Verschiedene: Die Gartenlaube (1874) | |
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daß der wildaufwachsende Junge keinerlei Unterricht empfing, nicht lesen, nicht schreiben lernte und, um sein Leben zu fristen, Schweinehirt wurde. Aber der arme Bursche hatte etwas, viel sogar von dem Metall in sich, aus welchem bedeutende Menschen geschmiedet werden, unter Umständen Helden oder Heilande, unter andern Umständen weltgeschichtliche Schurken oder Scheusale. Will man gerecht sein, so muß man sagen: Pizarro war zwei Drittel Held und ein Drittel Scheusal. Im Uebrigen ein rechtgläubiger Spanier jeder Zoll, ein ganzer Mann, scharfverständig, schlau, zäh, unbeugsam, skrupellos, das verwirklichte Ideal eines spanischen „Conquistador“, für welchen das Wort „Furcht“ ein ganz inhaltsloser Schall war.
Die Erzählungen von den Wundern der Neuen Welt, damals das Tagesgespräch in Spanien, setzten die echtspanische Phantasie des Schweinehirten in Brand. Er warf seinen Stab weg, bettelte sich nach Sevilla durch, woselbst die Banden des „El Dorado“ suchenden „Heldengesindels“ sich zu sammeln und einzuschiffen pflegten, und gelangte nach Westindien hinüber. Im Jahre 1510 befand er sich auf Hispaniola und versuchte sich, unterstützt von seinem entfernten Verwandten Hernando Cortez, dem nachmaligen Eroberer Mexikos, als Pflanzer. Später ein Gefährte des kühnen Balboa, welcher im Jahr 1513 den unerhört mühsäligen Entdeckungszug über die Landenge von Darien unternommen hatte, war er einer der ersten Männer von weißer Rasse, deren Blicke auf den ungeheuren Spiegel des Stillen Oceans gefallen sind. Nachmals, so um 1515 herum, ist er als Hauptmann in den Diensten des Don Pedrarias, Statthalters von Panama, und erfreut sich auch des Besitzes eines Landgutes von sehr mäßigem Umfang in der Nähe dieser Stadt, von welcher aus die Entdeckungs- und Eroberungszüge der Spanier sich zunächst gegen Norden und Westen, später auch nach Süden richteten. Zur Zeit von 1524 war in Folge der entdeckenden und erobernden Thätigkeit der Spanier in Amerika bereits ein unermeßliches Gebiet der spanischen Krone unterworfen.
Nun gelangten die bestimmteren Botschaften von der wundersamen Eroberung Mexikos nach Panama und thaten eine zündende Wirkung. Eine um so zündendere, als mit der Kunde von dem märchenhaft glanzvollen Ausgange des mexikanischen Abenteuers zugleich unbestimmte Gerüchte von einem fabelhaft reichen Kulturstaat im Süden unter den Kolonisten von Darien sich verbreiteten. Unser gewesener Schweinehirt und dermaliger Hauptmann vernahm mit äußerster Spannung die beiderlei Neuigkeiten. Er mochte finden, daß er, jetzt ein Fünfziger, es eigentlich noch nicht sehr weit gebracht hätte in der Neuen Welt. Er mochte etwas in sich fühlen, das ihm sagte: „Was dein Vetter Cortez konnte, das kannst du auch und vielleicht sogar noch ein bißchen mehr. Wie wäre es, so ich an einem der Entdeckungs- und Eroberungsgeschäfte, welche jetzo, in südlicher Richtung unternommen – nach dorthin soll ja das wahre El Dorado liegen – nachgerade bei uns in Panama sehr in die Mode kommen, unzögerlich mich betheiligte?“
Von Entdeckungs- und Eroberungsgeschäften sprach ich und zwar mit Bedacht. Zur Stunde wäre es noch zeitgemäßer, von Entdeckungs- und Eroberungsgründungen zu sprechen. Denn, in Wahrheit, die spanischen Conquistadoren waren richtige „Gründer“ in ihrer Manier. Sie „machten“ in Länderfindung und Länderraub, wie die modernen Börsenräuber – welche ich nicht mit ordinären Taschendieben zu verwechseln bitte – in „Türken“ und „Rumänen“ machen. Das fieberhafte Aufsuchen des El Dorado war nachgerade zum wohlkalkulirten Aktiengeschäfte, zur Gründerei in mehr oder weniger großem Stil geworden.
In Betracht seiner eigenen unzulänglichen Mittel that sich demnach Pizarro nach Mitgründern um und fand solche in dem zu einigem Vermögen gekommenen Kriegsmanne Diego de Almagro und in dem Pfarrer Hernando de Luque. Die drei Dons legten demnach ihr Vermögen in einer Spekulation an, welche die Ausführung und, selbstverständlich, die Ausbeutung des angeblich im Süden von Darien gelegenen Goldlandes Peru zum Zwecke hatte. Almagro besorgte den Ankauf, die Ausrüstung und Bemannung von zwei kleinen Schiffen, und maßen Panama ein Ort war, wo immer eine hinlängliche Anzahl von Abenteurern, Strolchen und Desperados umherlungerte, konnte Pizarro, als Führer der „Expedition“, im November von 1524 aus dem Hafen der Stadt absegeln. Er kam freilich nicht nach „El Dorado“ und überhaupt nicht sehr weit. Ungeahnte Widerwärtigkeiten aller Art zu Wasser und zu Lande nöthigten ihn zur Umkehr. Allein er brachte nach Panama doch dieses Ergebniß mit, daß, je weiter man südwärts steuerte, die Sage von einem in jener Richtung gelegenen großen und so zu sagen von Gold starrenden Reiche immer bestimmtere Gestalt gewann.
Daraufhin gingen unsere Gründer nur noch energischer ins Zeug. Auf den Kredit Sr. Hochwürden Don Luque wurden 20,000 „harte Thaler“ (pesos duros) aufgetrieben und damit die Kosten der Ausrüstung einer zweiten Expedition bestritten. Am 10. März von 1526 vereinbarten und unterzeichneten die drei Spekulanten ein Dokument, welches zu den absonderlichsten Kuriositäten der Geschichte gezählt werden mag: nämlich eine Vertragsurkunde, kraft welcher „im Namen Christi“, wie der Eingang lautete, die drei Associés festsetzten, daß die zu entdeckenden und zu erobernden Länder, soweit sie zum Reiche Peru gehörten, zu gleichen Theilen unter sie, die drei Geschäftstheilhaber, getheilt werden sollten und zwar „mit allem Zubehör, was besagte Länder an Menschen, Thieren, Gold, Silber und Edelsteinen enthielten, mit selbstverständlichem Vorbehalt jedoch der Oberherrlichkeit der Krone Spanien und der aus dieser Oberherrlichkeit fließenden Rechte“. Zu einer solchen Naivität der Philosophie des Raubes hat sich das moderne Gründerthum doch kaum hinaufzuschwindeln gewußt. Drei Lumpe theilen förmlich unter sich ein noch gar nicht aufgefundenes Reich „mit allem Zubehör“ – der kolossalste Humbug, die tollste Don-Ouijoterie; aber ganz ernsthaft gemeint und mit derselben echtspanischen Grandezza betrieben, womit der sinnreiche Caballero aus der Mancha in der Stallmagd von Toboso eine Prinzessin sah und begrüßte.
Auf zwei Schiffen, welche eine Bemannung von hundertzwanzig Mann hatten, fuhren Pizarro und Almagro diesmal von Panama südwärts und gelangten, an der Küste hinsteuernd, bis zur Mündung des Flusses, welcher nachmals der Rio San Juan hieß. Hier überfiel Pizarro ein am Ufer gelegenes Dorf der Eingeborenen und machte eine nicht unbeträchtliche Beute an Schmucksachen aus Gold – ein Vorglanz so zu sagen vom Goldlande Peru. Also rüstig weiter nach Süden zu, immer weiter! Aber mit jedem Tage steigt auch die Mühsal der Fahrt. Ein Theil der Mannschaft meutert und fordert die Rückkehr nach Panama. Man geht an’s Land und hält eine Art Kriegsrath. Einander schnurstracks widersprechende Ansichten werden mit mehr oder weniger heftigem Gebärdenspiele vorgebracht. Pizarro steht auf: „Genug des Geschwätzes!“ Dann zieht er sein Schwert und zeichnet mit der Spitze desselben eine von Osten nach Westen gehende Linie in den Küstensand und sagt:
„Freunde und Gefährten, seht, auf dieser Seite liegen Mühsal, Hunger, Regen, Sturm, Verlassenheit und Tod, aber auch Peru mit seinen Schätzen; auf jener Seite Gefahrlosigkeit und Sicherheit, aber auch Panama mit seiner Armuth. Jeder nun wähle, was er für gut hält! Was mich angeht, ich gehe südwärts.“
Das heldische Wort that seinen Dienst, wenn auch nur bis zu dem Grade, daß eine Anzahl entschlossener Männer bei dem Führer auszuharren und die Unternehmung weiter zu führen beschlossen, während die Anderen auf einem der beiden Schiffe nach der Landenge von Darien zurückkehrten.
Noch nahezu acht an prüfungsvollen Zwischenfällen reiche Monate hatte der kühne Mann alle seine Klugheit und Standhaftigkeit aufzubieten, um nicht unverrichteter Dinge zurückkehren zu müssen. Endlich gelang es den El-Dorado-Fahrern, die nachmals Pasado genannte Landspitze zu umschiffen, und ihr Fahrzeug glitt nun auf einer bislang noch von keinem europäischen Schiffskiel getheilten Meeresfläche dahin, immer weiter nach Süden, bis es in die schöne Bucht von Guayaquil einfuhr.
Mit weitgeöffneten Augen blickten sie auf die zugleich großartige und anmuthige Scene, welche sich vor ihnen entfaltete. Der schmale, aber üppig grüne Ufersaum, durch welchen sich zahlreiche Wasseradern dem Meere zuwanden, war mit einer Reihe von Städten und Dörfern besetzt. Hinter diesen Sitzen einer zahlreichen Bevölkerung hob sich der riesige Bergwall der
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_776.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)