Diskussion:Liste der Bachkantaten

Letzter Kommentar: vor 13 Tagen von Lektor w in Abschnitt "Nicht von Bach"
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Orthographie Bach'scher Kantatentexte

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Die letzten Änderungen sollten wohl noch einmal überdacht werden. Welche Orthographie ist denn die "richtige"? (Man bedenke, dass die "Titel" der Kantaten ja in Wirklichkeit nur deren Textanfänge sind.)

  1. Die von Bach im 18. Jhdt. verwendete Schreibweise (Gab es damals überhaupt eine verbindliche Orthographie?)
  2. Die Orthographie der alten Bach-Gesellschaft-Gesamtausgabe? (19. Jhdt)
  3. Die Orthographie der neuen Bach-Gesellschaft-Gesamtausgabe? (20. Jhdt)
  4. Die heute (21. Jhdt.) gültige Orthographie?

Ich bin der Meinung, dass es für 2. und 3. keine vernünftigen Argumente gibt und 1. nur anhand der Autographe feststellbar wäre. Daher erscheint mir doch 4. am sinnvollsten zu sein.

Ein Beispiel: BWV 124 lautet lt. alter BGA "Meinen Jesum lass' ich nicht." Wie es im Autograph gelautet hat, ist mir nicht bekannt, ich bezweifle aber ein "ß". "Laß" ist auch nach heutiger Rechtschreibung nicht korrekt, warum sollte der Text also so geschrieben werden? Weil es im vergangenen Jahrhundert möglicherweise zeitweise so war? Erscheint mir nicht einleuchtend. LG,--Zapane 15:26, 5. Jan. 2012 (CET)Beantworten

 
BWV 244, Nr. 24 (18), T. 4-6: „Setzet euch hie, biß daß ich dort hingehe und bete."
Frohes Neues, Zapane! Du bezweifelst aber doch nicht, dass Bach SZ verwandt hat? Das findet sich vielfältig in den Autografen und in den Leipziger Textheften, z.B. in Tue Rechnung! Donnerwort BWV 168, Nr. 3:
… „Von wahrer Liebe brennen /
Nicht unzuläßig richten /
Noch frembdes Thun vernichten /
Des Nechsten vergessen /
Mit reichem Maße messen!“
Als Beispiel für Bach selbst siehe auch rechts den Autographen BWV 244. Ausführlich wird die Orthographie thematisiert in Sämtliche von JSB vertonte Texte. Leipzig 1974, 14f. Freilich ist die jetzige Orthographie ein Kompromiss, da sie sich nicht am Autographen orientiert („biß daß“). Der Titel von O heilges Geist- und Wasserbad BWV 165 lautet im Textheft: „O Heil’ges Geist- und Wasser-Bad“, später: „O Fluth, die alles Missethat / Durch ihre Wunderkrafft erträncket.“
Und auch bei Bach und in den Textheften ist die Schreibweise inkonsequent.
Ich meine, wir sollten uns uns pragmatisch am BWV und den gängigen kritischen Ausgaben orientieren. Das ist die gängige Ausgabe, die am weitesten verbreitet ist. Also Nr. 3. Gruß, --Wikiwal 16:21, 5. Jan. 2012 (CET)Beantworten

Anderes Beispiel auch aus der Matthäus-Passion 9/5:

Autograph:

Du lieber Heyland du,
wenn deine Jünger thörigt ſtreiten,
daß dieſeß fromme Weib
mit Salben deinen Leib
zum Grabe will bereiten,
ſo laße mir inzwiſchen zu,
von meiner Augen Trähnenflüßen
ein Waßer auf dein Haupt zu gießen.

aha: Bach schreibt immer "ß". Man zeige mir ein "ss" im Autograph.

alte BGA (1854):

Du lieber Heiland du,
wenn deine Jünger thöricht streiten,
dass dieses fromme Weib
mit Salben deinen Leib
zum Grabe will bereiten,
so lasse mir inzwischen zu,
von meiner Augen Thränenflüssen
ein Wasser auf dein Haupt zu giessen.

Im 19. Jhdt. wird immer "ss" daraus. (manchmal auch ſs, ſz und ss für das gleiche Wort je nach Typographie, s. [1] S. 1 + 3 des pdf.)

Orthographie von ca. 1905 bis ca. 1996:

Du lieber Heiland du,
wenn deine Jünger töricht streiten,
daß dieses fromme Weib
mit Salben deinen Leib
zum Grabe will bereiten,
so lasse mir inzwischen zu,
von meiner Augen Tränenflüssen
ein Wasser auf dein Haupt zu gießen.

So wurde es im 20. Jhdt. gemacht, weil es damals so richtig war.

Heute gilt:

Du lieber Heiland du,
wenn deine Jünger töricht streiten,
dass dieses fromme Weib
mit Salben deinen Leib
zum Grabe will bereiten,
so lasse mir inzwischen zu,
von meiner Augen Tränenflüssen
ein Wasser auf dein Haupt zu gießen.

Und das ist auch die pragmatische und richtige Lösung, an der wir uns auch im Sinne von WP:RS orientieren sollten. Ich bin übrigens kein überzeugter Verfechter oder Anhänger der neuen deutschen Rechtschreibung, aber sie gilt nun mal. Alle bisherigen Editionen haben sich auch am damals jeweils gültigen Standard orientiert (und nie an Bachs Original, oder der jeweils vorigen Edition) und das sollten wir jetzt auch tun. --Zapane 21:02, 5. Jan. 2012 (CET)Beantworten

Aber noch gibt es keinen Nachfolger der NBA, oder? Noch wird im BWV die alte Rechtschreibung verwendet, noch singen alle Sänger nach der alten Schreibweise, noch wird daraus dirigiert und studiert. Oder gibt es bereits kritsche Ausgaben in der neuen Rechtschreibung? Wenn es die gibt, bin ich sofort für eine Anpassung. Jetzt auf etwas anzupassen, was es in den Notenausgaben nirgends gibt, grenzt an Theoriefindung. Gruß, --Wikiwal 21:17, 5. Jan. 2012 (CET)Beantworten
Danke. Solange selbst die englische Wikipedia, wenn auch zähneknirschend, die "ß" der NBA in den Bachkantaten-Titeln hat, können wir sie auch beibehalten. --Gerda Arendt 21:37, 5. Jan. 2012 (CET)Beantworten
Für mich ist das einfach Falschschreibung aus "Die alte Rechtschreibung war einfach besser"-Sentimentalität. Denn die NBA-Schreibung ist keineswegs besonders richtig, wertvoll oder autoritativ, sondern bloß zufällig "damals gerade eben gültig". Aber wenns die Mehrheit so will.... LG, --Zapane 21:45, 5. Jan. 2012 (CET)Beantworten
Dass sich die Welt nach ihr richtet - die Bachkantaten sind überall unter diesen deutschen Textanfängen bekannt - hat schon etwas von "autoritativ", siehe auch nn-WP und fr-WP, wo die Kantaten vollständig sind. --Gerda Arendt 22:37, 5. Jan. 2012 (CET)Beantworten
2016 wird das Bachwerkeverzeichnis neu erscheinen - warten wir die Schreibweise dort ab! --INM (Diskussion) 10:52, 24. Jun. 2015 (CEST)Beantworten
2022 ist es dann wirklich erschienen. Es verwendet die neue Rechtschreibung ("Wer nur den lieben Gott lässt walten"), behält aber historische Lautformen bei ("Ich habe genung", Süßer Trost, mein Jesus kömmt"). Lasst es uns so machen! Die historisch präzise Schreibweise des Texts ist hier doch erstmal nebensächlich, würde aber immer wieder Fragen aufwerfen, zu vermeintlichen Korrekturen führen und insgesamt ohne echten Gewinn ein steifes, dogmatisches und unzugängliches Bild abgeben. --Martin Ingenhuett (Diskussion) 19:31, 18. Jul. 2022 (CEST)Beantworten

Solisten und Chor leicht irreführend?

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Die beiden Spalten Solisten und Chor sind zwar insofern sinnvoll, dass man sieht, welche Stimmen in Rezitativen und Arien singen sollen. Andererseits entsteht dadurch der Eindruck, man brauche für die Kantaten unbedingt einen zusätzlichen Chor im heutigen Sinne, was nicht der Fall ist, da es ja auch "one-voice-per-part-Aufführungen" gibt. Sollte man vielleicht ein Sternchen bei "Chor" anfügen, dass darauf aufmerksam macht, dass damit nicht immer mehr als eine Person pro Stimmlage gemeint sein muss und dass ein Minimum von 4 Sängern SATB alle Solo- und Choraufgaben erfüllen kann?

--79.223.243.220 18:54, 13. Jul. 2016 (CEST)Beantworten

Solche aufführungstechnischen Details kann eine Liste nicht diskutieren. Dafür gibt es den Abschnitt Kantaten (Bach)#Aufführungspraxis, wo die Minderheitenposition von Rifkin und Parrott ausführlich zu Wort kommt. Die Spalten machen in der Tat deutlich, wie die Rezitative und Arien besetzt sind und ob es überhaupt einen vierstimmigen Chor gibt. Das ist erstmal ohne Implikationen für die Aufführung. Umgekehrt gibt es auch die Auffassung und die Praxis, dass zumindest in einigen Arien die angegebene Stimme mehrfach besetzt sein werden sollte (Christ lag in Todesbanden BWV 4, Ein feste Burg BWV 80, Wachet auf BWV 140 usw.). Es wäre unnötig kompliziert, alle Forschungspositionen mit Anmerkungen zu versehen. Im Bach-Kantaten-Artikel kann das gerne noch weiter differenziert werden. Ich habe die Schriften von Parrott und Rifkin gelesen und bin in Bezug auf Bach nicht überzeugt. Was bei Buxtehude genial klingt, muss bei Bach nicht die Norm sein. Wir wissen ja nicht viele Details über die Aufführungen. Aber dass Bach sich in seinem berühmten "Memorandum" explizit 3-4 gute Sänger pro Stimme wünschte, ist an Klarheit kaum zu überbieten und kann auch von besagten Herren nicht leicht umgedeutet werden. Gruß, --Wikiwal (Diskussion) 19:55, 13. Jul. 2016 (CEST)Beantworten
Ich wollte ja eigentlich gar nicht in diese toxische Diskussion einsteigen, Ich bin eigentlich von der ovpp-Interpretation ziemlich überzeugt, insbesondere auch von der leichten Umdeutbarkeit des "Entwurffs" (da stehen auch 4 Bratschen drin. Für welche Kantate braucht man 4 Bratschen?; Bach hat auch (in der Regel leichtere) Werke anderer Komponisten aufgeführt für die er einen Chor benutzt haben könnte), und das nur anhand von den paar leicht zugänglichen Originalmanuskripten bei imslp.
Als Beispiel wie die momentane Auflistung etwas ungenau zeichnet, was mit ovpp erklärbar ist nehme ich mal BWV 71 "Gott ist mein König". Bei der frühen Kantate entnimmt man dem Originalmanuskript doch recht klar, dass 4 Sänger und ad libitum 4 Ripienisten vorgesehen sind. Wie könnte man das in der Tabelle rüberbringen?
Ich bin mir auch nicht so sicher ob man Rifkin/Parrot noch als Außenseitermeinung bezeichnen kann, in Deutschland gewiss, aber es gibt doch eine ganze Reihe neuer ovpp Interpretationen.

--79.240.70.232 02:56, 22. Aug. 2016 (CEST)Beantworten

Wikiwal: "Minderheitenposition von Rifkin und Parrott"? Also, ich bitte dich: Die Position von Rifkin und Parrott hat sich in der internationalen wissenschaftlichen Diskussion allgemein durchgesetzt, weil sie sich auf eine absolut stringente und konsistente Indizienkette stützen kann, die durch neuere Quellenfunde immer wieder bestätigt wurde, während die Gegenposition auf völlig unbelegte, einzig in unseren Gewohnheiten begründete Hypothesen aufbaut. Selbst in Leipzig, wo man sich mit Händen und Füßen gegen Rifkins Erkenntnisse gesträubt hat, hat sich die jüngere Generation inzwischen der internationalen Mehrheitsmeinung angeschlossen. Wie gesagt: Ich spreche von der wissenschaftlichen Diskussion, in der kein ernst zu nehmender Bachforscher der jüngeren Generation heute noch behauptet, Bach habe einen Chor in unserem Sinne gehabt. Dass ein Herr Koopman, nachdem er etliche hundert "historisch informierte" CD-Aufnahmen mit Chor gemacht hat, nun um seine Reputation als Verfechter einer "authentischen" Interpretation fürchten muss und deshalb stänkert, tut hier nichts zur Sache, es drückt bloß die Geschmackspräferenz eines Musikers aus, der interessegeleitet argumentiert, um seine subjektive Präferenz zu rechtfertigen, ist in Bezug auf die historische Wahrheitsfindung aber nicht relevant - alle von dieser Seite vorgebrachten Argumente mit Mitgliederlisten des Chores oder der Schulordnung der Thomasschule (die mit Figuralmusik überhaupt nichts zu tun hatte) usw. sind Scheinargumente, und der auf dieser Seite gepflegte beleidigende Ton (Koopman warf Rifkin vor, vorsätzlich Geschichtsfälschung zu betreiben!) spricht Bände. Und wer nun behauptet, die Schriften von Rifkin und Parrott gelesen zu haben, und immer noch mit Bachs Eingabe an den Stadtrat dagegen argumentieren zu können glaubt, hat offensichtlich nichts verstanden oder will nichts verstehen: Bach fordert dort ausdrücklich mindestens drei Sänger pro Stimmlage, damit man eine doppelchörige Motette auch bei krankheitsbedingten Ausfällen (die damals oft vorkamen) singen kann. Die doppelchörige Motette (gemeint ist einfache Motettenmusik aus dem 17. Jahrhundert, die das Standardrepertoire der Thomaner bildete) wurde solistisch gesungen, anspruchsvolle und schwierige Kantaten blieben meistens den vier besten Sängern überlassen, die anderen vier wurden manchmal als Ripienisten hinzugezogen. Das war damals die in Deutschland allgemein übliche Kirchenmusikpraxis, wieso sollte denn Bach davon abgewichen sein? In manchen Kantaten (z.B. BWV 41 "Jesu, nun sei gepreiset") gibt es Arien oder Ariosi für Bass mit hinzutretendem Chor, der dann allerdings nur dreistimmig ohne Bass ist: Das ist ein glasklarer Hinweis darauf, dass diese Kantaten nur mit vier Sängern aufgeführt wurden.
Ist die Frage für die Liste relevant? Ja und nein. Die aufführungspraktisch relevante Information ist die, für welche Stimmen Solosätze (Arien, Rezitative, Duette) existieren, die zwingend Solisten erfordern, während die in der Regel vierstimmigen, in der damaligen Terminologie als "Chorus" (laut Mattheson ein Satz mit mehr als drei Singstimmen, im Unterschied zur "Aria" für eine bis drei Stimmen) bezeichneten Sätze prinzipiell von einem Soloquartett oder von einem mehrfach besetzten Chor gesungen werden können. Allerdings steckt der Teufel bisweilen im Detail: Für die Kantate BWV 22 "Jesus nahm zu sich die Zwölfe" werden die Solisten ATB angegeben. Bach hat diese Kantate in Leipzig als Bewerbungsstück aufgeführt. Es sollte eine repräsentative Aufführung sein, Bach hat deshalb vier Concertisten und zusätzliche Ripienisten eingesetzt - das ist inzwischen klar belegt: Zwar existieren keine Originalstimmen, aber in der Partitur steht an einer Stelle unter dem Generalbass eine Schlangenlinie, das war ein Zeichen für den Kopisten, dass er von dieser Stelle an Ripienostimmen schreiben sollte. Im fugierten Satz "Sie aber vernahmen der keines" beginnt das Solistenquartett mit Generalbassbegleitung, später setzt das Orchester colla parte ein, und genau an dieser Stelle treten die Ripienisten als eine Art Register hinzu. (Das entspricht genau Rifkins Befunden.) Unabhängig davon, ob man die Ripienoteile nur mit Stimmverdopplung oder mit einem größeren Chor aufführt (die Klangproportionen sind im erstgenannten Fall überzeugender), braucht man für eine Bachs Anweisungen folgende Aufführung also auch einen Solosopran, auch wenn dieser nur eine kurze Stelle im Quartett zu singen hat. Dieses Concertino-Ripieno-Prinzip war übrigens schon lange vor Rifkin bekannt. - BWV 23 "Du wahrer Gott und Davids Sohn" entstand ebenfalls zur Bewerbung in Leipzig. Die Liste gibt die Solisten SAT an (Duett SA, Rezitativ T). 1999 wurden im Archiv von Zelters Singakademie die originalen Ripienostimmen gefunden. Sie bestätigen wieder einmal dasselbe Gestaltungsprinzip: Im Chorsatz "Aller Augen" beginnt ein Soloquartett mit Generalbass, die Ripienisten treten dann zusammen mit dem Orchester ein, und die Mittelteile für Tenor und Bass sind solistisch. Auch hier braucht man für eine Bachs Vorgaben folgende Aufführung vier Solisten, während die Ripienogruppe fakultativ ist, denn sie dient nur zur Verstärkung von Tutti-Teilen. - Anderes Problem, Beispiel: BWV 6 "Bleib bei uns, denn es will Abend werden" enthält eine Choralbearbeitung für Sopran, Violoncello piccolo und B.c. - ist die Choralmelodie solistisch oder chorisch zu singen? Natürlich war das bei Bach ein Solo (wie gesagt: Hinweise auf Ripienobesetzungen finden wir nur in Tutti-Sätzen), aber man kann es chorisch singen lassen, wenn man nicht extra einen Solosopran nur für den Choral engagieren möchte. Aufführungspraktisch besteht natürlich ein Spielraum, klar ist aber, dass Bach diese Trennung von "Solo" und "Chor" nicht kannte.
Während heute eine von Rifkins Erkenntnissen ausgehende Aufführungspraxis ohne Chor zunehmend Verbreitung findet, gab es interessanterweise im 19. und frühen 20. Jahrhundert auch eine umgekehrte Praxis: Belegt sind z.B. Aufführungen der h-Moll-Messe ohne Solisten, wo der Chor alles gesungen hat. Auch in Kantaten gab es die Tradition, manche Sätze, die bei Bach eindeutig für Solisten bestimmt sind, chorisch singen zu lassen - manchmal wohl aus dem praktischen Grund, Kosten für Solisten zu sparen, manchmal als interpretatorische Entscheidung, und diese Tradition wirkte noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts nach. Beispiel: In alten Aufnahmen von BWV 79 "Gott der Herr ist Sonn und Schild" hört man manchmal das Duett "Gott, ach Gott, verlass die Deinen nimmermehr" (SA) chorisch gesungen. In Karl Richters Aufnahmen von BWV 4 "Christ lag in Todesbanden" gibt es nur einen Bass-Solisten, alles andere wird vom Chor gesungen. Karl Ristenpart hat um 1950 dieselbe Kantate nur mit Chor ganz ohne Solisten aufgenommen.
Man sieht: Die Angaben von "Solisten" und "Chor" in der Liste sind oft willkürlich. Sie entsprechen unseren aufführungspraktischen Gegebenheiten, aber eindeutig nicht denen von Bach. In Bachs eigenen Angaben auf den Deckblättern der Partituren werden die vorkommenden Stimmen - meistens SATB - zumeist ohne Spezifizierung ihrer Aufgaben aufgeführt. Diese Besetzungsangaben des Komponisten selbst listeten einfach auf, welche Stimmen im Stück vorkommen. Prinzipiell war eine Einfach- oder Mehrfachbesetzung möglich (im Orchester waren in der Regel die Geigen doppelt besetzt). Eine Ripienogruppe wird in BWV 71 "Gott ist mein König" ausdrücklich "se piace" (= ad libitum) erwähnt, ihre Einsätze sind in der Partitur mit Schlangenlinien gekennzeichnet: Die Ripienisten singen nur Tutti-Stellen verstärkend mit. Dieses Schema finden wir immer wieder in Kantaten festlichen und repräsentativen Charakters: Das Gerüst der Chorsätze bildet immer das Concertisten-Quartett, Ripienisten können als eine Art Register an Tutti-Stellen hinzugezogen werden - sie wurden aber normalerweise nicht zwingend verlangt. Ausnahme: die festliche Trauungskantate "Dem Gerechten muss das Licht" BWV 195, wo Concertino- und Ripienopartien im Eingangschor genau auskomponiert sind.
Das alles zeigt, dass Bachs Aufführungspraxis eine ganz andere war als die uns gewohnte Tradition aus dem 19. Jahrhundert mit "Solisten" und "Chor". Für den Informationsgehalt der Liste ist eine unserer Aufführungstradition entsprechende Spezifizierung sinnvoll, aber sie ist oft willkürlich. -- 2003:CC:83C7:1101:3685:832B:1E53:74AC 14:17, 19. Jul. 2018 (CEST)Beantworten
Das aktuelle Bachwerkeverzeichnis (BWV3, Juni 2022) hat da eine gute und platzsparende Lösung gefunden: Es werden immer alle auftretenden Stimmen genannt (typisch also S A T B), und ein Sternchen dahinter markiert diejenigen Stimmen, die in Rezitative oder Arien auftreten, also wohl als Solisten zu denken sind, Beispiel S* A T B*. Also Solisten und Chor in einer Spalte. --Martin Ingenhuett (Diskussion) 19:19, 18. Jul. 2022 (CEST)Beantworten
Ich finde das einen guten Kompromiss. Ist jemand gegen die Umsetzung dieses Vorschlags? VG, --Wikiwal (Diskussion) 16:11, 2. Aug. 2022 (CEST)Beantworten

Kategorie „Fragment“

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In der Spalte Anmerkung gibt es bisher 4 x den Kommentar „Fragment“ und 7 x den Kommentar „unvollständig“. Soll das einen Unterschied ausdrücken? Wenn nein, sollte der Kommentar vielleicht vereinheitlicht werden? Die Farbe ist jeweils dieselbe: die Farbe für die Kategorie „Fragment“. --Lektor w (Diskussion) 11:26, 5. Feb. 2020 (CET)Beantworten

"Fragment" bedeutet, dass das überlieferte Stücke bzw. die Stücke unvollständig sind. Meist sind nur ein paar Takte überliefert. Eine Rekonstruktion ist nicht möglich, wenn die Vorlage unbekannt ist. "Unvollständig" meint hingegen, dass das (mehrsätzige) Werk insgesamt nicht komplett ist, aber einzelne Sätze vollständig vorhanden sind oder dass z.B. nur eine Stimme fehlt, die rekonstruiert werden kann. "Unvollständige" Werke können also aufgeführt werden. Die Unterscheidung sollte also beibehalten werden. VG, --Wikiwal (Diskussion) 13:29, 5. Feb. 2020 (CET)Beantworten
Vielen Dank für die Aufklärung. Ich meine, dann sollte auch bei den Hinweisen und in der Farblegende angedeutet werden, daß es hier sozusagen zwei Unterkategorien gibt. Ich habe es vorschlagsweise so formuliert, vgl. auch den nächsten Edit. --Lektor w (Diskussion) 15:32, 5. Feb. 2020 (CET)Beantworten
Ich hätte noch eine Rückfrage hierzu, Wikiwal. Ist es Deiner Meinung nach sinnvoll, daß wir die Fragmente mit den unvollständig erhaltenen Werken zusammenlegen? Hier im BWV werden sie mit den verschollenen Werken zusammengelegt. Ebenso einige Zeilen weiter unten: „BWV Anh. 190–200 – Verschollene Werke und Fragmente“. --Lektor w (Diskussion) 22:46, 5. Feb. 2020 (CET)Beantworten
Das BWV hat die Zusammenlegung aber nur im Anhang, nicht im Hauptteil. Da werden pragmatische Gründe ausschlaggebend gewesen sein (nicht zu viele Untergruppen angesichts der wenigen Werke). Bei den Kantaten im Anh. finden sich im übrigen nur verschollene Werke und de facto keine Fragmente. Lass es ruhig, wie es jetzt ist. Gruß, --Wikiwal (Diskussion) 23:10, 5. Feb. 2020 (CET)Beantworten
Vielen Dank. --Lektor w (Diskussion) 23:40, 5. Feb. 2020 (CET)Beantworten

"Nicht von Bach"

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Ich schlage vor, alles, was nicht von Johann Sebastian Bach ist, aus dieser Liste zu entfernen. Diese Kompositionen wurden 1950 in der ersten Fassung des Bacherke-Verzeichnisses gelistet, vielleicht um alle Nummern der kompletten Bach-Gesamtausgabe drinzuhaben, vielleicht um die Echtheitsdiskussion aus dem Verzeichnis herauszuhalten, vielleicht "zur Sicherheit". Inzwischen ist die Forschung aber doch ein ganzes Stück weiter, in sehr vielen Fällen ist sogar der tatsächliche Autor identifiziert. Konsequenterweise hat die aktuelle Ausgabe des Bachwerkeverzeichnisses (2022) diese Einträge entfernt – sie haben also strenggenommen nicht einmal mehr eine gültige BWV-Nummer. Wir sollten dem folgen. --INM (Diskussion) 19:08, 30. Aug. 2024 (CEST)Beantworten

Ich lehne den Vorschlag ab. Argumente:
  • Zunächst einmal gehören zum Thema Bachkantaten auch solche, die man früher für Bachkantaten hielt (und die deshalb eine BWV-Nummer erhalten haben).
  • Zweitens kann die Frage, ob authentisch, nicht immer eindeutig beantwortet werden. Was hätte man davon, wenn man die nicht authentischen Bachkantaten aussortiert, aber nicht diejenigen, die nur mehr oder weniger wahrscheinlich nicht authentisch sind? Oder sollte man auch diese herauslöschen? Egal wie man es macht: Es wäre unbefriedigend, weil mit Willkür verbunden.
  • Es wären ständig Leser irritiert, die Lücken bei den BWV-Nummern sehen und sich dann fragen, warum es hier oder da eine Lücke gibt. Die meisten lesen ja nicht die kompletten Erläuterungen oberhalb der Liste. Warum sollte man etwas machen, was regelmäßig Leser irritiert?
Fazit: Das ist keine gute Idee. --Lektor w (Diskussion) 08:36, 29. Sep. 2024 (CEST)Beantworten