Kriechstrom

Fehlstrom der über die Isolierung abfließt

Als Kriechstrom bezeichnet man in der Elektrotechnik einen unkontrollierbaren und unerwünschten Strom,[1] der an der Oberfläche eines Isolierstoffes[2] zwischen zwei Leitern[1] entlang fließt.[2] Der kürzeste Weg, den dieser Strom auf der Isolierstoffoberfläche fließt, wird als Kriechstrecke bezeichnet.[3] Durch diese Fehlerströme auf der Isolierstoffoberfläche kommt es im Laufe der Zeit zu Veränderungen des Isolierstoffes.[4]

Grundlagen

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Im Idealfall leiten elektrische Isolierstoffe keinen elektrischen Strom.[1] Insbesondere die inneren Isolationseigenschaften eines Isolierstoffes werden durch seinen spezifischen elektrischen Widerstand bestimmt.[2] Die Stromleitung an seiner Oberfläche kann wesentlich davon abweichen, auch wenn die Durchschlagsfestigkeit einer gleich langen Luftstrecke noch nicht erreicht wird.[5]

Durch Umgebungseinflüsse wie Staub, Luftfeuchtigkeit und korrosive Gase kommt es im Laufe der Zeit zu z. T. leitfähigen Ablagerungen[ANM 1] auf der Isolierstoffoberfläche und dadurch zur Bildung von Kriechwegen.[6] Kommen in den Ablagerungen befindliche Salze mit Feuchtigkeit in Verbindung, so können dadurch Elektrolyte entstehen, die wiederum die Leitfähigkeit der Ablagerungen erhöhen können.[7] Dadurch kommt es im Betrieb auf der Oberfläche des Isolators zu kleinen Strömen zwischen den Leitern, den Kriechströmen.[8]

Diese Ströme sind unkontrollierbare Ströme, die auf der Oberfläche des Isolierstoffs vagabundieren.[1] Nach dem Abtrocknen verschwindet die Leitfähigkeit der Verunreinigungen wieder.[7] Durch sich wiederholendes Befeuchten und Abtrocknen kann es zu einer Aufkonzentration von Verunreinigungen kommen, was wiederum dazu führt, dass sich bereits bei normaler Luftfeuchtigkeit einige Feuchtigkeitsmoleküle auf der Oberfläche befinden und es zu stärkeren Kriechströmen kommt.[9] Aber auch durch Beschädigung oder Alterung der Isolierstoffe können Kriechströme über den Isolierstoff fließen.[4] Durch die Kriechströme können Kriechspuren verursacht werden, die die Oberfläche des Materials angreifen.[8] Im Laufe der Zeit verändert sich dadurch der Isolierstoff, und es kommt zu Verkohlungen der Oberfläche, welche wiederum die Leitfähigkeit erhöhen.[4]

Auch bei Keramiken kommt es bei hohen Temperaturen zu einer Ionenleitung, sodass diese bedingt leitfähig werden und es zu Kriechströmen kommt.[10]

Schädliche Auswirkungen

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Durch die ständig auftretenden Kriechströme entsteht Wärme.[6] Fließen Kriechströme über einen längeren Zeitraum, so kann dies auf Dauer zu einer Erhitzung des Strompfades führen,[4] bis hin zu einem Brand.[6] Letztendlich kann auch bei entsprechender Schädigung der Oberfläche ein Lichtbogen entstehen.[4] Manche Isolierstoffe zersetzen sich bei hohen Temperaturen zu leitfähigen Stoffen (z. B. Hartpapier zu Graphit) oder besitzen eine hohe Wasseraufnahme; diese Stoffe weisen in der Regel auch hohe Kriechströme bzw. geringe Kriechstromfestigkeiten auf.[5]

Bei Leiterplatten kann es durch Kriechströme, bedingt durch die Adsorption von Luftfeuchtigkeit im Leiterplattenmaterial, bei hochohmigen elektronischen Bauteilen zu falschen Signalen, den Bitkippern, kommen.[9] Letztendlich kann es durch ständige Kriechströme zu einer Zerstörung des Isolators kommen.[1]

Lebensgefährlich können Kriechströme an Freileitungsmasten aus Holz für Großvögel wie z. B. Störche werden, wenn sie auf den Masten sitzen und dabei von diesen Strömen elektrisiert[ANM 2] werden.[11]

Abhilfen

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Hochspannungskaskade aus einem Laserdrucker. Zur Verringerung von Kriechströmen sind zwischen den Leiterbahnen und unter den Bauteilen Schlitze in die Leiterplatte gefräst.

Eine wichtige Eigenschaft von Isolierstoffen ist die Kriechstromfestigkeit.[1] Sie kennzeichnet die Widerstandseigenschaften von Isolierstoffen gegen eine Kriechspurbildung.[8] Sie wird u. a. von deren Wasseraufnahmevermögen und deren Verhalten bei Vorentladungen bzw. Kriechentladungen (Resistenz gegenüber Ultraviolettstrahlung und thermischer Belastung) bestimmt.[12]

Ein weiterer Effekt ist die als Hydrophobie bezeichnete gute wasserabweisende Wirkung an der Oberfläche einiger Isolierstoffe, die das Verhalten dieser Isolierstoffe bei Belastung durch Fremdstoffe verbessert.[13] Kriechströme auf Isolierstoffen lassen sich durch wasserabweisende (hydrophobe) Beschichtung oder Imprägnierung z. B. durch Silikone verringern.[14]

Gefährdungen von Vögeln lassen sich durch spezielle Mastkonstruktionen mit Isolierschienen verhindern.[11]

Das Fließen von Kriechströmen kann bei sehr hochohmigen Signalen (z. B. Eingangssignale von Ladungsverstärkern, Instrumentenverstärkern, FET-Operationsverstärkern) durch um die Anschlüsse gelegte Potenzialringe (guard ring) verhindert werden, die hierzu auf dem gleichen Potenzial wie das Signal liegen müssen.

Einzelnachweise

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  1. a b c d e f Hans Fischer: Werkstoffe in der Elektrotechnik. Aufbau - Eigenschaften - Prüfung - Anwendung. 2. überarbeitete Auflage, Carl Hanser Verlag, München + Wien 1982, ISBN 3-446-13-553-7, S. 320, 321.
  2. a b c Günter Springer: Fachkunde Elektrotechnik. 18. Auflage, Verlag Europa-Lehrmittel, Wuppertal, 1989, ISBN 3-8085-3018-9, S. 502–507.
  3. Theodor Schmelcher: Handbuch der Niederspannung, Projektierungshinweise für Schaltgeräte Schaltanlagen und Verteiler. 1. Auflage. Siemens Aktiengesellschaft, Berlin/ München 1982, ISBN 3-8009-1358-5, S. 336.
  4. a b c d e Thomas Erge, Hermann Laukamp, Luis Miguel Diazgranados, Alfons Armbruster, David Fischer: Steckerfertige, netzgekoppelte Kleinst - PV - Anlagen. Studie für E-Control Austria. Fraunhofer - Institut für Solare Energiesysteme ISE, Version 1.4b, Freiburg 2016, S. 45, 46.
  5. a b A. Senner: Fachkunde Elektrotechnik. 4. Auflage. Verlag Europa-Lehrmittel, 1965, S. 400–416.
  6. a b c Youssef Dahmouni: Brandentstehung in Niederspannungsanlagen. Dissertation am Fachbereich für Elektrotechnik und Informationstechnik der Universität Hannover, Hannover 1999, S. 28, 29, 75, 90.
  7. a b Christian Matzner: Konzeption produktspezifischer Lösungen zur Robustheitssteigerung elektronischer Systeme gegen die Betauung im Automobil. Bericht aus dem Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik. FAPS, als Dissertation genehmigt von der Technischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Meisenbach Verlag, Bamberg 2010, ISBN 978-3-87525-309-2, S. 26.
  8. a b c Wilfried Plaßmann, Detlef Schulz (Hrsg.): Handbuch Elektrotechnik. Grundlagen und Anwendungen für Elektrotechniker. 5. korrigierte Auflage, Vieweg + Teubner Verlag, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-8348-0470-9, S. 246, 250.
  9. a b Patrick Hellwig: Untersuchung von wechselnden klimatischen Umgebungsbedingungen und den daraus resultierenden Betauungsphänomenen und elektronische Komponenten. Dissertation am Fachbereich Physik der Technischen Universität Kaiserslautern, Kaiserslautern 2007, S. 1, 7, 30.
  10. Jörg Korp: Einfluss ausgewählter Schlackenkomponenten auf den Energieverbrauch beim Elektroschlacke Umschmelzen (ESU). Dissertation am Lehrstuhl für Metallurgie der Montanuniversität Leoben, Leoben 2007, S. 83.
  11. a b Edmund Lenz, Michael Zimmermann: Stromschlag und Kriechstrom, zwei tödliche Gefahren für den Storch. In: Natur- und Umwelthilfe e. V. Erlangen (Hrsg.). Strohhalm, 2. Ausgabe Nr. 1, Sonderbeilage, S. 6, 9–11.
  12. Uwe Kaltenborn: Die Eignung von Diagnoseverfahren zur Beurteilung der Frühphase der Oberflächenalterung von Epoxidharz-Formstoffen bei simultaner elektrischer und klimatischer Beanspruchung. Dissertation am Fachbereich für Elektrotechnik und Informationstechnik der Technischen Universität Darmstadt, Darmstadt 2005, S. 6, 62.
  13. Florian Exl: Einflussfaktoren auf die Bewertung der Hydrophobieeigenschaften von Isolierstoffen. Dissertation am Fachbereich für Elektrotechnik und Informationstechnik der Technischen Universität München, München 2009, S. 1, 22.
  14. Jürgen Pfeiffer, Johann Weis: Silicone - Multitalente aus Sand, Eigenschaften und Anwendungen. In: CLB Chemie in Labor und Biotechnik (Hrsg.). 53. Jahrgang. Heft 4, D 2046 E, 2002 S. 134.
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Anmerkungen

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  1. Diese Ablagerung wird als Fremdschicht bezeichnet und besteht aus einem Gemisch aus Elektrolyten, Nichtleitern und Elektronenleitern. Dabei bilden Elektrolyte den wesentlichen Bestandteil in der Fremdschicht. (Quelle: Youssef Dahmouni: Brandentstehung in Niederspannungsanlagen.)
  2. Die Stromstärke ist dabei umso höher je kleiner die Kriechstrecke ist. Werden Störche von einem Kriechstrom, der im Milliampere Bereich liegt, elektrisiert, verkrampft sich ihre Muskulatur. Dadurch können sie nicht mehr richtig fliegen und stürzen dann ab. Dabei kommen sie häufig zu Tode. (Quelle: Edmund Lenz, Michael Zimmermann: Stromschlag und Kriechstrom, zwei tödliche Gefahren für den Storch.)