Zum Inhalt springen

ADB:Jordan, Wilhelm

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Jordan, Wilhelm“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 476–479, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jordan,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 12. November 2024, 07:58 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Jäger, Rupert
Nächster>>>
Kekulé, August
Band 51 (1906), S. 476–479 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Wilhelm Jordan (Geodät) in der Wikipedia
Wilhelm Jordan in Wikidata
GND-Nummer 117182966
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|51|476|479|Jordan, Wilhelm|Siegmund Günther|ADB:Jordan, Wilhelm}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117182966}}    

Jordan *): Wilhelm J., Geodät, geboren am 1. März 1842 zu Ellwangen, † am 17. April 1899 zu Hannover. Auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt gebildet, widmete sich J. am Polytechnikum zu Stuttgart, welches damals eben den Charakter einer Hochschule nach Zürichs und Karlsruhes Muster anzunehmen begann, dem Studium der praktischen Geometrie. Schon 1863 bestand er die Prüfung als Geometer 1. Classe, und sofort trat er als Ingenieurpraktikant beim Bahnbau ein. Aber schon drei Jahre später erhielt er eine Assistentenstelle am Polytechnikum, und wieder nur zwei Jahre dauerte es, bis der Sechsundzwanzigjährige an die Schwesteranstalt in Karlsruhe als Professor berufen ward. Seit 1882 bekleidete er die Stelle eines etatsmäßigen Professors der Geodäsie an der technischen Hochschule in Hannover, und in ihr verblieb er, bis ein ganz unerwartet rascher Tod ihn aus gesegneter Thätigkeit abberief. Das Uebermaß von Arbeit, welches ihm aufgebürdet war, konnte selbst seine anscheinend so kräftige Natur nicht mehr ertragen.

An sich haben wir es scheinbar mit dem in üblicher Weise einfach verlaufenden Leben des deutschen Gelehrten zu thun, allein schon der Umstand, daß der Vertreter der angewandten Geometrie seinen Beruf nicht bloß im Hörsale und Studirzimmer auszuüben hat, mußte mancherlei Unterbrechungen des Alltagsdaseins mit sich bringen. Von 1868 bis 1870 hatte er sich an der Vermessung der rheinischen Dreieckskette zu betheiligen, und als Vertreter des Großherzogthums Baden nahm er in früherer Zeit auch an den Arbeiten der Europäischen Gradmessung theil. Im J. 1880 hatte er bei der Messung einer Basis nächst Göttingen im Interesse der preußischen Landesaufnahme zu thun; ebenso führte er in Baden und in der Provinz Hannover größere Nivellements aus, von denen insbesondere die Canalisation von Hannover-Linden Nutzen zog. Das badische Eichwesen half er auf die jetzt von ihm erreichte Stufe heben, und die einschlägigen Studien veranlaßten längeren Aufenthalt bei der Normaleichungscommission in Berlin. Weitaus die bedeutungsvollste Unterbrechung erfuhr jedoch seine normale Wirksamkeit durch die Theilnahme an einer nach Afrika gerichteten Forschungsexpedition. Der [477] bekannte Entdeckungsreisende G. Rohlfs plante 1873 eine gründliche Durchforschung der Libyschen Wüste und setzte sich zu diesem Ende in Verbindung mit dem Geodäten J., dem Geologen Zittel und dem Botaniker Ascherson. Im Winter 1873/74 fand die Reise statt, welche für die geologische Geschichte dieses noch recht wenig bekannten Theiles der Erdoberfläche die wichtigsten Ergebnisse lieferte, und zwar trugen hiezu die Ortsbestimmungen und Höhenmessungen, welche in Jordan’s Hand gelegt waren, sehr wesentlich bei. Namentlich wurde jetzt zuerst festgestellt, wie tief die Depression unter dem Spiegel des Mittelmeers liegt, in welcher sich dereinst das berühmte Orakel Juppiter Ammon, noch jetzt eine interessante Trümmerstätte, erhoben hat. In die geographischen Zeitschriften gingen bald nähere Mittheilungen über die Expedition über, und zwei Jahre nachher erschien ein selbständiges Werk über dieselbe, dessen zweiter Band J. zum Verfasser hatte. Er führt den Titel „Physische Geographie und Meteorologie in der Libyschen Wüste“ und ist vor allem auch deshalb von großem Werthe für den Reisenden, weil er ihm zeigt, auf welche Punkte man hauptsächlich sein Augenmerk zu richten und wie man die geographisch in betracht kommenden Aufgaben zu lösen habe.

Für die Hebung des Landmesserstandes, aus dessen Reihen er selbst hervorgegangen war, hat J. unausgesetzt die regste Theilnahme bekundet. Er war einer der eifrigsten Theilnehmer bei den Jahresversammlungen des Deutschen Geometervereins und suchte für das gesammte Vermessungswesen eine einheitliche Organisation zu erzielen. Sogar an die Begründung eines geodätischen Reichsamtes hat er gedacht. Der lange bestehende Zustand, dem zufolge die Geometer als Subalternbeamte von nur halbwissenschaftlichem Charakter betrachtet wurden, forderte seinen energischen Widerspruch heraus, und wenn hier eine Besserung angebahnt worden, wenn die amtliche und sociale Stellung des Vermessungspersonals eine ungleich würdigere geworden ist, so wird man J. unter denen, die an der Erreichung dieses Zieles mitwirkten, in erster Linie hervorzuheben haben. Von allem Anfang an unterstützte er in jeder Weise das Vereinsorgan, die „Zeitschrift für das Vermessungswesen“, dessen Schriftleitung er später selbst, im Verein mit Steppes, übernahm. Die rasche und intensive Entwicklung dieses Fachblattes war zum guten Theile seine Leistung; auch als er dahingeschieden war, konnte dasselbe noch eine ganze Anzahl von Artikeln aus seiner Feder bringen, die er bereits für den Abdruck vorbereitet hatte. In den Kreisen der Fach- und Berufsgenossen hat sich J. durch seine freudige Schaffenskraft ein dauerndes Denkmal gegründet.

Als Schriftsteller ist er schon frühe hervorgetreten, und sein unermüdlicher Fleiß hat eine solche Fülle von Zeugnissen seines litterarischen Strebens entstehen lassen, daß ein näheres Eingehen darauf sich hier von selber verbietet. Nur einige wenige Momente daraus können Erwähnung finden. Noch als junger Assistent legte er die Erfahrungen, welche ihm die Beschäftigung bei den württembergischen Vermessungsarbeiten gebracht hatte, in einer inhaltreichen Schrift nieder („Die trigonometrische Höhenmessung und die Ausgleichung ihrer Resultate“, Stuttgart 1866). Schon dieser Erstling zeigte, daß der Autor einen hochwichtigen Punkt, auf den er dann später immer wieder zurückkam, besonders scharf betonte, nämlich die Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung zur thunlichst vollständigen Befreiung der berechneten Daten von den an und für sich unvermeidlichen Fehlern. Daß diese Ausgleichungsrechnung für höhere geodätische Operationen eine Nothwendigkeit sei, war zwar längst anerkannt, aber in der eigentlichen Feldmeßkunst nahm man es damit einstweilen noch nicht so genau, und es ist großentheils Jordan’s [478] Verdienst, auch in diesen Kreisen der richtigen Anschauung zum Durchbruche verholfen zu haben. Sein Wort, sein Beispiel, ein dem Praktiker sehr nützliches litterarisches Hülfsmittel („Taschenbuch der praktischen Geometrie“, Stuttgart 1873) wirkten zusammen. Aus letzterem erwuchs einige Jahre später Jordan’s Hauptwerk („Handbuch der Vermessungskunde“, zwei Bände, Stuttgart 1877–1878), welches in mehrere fremde Sprachen übersetzt ward und bald noch durch einen dritten Band, die Principien der Erdmessung enthaltend, bereichert werden mußte. Der erste und dritte Band haben vier, der zweite hat sogar fünf Auflagen erleben dürfen. Von größeren Werken sind dann noch die als eine Frucht der afrikanischen Reise zu betrachtende Ortsbestimmungslehre („Grundzüge der astronomischen Zeit- und Ortsbestimmung“, Berlin 1885) und eine dem Theoretiker wie dem Manne der Praxis gleich werthvolle Sammelschrift („Das deutsche Vermessungswesen“, Berlin 1882 ff.) zu nennen, von welch letzterem J. und Steppes die Redaction übernommen hatten, während zur Mitwirkung die Träger der klangvollsten Namen in der deutschen Geodäsie herangezogen worden waren. Mehrere große Tafelwerke sind gleichfalls seiner Initiative entsprossen.

Auch in kleineren Abhandlungen und in zahlreichen Bücherbesprechungen hat sich J. stets als ein selbständiger, ideenreicher Arbeiter bewährt. Für jene Hauptaufgaben der die ellipsoidische Erdgestalt berücksichtigenden Geodäsie, bei welchen es auf die Auflösung der von kürzesten Linien der krummen Fläche begrenzten Dreiecke ankommt, gab er neue und zweckmäßige Formeln. Ursprünglich an die Soldner’schen Coordinaten gewöhnt, ging er späterhin zu den Gauß’schen Methoden über und behandelte umfassend des großen Mathematikers konisch-winkeltreue Projection, zunächst zum besten der Mecklenburgischen Landesvermessung. Seine Untersuchungen über die von Klose und Rheiner ausgeführte Dreiecksmessung im Großherzogthum Baden sind leider nicht im Drucke herausgegeben worden. Er war einer der ersten, welche das photogrammetrische Verfahren, das sich in der Wüste trefflich erprobte, in die Vermessungskunde einführten. Die terrestrische Strahlenbrechung, welche alle Beobachtungen fälscht, prüfte er allseitig, um die Messung von Berghöhen zu vervollkommnen, und erfand neue Mittel zu ihrer Ausmerzung, indem er zugleich auf das nicht gar so seltene Vorkommen der sogenannten Lateralrefraction aufmerksam machte. Von seinen Bemühungen um die Ausgestaltung der Methode der kleinsten Quadrate ist die Bestimmung des Maximalfehlers von Beobachtungen auszuzeichnen. Auch das kleinste, was eine Messung in ihrer Exaktheit zu beeinträchtigen geeignet war, beachtete er; als bei einer Aufnahme in der Umgebung von Hannover sich ein zuerst unerklärlicher Fehler herausstellte, wies er nach, daß die Fabrikschlöte, welche ihm als Signalpunkte gedient hatten, durch heftigen Wind in Schwankungen versetzt worden waren. Der Erdkunde leistete J. einen schätzbaren Dienst durch den Vortrag, welchen er 1889 auf dem Berliner Geographentage hielt, und worin er populär die Vortheile und Verwendbarkeit der einzelnen altimetrischen Verfahrungsweisen erörterte.

Daß J. eine in seinem Fache hoch geachtete Autorität war und daß die ihm gezollte Achtung sich nicht auf die Berufsgenossen allein beschränkte, ist nach dem Gesagten wol nicht zu verwundern. Eine größere Zahl äußerer Ehrungen konnte natürlich nicht ausbleiben. Am höchsten schätzte er selbst die ihm von der philosophischen Facultät der Universität München verliehene Ehrendoctorwürde, das äußere Zeichen des berechtigten Aufsehens, welches seine Forschungen auf afrikanischem Boden gemacht hatten.

[479] Helmert, Wilhelm Jordan, Zeitschrift für das Vermessungswesen, 28. Band, 11. Heft. – W. Wolkenhauer, Geographische Nekrologie, Wagner’s Geograph. Jahrbuch, 23. Band, Gotha 1901.

[476] *) Zu Bd. L, S. 701.