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Seite:Die Gartenlaube (1887) 433.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Eine neuerschlossene Thüringer Waldidylle.

Es giebt noch manchen reizenden Weltwinkel selbst in Gegenden, wo der schwere Lastwagen längst seine Straße zog, der aber abseits davon verborgen blieb, wenn nicht irgend eine fürstliche oder Zufallsgunst auch das leichte Gefährt der jährliches Modereisenden dorthin lockte. Was halfen da alle Lobpreisungen der rüstigen Wanderer mit Ränzel und Stab? Und an diesen kann es gerade für den stillen Winkel, den wir heute aufsuchen, nicht gefehlt haben, da schon der Zugang zu demselben von allen Seiten ein verlockender ist. Das obere Saalthal, von Saalfeld aufwärts, winkt förmlich mit seinen Fels- und Waldbergen und Wiesenthälern den Naturfreund zu sich hinein, und wer dem Winke folgt, der kommt zu einem im üppigsten Grün lachenden Städtchen, aber welchem ein hohes Schloß thront: zu dem schwarzburgischen Leutenberg mit seiner Friedensburg. Zwar hatte die Eisenschiene schon früher ein Stück Wegs dahin, von Saalfeld bis Eichicht, sich Bahn gebrochen, aber es war eine Sackbahn, die an Vereinsamung krankte; erst jetzt, wo der Schienenring geschlossen ist, welcher das ganze Thüringer- und Frankenwaldgebirg umspannt, wird der Strom der Luftschnapper auch in diese Thalbetten einmünden. Und diesen wollen wir hiermit den schönsten Weg dahin zeigen.

Immer bleibt Saalfeld von Norden her das Eingangsthor. Solche Gebirgspartien sollte man nur zu Fuß durchziehen oder im offenen Wagen, nicht vom Guckkastenloch des Eisenbahnwagens aus genießen. Da tritt das Gebirg mit seinen enger sich dahin windenden Thälern und immer steiler aufragenden Höhen mit immer reicherem Bilderwechsel uns entgegen. Wo zur Linken der rothe Berg mit seinen stattlich aufgethürmten Felskolossen prangt und das Schlößchen Obernitz herableuchtet, während zur Rechten der heilige Berg mit seiner heidnischen Opferstätte den Gipfel erhebt, rief ein erfahrener Wanderer aus: „Hier ist die rheinische Loreley wieder!“ Eine solche Vergleichung wird noch einmal gewagt, wenn wir in das breitere Thal zwischen Fischersdorf und Breternitz gelangen. Hier überzieht sich der wirklich rothe Berg dicht mit dem hellen Laub der Reben und stellt uns ein verjüngtes Bild des Rüdesheimer Rheinufers dar; ist auch die Saale noch lange kein Rhein, so gewährt der frisch daherstürmende Gebirgsstrom in seinem felsumstarrten Bette doch immer einen erquickenden Anblick. In Eichicht verlassen wir die Bahn und die Saale und schlagen entweder in einem Wagen die Fahrstraße oder zu Fuß von Hokerode an den Wiesenweg nach dem nur noch ein Stündchen entfernten Leutenberg ein.

Marktplatz in Leutenberg. 0 Originalzeichnung von H. Nestel.

Es ist eine echte Thüringer Land- und Waldstadt. Die Thalenge sorgt dafür, daß die etwa 170 Häuser des Städtchens sich gemüthlich zu einer einzigen Straße an einander reihen, die fröhlich glitzernde Sormitz zu Lust und Nutz in ihrer Mitte. Die sorgfältig bemörtelten Häuser schauen mit ihren hellen Wänden und Fenstern ganz zufrieden unter den hohen graublauen Hauben ihrer Schieferdächer hervor, und eben so zufrieden und freundlich grüßen uns die Augen der Bewohner aus den treuherzigen Thüringer Gesichtern. Der Anblick der vielen neueren und wenigen alten Wohnhäuser ist zwar erfreulich, erinnert aber an schwere Schicksale, die durch Brandunglück den Ort früher betroffen haben. Daß aber neben den Wohngebäuden auch Kirche, Rathhaus und Schulen durch würdige Erneuerung ausgezeichnet sind, liefert den rühmlichen Beweis, daß der Fleiß der Bewohner sich lohnt. Die Mehrzahl derselben (im Ganzen sind’s etwa 1300) nährt sich als kleine Handwerker und findet in Land- und Holzwirthschaft noch guten Nebenerwerb. Neben dem Justiz-, Verwaltungs- und Forstpersonal, der Geistlichkeit und Lehrerschaft sendet auch eine Post- und Telegraphenstation sowie eine Papier- und eine Holzstofffabrik die Insassen für das Honoratiorenstübchen der Stadt. Und wer die hohe Freitreppe beim gothischen Rathhause hinaufsteigt, erkennt an den einladenden Nischen, wie gut die Leutenberger die Plätzchen zu wählen wissen, wo am Abend die Freuden der Natur und des Gambrinus vereint genossen werden können.

Auf demselben Wege steigt man zur Burg hinauf, wo wir uns 317 Fuß hoch über der Stadt und 1217 Fuß über dem Meere befinden. Die Friedensburg gehört zu den größten Bergschlössern Thüringens und fesselt uns durch ihren Ausblick in die Thäler, sowie durch den Einblick in ihr Inneres und ihre Vergangenheit. Bauten und Befestigungen verrathen die verschiedenen Jahrhunderte ihrer Entstehung. Mehrere Flügel, welche zwei Höfe umschließen, können durch den Kastellan erschlossen werden. Die Zimmer in zwei Stockwerken des nördlichen Flügels sind mit Gemälden von biblischen Scenen ausgeschmückt; ein Bild in einem Kämmerchen stellt den Augenblick dar, wo zwei Schwarzburger Grafen nach beendigter Fehde sich die Hände zur Versöhnung reichen; dieser Vorgang soll den Namen „Friedensburg“ veranlaßt haben.

Das Merkwürdigste im südlichen Flügel ist das sogenannte Apfelzimmer; es zeigt eine Tapezierung mit bemalten Pappetafeln auf Leinwandgrund, der auf einem Holzgitter mit einer Unterlage von Wachholderreisig befestigt ist – offenbar eine technische Sehenswürdigkeit. Hergestellt wurde dieses Zimmer durch zwei Schwarzburger Gräfinnen, welche im 17. Jahrhundert ihren Wittwensitz hier aufschlugen; beide dichteten geistliche Lieder. Grafen von Leutenberg hatten als eine schwarzburgische Seitenlinie über zwei Jahrhunderte (von 1358 bis 1564) hier geherrscht. Daß sie ein tapferes Geschlecht waren, dafür zeugt folgende Thatsache: Im Jahr 1447 saß der Graf Heinrich XXX. auf dem Schlosse allein mit seiner Gemahlin und deren Zofe; außerdem bildeten zwei Mann und zwei Jungen die ganze Besatzung. Diese Zeit benutzte sein Widerpart, der Graf Ludwig von Gleichen und Blankenhain, um mit 400 Reisigen nächtlicher Weile die Burg zu überfallen. Wirklich hatte er sich schon in die Vorburg eingeschlichen und das zweite Thor in dem inneren Hof genommen und begann gegen das Schloß zu stürmen, als der Thurmwart Lärm schlug und plötzlich alles Lebende in der Burg erwachte. Graf Heinrich übersah seine Mannschaft: sie bestand, Gräfin und Zofe eingerechnet, aus sieben „Mann“. Aber Heinrich verzagte nicht; er sandte die nöthigen Kräfte zur Vertheidigung des Schloßthors ab, alle übrigen auf den Thurm, von dem sie mächtige Steine und Mauerbrocken auf die im Hofe zusammengedrängten Ritter und Reisigen hinab schlenderten. Die Gräfin zielte absonderlich gut, und da sie mit einem wuchtigen Brocken den Grafen Ludwig just aufs Visir traf, so ging diesem ein Licht auf über seine Lage: der Tag war angebrochen und der Lärm, das Krachen und Dröhnen der getroffenen Harnische und das Schreien der Kämpfenden konnte Entsatz herbeirufen, - und so ritt Graf Ludwig wieder heim – und die Sieger freuten sich und tranken den damals gar berühmten Blankenburger Wein dazu. Diese Heldenthat ist nicht nur in einer vierzigstrophigen Romanze besungen, sondern durch die kunstgeübte Hand des Fürsten Ludwig Friedrich von Schwarzburg-Rudolstadt in einem Kupferstich verherrlicht worden. – Löblich ist’s auch, daß in der Vorburg, wo einst solcher Kampf getobt, jetzt Tische und Bänke aufgeschlagen sind, welche die Bürger wie die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_433.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2022)