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Seite:Die Gartenlaube (1865) 644.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Sammet und nur an besonderen Festtagen pflegte der Maler dasselbe zu öffnen und den Seinigen diese letzte Gabe der Todten zu zeigen. Er bewahrte es in einem der geheimsten Fächer seines Schreibtisches auf, dessen Schlüssel er immer bei sich trug.

Ich komme jetzt zu dem Theil meiner Geschichte, der mich selber nahe berührt. Jacob Hauer, der ruhige Deutsche, hatte, wie ich erzählte, eine schwärmerische Neigung für Charlotte Corday gefaßt, die er unverhohlen zur Schau trug und die ihn dazu brachte einen wahren Cultus zu treiben mit all jenen sichtbaren Andenken an diese wunderbare Frau. Er malte auch fortan kein Frauenportrait mehr, und das Bild der blonden Laura, das er kurz vor seinem Gange in die Conciergerie begonnen, wurde von ihm nach Charlottens Hinrichtung vernichtet. Das war ein furchtbarer Schmerz für jenes seltsame und leidenschaftliche Geschöpf, welches man die blonde Spanierin nannte. Nicht die Zerstörung ihres Portraits war es, die dies glühende Herz so tödtlich verwundete, nur daß eben seine Hand dieselbe vollbrachte. Hier trat nämlich wiederum eines jener zahllosen unlösbaren Räthsel des Frauenherzens zu Tage, an denen alle Weisheit zu Schanden wird. Dies wunderschöne, unter den Kunstgenossen des deutschen Malers hochgefeierte Mädchen, deren Erscheinung, wo sie sich zeigte, die lebhafteste Bewunderung hervorrief, war von einer maßlosen Leidenschaft ergriffen für den ruhigen ernsten Mann mit den blauen Augen, und hätte jeden Moment, wenn er es begehrt, Leben und Sein ihm zu Füßen geworfen. Tag für Tag brachen sich die Wogen dieses erregten Gefühls an dem Felsen seiner Ruhe. Jacob Hauer ahnte nichts von den Empfindungen dieses Herzens, von der verzehrenden Eifersucht, mit der dies bezaubernde Wesen jeden seiner Schritte bewachte. Gütig, von einer fast väterlichen Zärtlichkeit gegen sie, schürte er durch die unbefangenen Aeußerungen seiner Zuneigung die unheilvolle Flamme nur immer höher. Wäre er weniger träumerisch gewesen, er hätte ihr Lodern und Aufflackern erkennen müssen, so aber lebte er nur seiner Kunst und der schwermüthigen Sorge für seine kranke Frau, die sich noch immer nicht zu erholen vermochte. Auf diese Frau war Laura seltsamer Weise nie eifersüchtig gewesen; so lieblich und anmuthsvoll die Leidende auch erschien, so reizend sie in ihren gesunden Tagen gewesen, ihr fehlte jener dämonische Zug, welcher die Männer so unwiderstehlich hinreißt und festhält, und das mochte vielleicht Laura halb unbewußt empfunden haben. Maria war ihr keine Nebenbuhlerin, sie sah in ihr nur die Freundin, nicht das Weib des Geliebten. Sie pflegte die Kranke und ihr Töchterchen mit Aufopferung und hing an Beiden mit der zärtlichsten Zuneigung. Wie glücklich war das Mädchen, als der Maler sie eines Tages bat, ihm zu einem Bilde zu sitzen! So ungestört bei ihm sein in der kühlen stillen Malerstube, ihn anschauen zu dürfen, hin und wieder leise zu fragen und leise Antworten zu hören, immer und immer dem tiefen Blick seiner Augen zu begegnen, war entzückend. Eine sanfte Ruhe schien sich herabzusenken auf das stürmische Meer ihrer Empfindungen, süße Träume kamen über ihr Herz und wiegten es ein. Sie hatte keinen Wunsch mehr, als das Gebet: ‚Laß mich nur bei ihm, bis ich sterbe!‘ Da erschien, mitten in diesem Glück, die dämonische Gestalt des Mädchens von Caen auf dem Schauplatz mit ihrem unabsehbaren Gefolge von tausend Erregungen, Gedanken und Erinnerungen; da brachte Jacob Hauer das Portrait der Hingerichteten in’s Haus und ihre schöne blonde Locke, und die Qualen wahnsinnigster Eifersucht ergriffen diese leidenschaftlichste aller Frauenseelen. Sie verlor jedwede Besinnung. Der Haß gegen jene Frau, die das bis zur Stunde so unberührte Herz des geliebten Mannes so plötzlich gefangen genommen hatte, tobte wie ein Fieber durch ihre Adern. Zuerst wollte sie das Haus des Malers verlassen; sie ging auch wirklich zu Freunden aufs Land, in der Nähe von Versailles, von heimlicher Verzweiflung fortgetrieben, aber zwei Tage darauf, spät am Abend, unter strömendem Regen, klopfte sie wieder an seine Hausthür; sie konnte eben den Anblick seines Gesichts – den Ton seiner Stimme nicht entbehren. ‚Ich dachte, Marie und Dein Kind könnten mich brauchen – und da bin ich wieder,‘ sagte sie, und blieb fortan. Da saß sie nach wie vor und unterzog sich den Diensten einer barmherzigen Schwester, liebkoste das Kind, hörte in dumpfer Verzweiflung zu, wenn der geliebte Mann von Charlotte Corday erzählte, und richtete ihre Augen, jene schwarzen Augen, wie Murillo sie seiner Madonna gegeben, auf das Portrait des Mädchens von Caen und auf jene duftende blonde Locke. Wilde Gedanken und Wünsche zuckten dabei durch Kopf und Herz. Sie wollte das Bild den Flammen überliefern und jene Locke zerreißen und in alle Winde zerstreuen. Sie haßte sie ja noch mehr, als das Bild, denn sie war ja etwas Greifbares, ein wirklicher Theil von dem Körper ihrer Feindin. Das Bild hätte sie trotz alledem nimmer zu zerstören vermocht, seine Hand hatte es ja geschaffen, lieber würde sie sich selber getödtet haben.“

(Fortsetzung folgt.)



Ein Held in Sturmesnöthen.

An der äußersten Spitze der niederländischen Provinz Nordholland, wo das Meer einst im Kampfe mit dem Festlande sich eine breite Bahn zum Zuidersee brach und Texel zur Insel machte, liegt die alte Helderschanze und der Flecken de Helder, die Heimath tüchtiger Seeleute und vor Allem einer starken, sturmbewährten Lootsenschaar. Vom Wall dieser alten Schanze blicken die Männer der Gegenwart auf das Wogenbett, in welchem Tausende von holländischen Seehelden schlafen gingen, als im letzten großen Seekampfe Hollands gegen England am 28. August vor sechsundsechsig Jahren der Stern seiner alten Meerherrschaft unterging.

Der Heldengeist ging nicht mit unter, der Ocean ist noch heute das Ackerfeld der kleinen urkräftigen Nation, und fordert der blutige Krieg ihre Tapferkeit nur selten heraus, so ist für den Kampf mit den Wogen um Landeswohlfahrt und Menschenglück ihnen manch neuer schöner Stern aufgegangen.

An der Helderschanze vorüber steuern die Schiffe, welche ihre Fahrt zum Hafen von Nieuwe-Diep lenken. Zur Rechten unweit der Schanze liegt das Dorf Huisduinen, an dessen Strand die Wogen des Oceans schlagen.

Dorthin eilten im ersten Morgenschimmer des 10. Januar 1852 die Bewohner des Dorfs. Aus dem Frieden, mit welchem das Meer sie am Abend des 9. zur Ruhe eingeladen hatte, schreckte sie der Sturm auf, der jetzt über die Wogen tobte. Und mitten in dem empörten Element rang ein Schiff gegen den letzten Stoß in’s Verderben. Der Hülferuf der Mannschaft durchdrang das Brausen des Sturms, und Nichts antwortete ihm als der Verzweiflungsschrei der rathlosen Menge. Auf der Höhe von Falgar lag das gestrandete Schiff, das, den rettenden Wall vor Augen, dem Untergang geweiht war.

Aber es sind Männer, die am Ufer wohnen, gewohnt den wildesten Wogen zu trotzen. Das Rettungsboot sinkt in die Fluth und sechs Paar Fäuste ergreifen die Riemen. Festen Schlags arbeiten sie vorwärts, vom Wogengang bald hoch aufgehoben, bald den Augen am Strande verschwunden; vom Schiff und vom Ufer hängt jeder Blick an dem Boote, das eine Fahrt auf Leben und Tod gewagt. Doch vergebens erschöpfen die starken Männer ihre letzte Kraft; sie müssen’s dulden, ihrem Ziel schon nahe, von den hohen Wellen wieder zurückgeschleudert zu werden. Schiff und Mannschaft schienen dem gemeinsamen Untergang geweiht.

Da trat ein Jüngling aus der Menge, entschlossen, allein zu wagen, was sechs Männern unmöglich gewesen. Er schlang sich das Rettungstau um den Leib und stürzte sich in die Fluth, taub gegen das Jammergeschrei der Seinen, die händeringend dem todesmuthigen Schwimmer nachstarrten. Bis zur Brandung drang er fest und sicher vor, aber dann begann ein fast übermenschlicher Kampf, dessen Anblick alle Herzen erbeben machte. Bald zu den schäumenden Spitzen der Wellen emporgewirbelt, bald wieder in den sinkenden Gischt mit hinuntergezogen, war er für Alle am Strand und auf dem Schiffe ein aufgegebenes Menschenkind. Und dennoch geschah das Unglaubliche, überwand er die schreckliche Stelle und gewann gerettet den Bord, von dem längst alle Hoffnung auf Errettung verschwunden war.

Das gestrandete Schiff war indeß zum Wrack geworden; von


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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_644.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2022)