verschiedene: Die Gartenlaube (1865) | |
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regelmäßig auf’s Land kommt, mißbrauchen sie nicht selten seine unverwüstliche Geduld und holen von ihm gratis den Rath, den sie einem Advocaten würden bezahlen müssen.
Wir haben die Fabrik gesehen, passiren die Nebengebäude und finden die eigens angelegte Gasanstalt. Unser Begleiter ergeht sich bei dieser Gelegenheit in Lobsprüchen über Herrn Classen’s neueste Schrift, welche die Gasanstalten in ganz Deutschland vergleichend behandelt. Ein Commis seines Comptoirs erzählt dabei, daß die Kosten und Auslagen für diese mühsame Arbeit den Ertrag des Absatzes bei Weitem übersteigen. „Verleiden ihm dergleichen Opfer nicht seine Thätigkeit?“ fragt der Fremde. „Keineswegs, und zwar deshalb nicht, weil er bei seinen Arbeiten niemals an sich selbst gedacht hat. Treten Sie einmal hier in’s Privatcomptoir; auf dem Schreibtische liegt ein voluminöses Manuskript gegen die Rheinische Eisenbahn, welche trotz ihres Vertrages sich weigert, den Güterbahnhof am Freihafen anzulegen. Die Geldmänner von Köln, diese kleine aber mächtige Partei, werden in ihren Privatinteressen energisch bekämpft. Würde diese vielvermögende Sippe von einem einzelnen Manne, noch dazu von einem solchen, der sich selbst nur zu den Kaufleuten aus dem Mittelstand rechnet, angegriffen werden, wenn der einzelne Mann seinen Vortheil im Auge hätte?“
Dies Privatissimum, diese bescheidene Clause ist die Werkstatt für größere literarische Arbeiten. Wie wir selbst gesehen haben, bleibt auf dem Hauptcomptoir in der Stadt keine Muße; hier auf dem Lande wird sie den andern Beschäftigungen abgekargt. Das Pult hier zeigt außer einer Menge von Arbeiten politischen Inhalts, Correspondenzen mit den auswärtigen Freunden der Fortschrittspartei, Concepten zu Reden für Volksversammlungen etc. eine Denkschrift für den deutschen Handelstag, Correspondenzen für die „Rheinische Zeitung“, deren eifriger Mitarbeiter Herr Classen ist; ferner eine Abhandlung über die Bankfrage und alle möglichen Materialien für die Handelskammer und den Handelsverein. Mögen auch mancherlei tüchtige Männer an der Spitze aller dieser Corporationen stehen, dem Collegen Classen überlassen sie großmüthig die Arbeit und er schafft und wirkt statt Aller für Alle.
An der Gartenpforte harrt indeß der Wagen, der uns heimführen soll; warum zögert der Fabrikherr, nachdem wir ihn längst Abschied von der Familie nehmen sahen? Er empfängt nachträglich noch die Gratulationen zu seinem Namensfeste, das kürzlich stattgefunden hat. Die Arbeiter hängen sehr an ihm – er ist der Begründer des Wohlstandes aller, insbesondere aber sind mehrere Posten in seiner Fabrik mit Leuten besetzt, die ihm ihre Erhebung aus schwerem Unglück verdanken. Wie das geschehen, erfahren wir freilich nimmer, weiß es doch der Eine vor dem Andern nicht.
Die Rückkehr zur Stadt ist erfolgt. Es bleiben noch zwei Stunden vor dem Beginn der oben erwähnten Sitzungen, und in dieser kurzen Zeit geschieht die vollständige Buchung der heutigen Geschäftsresultate, die Revision der Correspondenz, die Instruction an die Commis für die Abendpost, die Bestellungen an den Werkmeister für den folgenden Tag, und meistens bleibt noch Zeit zum Lesen der neuesten Blätter und Tagesberichte übrig.
Welches Geheimniß setzt den Mann in den Stand, das Alles in einer Zeit zu leisten, die bei Andern kaum zur Conception eines Briefes ausreicht? Wir glauben, sein Geheimniß heißt Talent zur Organisation und Seelenruhe. Aufregung, Ueberstürzung, nervöse Hast u. dergl. kennt seine gesunde, durch außerordentlich rationelle Pflege befestigte Natur nicht. Ein Gleichmuth von seltener Festigkeit hält auch dann noch vor, wenn der beste Philosoph die Geduld verlieren würde; die stets harmonische Stimmung seines Innern hält jene Dissonanzen fern, die nur zu oft die geistige Thätigkeit lähmen und bei sehr vielen Menschen das Haupthinderniß rascher Arbeit sind.
Wenn nun endlich der späte Abend ihm Ruhe gönnt; wenn er im großen Kreise seiner Familie, so groß, weil das Geschäftspersonal meist aus Verwandten besteht, weilt, mittheilend, hörend oder lesend: so braucht nur irgend eine Nachricht von Bedeutung aufzutauchen, um ihn zu veranlassen, daß er sogleich wieder seine Wirksamkeit aufnimmt. Denn er hat seit lange die Initiative im politischen Leben der Stadt und der Provinz, mit allen Bestrebungen der Fortschrittspartei ist sein Name verknüpft. Das Mandat für das Haus der Abgeordneten wurde ihm mehrmal von seinen Mitbürgern entgegen gebracht; er mußte ablehnen, weil er zu Hause nicht zu entbehren war. Und in der That, wer sollte ihn ersetzen?
Weil er für Alle lebt, traten alle gern ein, als es galt, ihm eine Freude zu machen. Eine große Anzahl Kölnischer Bürger vereinigte sich zu einem Geschenk an den Unersetzlichen, das nicht zarter gewählt, nicht sinniger gedacht und trefflicher hätte ausgeführt werden können. Es war ein ländliches Gemälde, welches man für die Wohnstube des Gefeierten bestimmte, dasselbe Bild, das der umstehende Holzschnitt in kräftigen Zügen wiedergiebt, eine Ernte am Rhein, in der Heimath des Verehrten. Im Hintergrunde der heiteren, sonnenerleuchteten Scene sehen wir die schöne romanische Kirche zu Sinzig; die hübsche Tracht der Landleute vom Mittelrhein, das Paar Lastthiere vor dem Heuwagen etc. kennzeichnen Land und Sitte.
Gemälde als Ehrengeschenke zu geben, zumal wenn es nicht Portraits der zu Beschenkenden sind, ist wenig hergebracht; Pocale mit Inschriften, Service, Leuchter, Tafelaufsätze etc. sind an der Tagesordnung – haben aber auch eben deswegen keine besondere Bedeutung. Köln wollte seinen verdienten Bürger nicht in gleicher Weise beschenken, wie man jedem Schützenkönig, jedem abgedankten Landrath oder Polizeicommissar zu huldigen pflegt.
Der Schöpfer des Bildes ist Ihren Lesern längst näher bekannt; im Jahrgang 1861 Nummer 41 der Gartenlaube steht ein Lebensabriß des Malers Christian Böttcher von Düsseldorf. Er wurde auserkoren, weil ein schönes Gemälde von ihm, „rheinische Sommernacht“, im Museum zu Köln den allgemeinsten Beifall fand. Als das Bild bei feierlicher Gelegenheit enthüllt und überreicht wurde, erkannte man allgemein der Ausführung den ersten Preis zu, selbst vor dem „Abend am Rhein“, dem berühmtesten Werke desselben Meisters. Das kam daher, weil der Künstler beim Schaffen des Bildes die Liebe und Verehrung der Geber theilte. Er hatte die Liste der Contribuenten gesehen – viele Hundert Handwerker und Arbeiter standen darauf, der geringste Mann neben dem Vermögenden – und bei der Uebergabe des Bildes konnte der Maler sagen, es sei der schönste Auftrag, der ihm je zu Theil geworden.
Heulend rannte die Bäuerin, die Hiesel so hart von dannen geschickt hatte, das Dorf entlang davon.
Der Bauer war eine nicht eben kräftige Gestalt, aber wenn auch tödtlich erschrocken, war er doch nicht muthlos und unmännlich. „Was wollt Ihr mit mir?“ fragte er. „Was soll’s sein?“
„Das fragst noch?“ schrie Hiesel. „Hast Du Dich nit geweigert, das Geld, das ich verlangt hab’, zusammenzubringen? Hast vielleicht die Andern noch abgered’t? Hast mir mit dem Amtmann gedroht? Nun schau, weil Du so gut für die Andern sorgst, nehm’ ich Dich für Alle beim Schopf! Du mußt jetzt das Geld schaffen, jetzt verlang’ ich’s von Dir! Nicht als wenn ich den Bettel durchaus haben müßt’ … aber ich laß mir keine abschlägige Antwort geben, wenn ich mich einmal auf’s Bitten verlegt hab’! Ich will’s nit behalten – ich sag’ Dir nochmals, ich will’s nur geliehen haben … aber her muß das Geld und Du mußt es schaffen, oder Du bist hin!“
„In Gottes Namen,“ sagte der Bauer, „das kann ich nit und das will ich nit!“
„Nit?“ rief Hiesel, wie wüthend sprang er gegen den Mann vor und hob den Stutzen zum zerschmetternden Kolbenschlage; da
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_366.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2022)