und nach die Beziehung zum Kreis herzustellen (siehe Beispiel 25.10 und Beispiel 35.12).



Die Kosinusfunktion

besitzt im reellen Intervall genau eine Nullstelle.

Wir betrachten die Kosinusreihe

Für ist . Für kann man geschickt klammern und erhält

Nach dem Zwischenwertsatz gibt es also mindestens eine Nullstelle im angegebenen Intervall.
Zum Beweis der Eindeutigkeit betrachten wir die Ableitung des Kosinus, diese ist nach Satz 21.5

Es genügt zu zeigen, dass der Sinus im Intervall positiv ist, denn dann ist das Negative davon stets negativ und der Kosinus ist dann nach Satz 20.7 im angegebenen Intervall streng fallend, sodass es nur eine Nullstelle gibt. Für gilt



Eine rationale Approximation der Zahl auf einem -Pie.



Es sei die eindeutig bestimmte reelle Nullstelle der Kosinusfunktion aus dem Intervall . Die Kreiszahl ist durch

definiert.



Die Sinusfunktion und die Kosinusfunktion erfüllen in folgende Periodizitätseigenschaften.

  1. Es ist und für alle .
  2. Es ist und für alle .
  3. Es ist und für alle .
  4. Es ist , , , und .
  5. Es ist , , , und .

Aufgrund der Kreisgleichung

ist , also ist wegen der Überlegung im Beweis zu Lemma 21.6. Daraus folgen mit den Additionstheoremen die in (3) angegebenen Beziehungen zwischen Sinus und Kosinus, beispielsweise ist

Es genügt daher, die Aussagen für den Kosinus zu beweisen. Alle Aussagen folgen dann aus der Definition von und aus (3).




Die inversen trigonometrischen Funktionen



Die reelle Sinusfunktion

induziert eine bijektive, streng wachsende Funktion

und die reelle Kosinusfunktion induziert eine bijektive streng fallende Funktion

Beweis

Siehe Aufgabe 21.10.




Aufgrund der Bijektivität von Sinus und Kosinus auf geeigneten Intervallen gibt es die folgenden Umkehrfunktionen.


Die Umkehrfunktion der reellen Sinusfunktion ist

und heißt Arkussinus.


Die Umkehrfunktion der reellen Kosinusfunktion ist

und heißt Arkuskosinus.



Die Taylor-Formel


Zu einer konvergenten Potenzreihe[1]

bilden die Teilpolynome polynomiale Approximationen für die Funktion im Punkt . Ferner ist in beliebig oft differenzierbar und die Ableitungen lassen sich aus der Potenzreihe ablesen. Wir fragen uns nun umgekehrt, inwiefern man aus den höheren Ableitungen einer hinreichend oft differenzierbaren Funktion approximierende Polynome (oder eine Potenzreihe) erhalten kann. Dies ist der Inhalt der Taylor-Entwicklung.


Es sei ein Intervall,

eine -mal differenzierbare Funktion und . Dann heißt

das Taylor-Polynom vom Grad[2] zu im Entwicklungspunkt .

Das Taylor-Polynom zum Grad ist dasjenige (eindeutig bestimmte) Polynom vom Grad , das mit an der Stelle bis zur -ten Ableitung übereinstimmt.



Es sei ein reelles Intervall,

eine -mal differenzierbare Funktion und ein innerer Punkt des Intervalls.

Dann gibt es zu jedem Punkt ein mit

Dabei kann zwischen und gewählt werden.



Es sei ein beschränktes abgeschlossenes Intervall,

eine -mal stetig differenzierbare Funktion, ein innerer Punkt und .

Dann gilt zwischen und dem -ten Taylor-Polynom die Fehlerabschätzung

Die Zahl existiert aufgrund von Satz 16.10, da nach Voraussetzung die -te Ableitung stetig auf dem kompakten Intervall ist. Die Aussage folgt somit direkt aus Satz 21.13.




Fußnoten
  1. Bisher haben wir nur Potenzreihen der Form betrachtet; die Variable darf jetzt auch durch die „verschobene Variable“ ersetzt werden, um das lokale Verhalten im Entwicklungspunkt beschreiben zu können.
  2. Oder genauer das Taylor-Polynom vom Grad . Wenn die -te Ableitung in null ist, so besitzt das -te Taylor-Polynom einen Grad kleiner als .



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