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Seite:Die Gartenlaube (1887) 895.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Da erhebt sich Kuni vom Tische und eilt ihm mit schmollendem Lächeln entgegen: „Aber, Vaterl, geh, wie kannst denn so viel Schnee in d’ Stuben tragen!“

Er schüttelt und schüttelt sich, aber diese Flocken hängen wie die Kletten an seinen Kleidern. Aber sie müssen ja schmelzen, wenn nur erst im Ofen ein Feuer brennen wird.

„Ja, Vaterl! Siehst es denn net – der Ofen glüht ja schon als a ganzer!“

Da macht er erstaunte Augen und murmelt: „G’spaßig, g’spaßig – was jetzt das für a Kälten is – in mir drin!“

„Geh, komm, da wird gleich g’holfen sein!“

Sie öffnet das Ofenrohr, aus dem es dampft und zischt, und stellt dem Vater die brodelnde Suppe hin.

Er nimmt die Schüssel auf und trinkt – er sieht die Suppe vor seinen Augen rauchen, und dennoch rinnt sie ihm wie Eiswasser durch die Kehle.

„G’spaßig – g’spaßig!“ murmelt er wieder.

„Mein Gott, Vaterl, jetzt krieg’ ich schon selber bald an Angst! Ja schau, da mußt Dich ja dengerst niederlegen!“

Sie rückt eine Bank hart an den Ofen, bereitet ihm darauf aus Kotzen ein Lager, löst ihm die Schuhe von den Füßen und bettet ihn, so gut und weich sie es nur vermag. Und wie ihm nun erst recht die Kälte durch die Glieder zittert, wie ihm die Zähne zu klappern beginnen, kauert sie sich vor ihm nieder, nimmt seine erstarrten Hände zwischen die ihrigen und haucht so lange ihren heißen Athem darauf, bis ihm eine seltsam süße Wärme aus den Fingerspitzen in die Arme rinnt, aus den Armen in die Brust und mitten hinein ins Herz. Da nickt er ihr dankbar zu, schließt mit einem langen Seufzer die Augen, und lächelnd schläft er ein. – – Und lächelnd schlief er – und erwachte nicht, als er im Schlaf sich streckte und von dem Baume seitwärts niederglitt in den weichen Schnee – und erwachte nicht, als über ihm die schwer gedrückten Zweige in leisem Winde sich rührten und sein Gesicht verschütteten mit ihrer kalten Last.

In dichter Menge fielen die Flocken, höher und höher mit jeder Stunde hob sich der Schnee über den Waldgrund, und was noch dunkel auf der Erde lag, verschwand allmählich unter dem Weißen Leichentuche, das die Winternacht dem starren Schläfer webte. Die Stunden verrannen, und mit bleichem Licht erwachte der Tag.

Tief im Gebüsche schnalzte eine Amsel, und auf dem Baume, welcher hart am verschneiten Pfade stand, huschte ein Fink aus seinem Schlupf und flatterte auf den seltsam geformten, schneeigen Hügel nieder, der dem Baume zu Füßen lag. Pispernd sträubte der Vogel sein Gefieder, bohrte sein Schnäbelchen in den kalten Schnee und badete sich in den flimmernden Krystallen. Dann schaute er mit kecken Aeuglein rings umher, schmetterte seinen hellen Schlag in den stillen, gleißenden Morgen, spannte die Flügel und schwang sich in die Lüfte.




Neujahrswünsche.

So mannigfach der Menschen Sinn und Trachten: so mannigfach sind auch die Wünsche, deren Erfüllung sie vom Neuen Jahre hoffen. Zuerst an das Nächste zu denken, ist ja ihr gutes Recht, und so wünscht Jeder sich und den Seinen jenes Wohlbefinden, das aus der Harmonie der Seele und des Körpers hervorgeht. Diese Harmonie, den klaren, festen Blick ins Leben zerstört jede Krankheit, und zerrüttet wird das Haus, wenn die Lieben am häuslichen Herd ein schmerzlich Leiden plagt. Darum wird am heißesten der Segen der Gesundheit von Arm und Reich erfleht.

Dann aber der Segen der Arbeit; denn sie mag dem Schaffenden Befriedigung gewähren; aber nicht bloß für den Fleiß des Landmannes hängt viel von der Gunst der Gestirne ab. So in einander greifend ist heute das Räderwerk der Verhältnisse, daß, wenn ein großes Schwungrad im Verkehr der Politik und des Welthandels stille steht, auch die kleinsten Räderchen in ihrem Umschwung gehemmt werden. Der ehrlichste Fleiß wird um seinen Lohn betrogen; durch den Bankerott der Großen leidet der Kleinste. Die Arbeit bringt Segen, aber sie braucht ihn auch.

Alle, die da wirken und schaffen, wünschen vom Neuen Jahr fröhliche Förderung: der Fabrikherr weiterreichenden Absatz seiner Erzeugnisse, der Kaufmann größere Ausdehnung seiner Kundschaft und seiner die Völker verbrüdernden Thätigkeit, der Gelehrte allgemeine Verbreitung der Resultate seiner Forschung. Der Künstler aber, der Schönes und Großes schafft, hofft von dem Genius des Neuen Jahres, daß er ihm helfe, sich Bahn zu brechen durch das Gedränge des überfüllten Marktes. Der Beamte, der Officier sehnt sich nach Avancement: sie haben von Anfang an ferne Ziele im Auge, welche zu erreichen nur Wenigen vergönnt ist: doch jedes Jahr bildet eine neue Etappe für den Marsch dorthin.

Der Frieden – das ist der heiße Wunsch vieler Millionen; aber der Flug der Friedenstauben geht jetzt oft durch einen dicken schweren Nebel und man zweifelt oft, daß sie das Ziel erreichen. Hier oder dort ballt sich ein unheimlich Gewölk zusammen und fortwährend steckt irgend eine Kriegsdrohung in der Luft. Zwar die Kometen, die mit ihrer Feuerruthe früher das kommende Unheil verkündeten, versagen jetzt ihren Dienst. Sie erscheinen nicht mehr am Himmel – oder, wenn sie erschienen, man würde ihrer nicht achten. An ihre Stelle sind die Zeitungsartikel getreten; sie machen Ebbe und Fluth an der Börse, Ebbe und Fluth in den Herzen. Hier blitzt es im Osten auf, dort im Westen, und zwischen den beiden Gewittern fester schließt sich das deutsche Volk zusammen. Ob sie heraufkommen werden am Horizont? Es ist das Räthsel des Neuen Jahres und diese Sphinx allein vermag es zu lösen. Fest glauben wir an der deutschen Staatslenker unerschütterliche Energie und Weisheit, die den Frieden zu wahren suchen, soweit dies in menschlichen Kräften steht.

Noch mit einem Wunsch aber, in dem alle deutschen Herzen sich vereinigen, begrüßen wir das Neue Jahr: er gilt der Genesung unseres Kronprinzen, den ein so ernstes Leiden befallen. Mit tiefer Wehmuth denken alle des ritterlichen Helden und Schlachtenführers, der bei Königgrätz sein Schwert geworfen in die Wagschale des Sieges, der bei Weißenburg und Wörth die ersten ruhmreichen Schlachten des deutsch-französischen Krieges schlug, der mit seiner Armee die eherne Runde um Sedan abschloß und bei diesem großen weltgeschichtlichen Kesseltreiben den Sieg erringen half: ein Kriegsfürst, mit Lorbeer geschmückt wie wenige, aber im Schmucke dieser Lorbeern volksfreundlich und leutselig und trotz seiner Kriegsthaten, die seines Namens Ruhm verbürgen, in seinem Herzen nicht dem Krieg, sondern dem Frieden zugethan.

Auch die Großen der Erde sind dem allgemeinen Menschenlose verfallen; daß aber einem Prinzen, dessen ritterliche Heldengestalt noch bei der Jubiläumsfeier der englischen Königin, machtvoll hervorragend über die stolzen Lords der Insel, allgemeine Bewunderung erregte, ein so tückisches Leiden insgeheim sich nahen konnte: das erschien so unglaubwürdig, daß es der Bezeugung durch die ersten Aerzte Europas bedurfte, um die Zweifel daran zu verscheuchen. Wie der Prinz selbst in der Schlacht der Gefahr muthig ins Auge geschaut: so ringt er auch jetzt mit ungebrochenem Muthe und Gottvertrauen mit dem ihn bedrohenden Feinde. Wir haben uns bis jetzt nicht entschließen können, der trostlosen Berichte, welche während der letzten Wochen in allen Blättern erschienen, Erwähnung zu thun; wir haben im Hinblick darauf, daß die Natur, entgegen den Voraussetzungen der Aerzte, oft unerwartete Heilung bewirkt, eine Hoffnung nicht aufgeben wollen, welche durch manche neue Mittheilungen genährt wird; doch wir wissen, daß Millionen Herzen den Wunsch theilen, den wir jetzt bei der Jahreswende aussprechen, den Wunsch und die Hoffnung, daß das Neue Jahr dem Kronprinzen des Deutschen Reichs, einer der herrlichsten Gestalten unter den zeitgenössischen Ruhmesträgern, dem Lieblinge des deutschen Volkes, Heil und Genesung bringen möge!



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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 895. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_895.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)