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Seite:Die Gartenlaube (1865) 262.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

hochgestellte Personen, dafür sprechen viele, noch wohl erhaltene, mit kostbarer Bildhauerarbeit geschmückte Denkmale, dagegen aber die enorme Ausdehnung dieser zahllosen Gewölbe, wovon die bereits durchforschten sich straßenweise bis zum Postgebäude, unter die Wollzeile, hinziehen. Man weiß bereits von dem Dasein von drei übereinander stehenden Etagen; die dritte tiefste ist freilich noch größtentheils unbekanntes Land, nur von Jenen bewohnt, aus deren Reich „kein Wanderer je zurückgekehrt“.

Die zahllosen Leichen, welche diese Räume bergen, wurden so hoch aufgepackt, daß erst jüngst beim Pflastern eines Vorplatzes auf dem Stephansplatz zum Entsetzen des Arbeiter sich Knochenhände und Todtenschädel zeigten; wie tief hinab aber diese „Aufbewahrungsräume“ gehen, das hat noch kein menschliches Auge erforscht, eben so wenig weiß man mit Bestimmtheit, wie breit sich das Labyrinth dieser Gänge ausdehnt. Die ersten dieser Gewölbe zeigen nur spärliche Knochenüberreste auf, eine trockene, reine Luft hält jeden Modergeruch fern. Je weiter wir eindringen in das finstere Reich der Grüfte, desto schauerlicher wird der Eindruck. Große Knochengerüste, mit einer Sorgfalt und Symmetrie aufgestapelt, wie Stöße Holz auf Zimmermannsplätzen, sind hier, an den Wänden entlang, emporgerichtet, Arm- und Fußröhren, dazwischen die hohläugigen Schädel, die Rippenwölbungen, Alles in einer Ordnung, wie Säbel und Bajonnete in Zeughäusern kunstgemäß arrangirt sind. Vorwärts! Ueber Hügeln von Moder und anderen Attributen der Verwesung finden wir einen Schacht der sinnverwirrendsten Regellosigkeit. Als ob ein Heer von Todten aus unbekannten Ursachen die Flucht ergriffen und Wehr und Waffen von sich geworfen, so liegen hier gesprengte Särge, mit und ohne Inhalt, zerstreute Gebeine, zusammenhängende Gerippe, aufrechtstehende und gekrümmte Mumien in grauenvoller Unordnung durcheinander. Dazu die gespenstige Beleuchtung der Fackeln, welche das Reich der Nacht nur nothdürftig erhellen, – es gehören starke Nerven dazu, um diesen grausigen Anblick ohne Erschütterung zu ertragen. Unbegreiflich beibt es, warum der Verwesungsproceß bei einigen Leichen nur soweit gediehen ist, daß alles Fleisch mumienartig eingetrocknet erscheint, während zahllose vollständige Knochengerippe die Fortschritte der animalischen Zerstörung bekunden und Berge von Leichenmoder das letzte Stadium der Vergänglichkeit alles Irdischen andeuten. Die scharfe, trockene Luft kann nicht allein diese verschiedene Wirkung bei den zu gleicher Zeit in diese Mauern eingesperrten Todten hervorgebracht, es müssen andere mir unbekannte Ursachen dabei von Einfluß gewesen sein.

Die letzten, am Besten erhaltenen Särge tragen die Jahreszahl 1775.

Das Bild des Zeichners dieser nach der Natur aufgenommenen Skizze, welche schon in einem der ersten Jahrgänge der damals verhältnißmäßig noch wenig verbreiteten Gartenlaube erschien, führt uns in einen Salon dieser Leichen-Wohnungen. Die Mumie eines riesengroßen Mannes lehnt halb aufrecht, in der Stellung eines ermüdet Ausruhenden an der Wand, Lappen eines früheren Prunkkleides von dunklem Sammt umschlottern seine Glieder, eine Hand ist noch mit dem Handschuh, ein Fuß noch mit einem Schnallenschuh bekleidet, den Kopf deckt eine Allongenperücke. Ihr gegenüber kauert eine weibliche Mumie, die sich, wie verwundert, über ein zu ihren Füßen liegendes Gerippe beugt.

In dem nächsten Gewölbe scheint die gewaltige Wand nicht mehr Kraft gehabt zu haben, die Wucht des sich gegen sie stemmenden Inhaltes zu stützen, sie ist auseinander geborsten, und durch die breite Spalte drängen sich eine Unzahl übereinander geschichteter Särge, Leichen, Gerippe hervor, letztere scheinbar mit den Händen nach außen ringend, mit den Füßen sich Luft schaffend, mit den augenlosen Schädeln vorwärts dringend – eine grauenvolle Bresche, geeignet auch den beherztesten Feind in die Flucht zu jagen.

Einen wahrhaft entsetzlichen Eindruck macht eine Mumie, welche, vollständig erhalten, auf einem wohlgeordneten Knochenhaufen sitzt; Alles ist noch da bis auf einen Fuß, der bis zum Knie nicht nur die Bekleidung, sondern auch das Fleisch verloren hat und den täuschenden Eindruck eines Stelzfußes hervorbringt. Die Züge des Kopfes, mit den blendend weißen Zähnen, sind im Fackellichte klar erkennbar und scheinen dem Eintretenden mit teuflischem Grinsen entgegen zu lachen.

In der zweiten Etage, die wir abwärts zu erreichen, finden wir eine Menge Kinderleichen, in kleine Särge, theilweise in Schachteln eingepackt, und eine Unmasse menschlicher Ueberreste in allen Formen und Gestalten. Hier zeigt uns eine riesige Oeffnung, welche in eine unabsehbare, selbst durch das Licht der Fackeln nicht zu erhellende Tiefe führt, die sogenannte Pestgrube, die, der Sage nach, mit den Opfern jener entsetzlichen Seuche gefüllt sein soll. Obwohl Leitern den gefährlichen Weg in diesen Abgrund ermöglichen, hatte doch Keiner von uns Lust ihn einzuschlagen.

Unter einer Oeffnung, die auf die Oberwelt ausmündet, zeigt sich noch eine Vorrichtung, mittelst welcher auf einer von Bretern gebildeten schiefen Ebene die Leichen von der Straße herabgeworfen wurden. Die zahlose Menge der hier über einander gewälzten Gerippe bekundet die Eile und Flüchtigkeit, mit welcher man sich damals der Leichen entledigt hatte.

Ueber ausgebrochene, wackelnde Stufen, über Berge von menschlichem Moder und Knochenstücken, losgerissenen und verwitterten Sargbretern geht der unheimliche Weg wieder empor.

Weiter hat auch die neueste Untersuchung (im Jahre 1846) nicht geführt, wenn es gleich zu wünschen wäre, daß fromme Hände Ordnung in dieses wüste Chaos brächten und das Ganze mehr einem riesigen Leichenhof ähnlich gemacht würde, als jetzt, wo es einen Aufenthalt bildet, entsetzlich genug, um einen starken Mann, der ohne Vorbereitung plötzlich hier eingeschlossen würde, zum Wahnsinn zu treiben.

Unwillkürlich beflügelt sich der Fuß auf dem Rückwege, der Blick wendet sich scheu von den Wänden der Knochenhöhle ab, die, von dem Fackellicht nur theilweise erreicht, die absonderlichsten Formen annehmen, und mit tiefern Athemzug begrüßen wir das Tageslicht.

Der umwölkte Himmel, welcher Massen dichten Schnees niedersendet, harmonirt mit der düstern Stimmung, welche sich der kleinen Gesellschaft bemächtigt hat; fast lautlos trennt sich dieselbe, mit dem festen Entschlusse, diese mit Nacht und Grauen bedeckten Räume nicht wieder zu besuchen. Selbst im Traume verfolgte mich der gespenstige Stelzfuß und das Riesenskelet mit den Fetzen des ehemaligen Prunkkleides, die mich wild umher jagten in dem Reich der Verwesung, über Leichenberge und Sargtrümmer hinweg, wo mein Fuß auf behaarte Schädel und weiche Menschenleiber treten mußte, bis der helle freundliche Morgen mich von dieser nachträglichen Qual erlöste.




Die nationale Bedeutung der Genossenschaften.
Von H. Schulze-Delitzsch.
II.

Welche Stellung die arbeitenden Classen im Allgemeinen um jene Zeit in Deutschland einnahmen, haben wir in unserem ersten Abschnitte schon angedeutet. Sie waren, mit geringen Ausnahmen in einigen vornehmen Gewerben, z. B. dem der Goldschmiede (Münzer), Gewandschneider (Tuchmacher), welche von Alters her meist von Freien getrieben wurden, durchweg hörige Leute, persönlich Unfreie. Da sie auf fremdem Grund und Boden saßen, waren sie zum Theil als Feldarbeiter mit Ackerbau-Frohnen, zum Theil als Handwerker mit gewerblichen Leistungen ihres Faches ihrem Leib- und Grundherrn dienstpflichtig und entbehrten der vollen Rechtsfähigkeit. Und aus diesen dem germanischen Geiste, den alten Stammesüberlieferungen so sehr widersprechenden Zuständen, aus der Schädigung an Ehre, Recht und freier Persönlichkeit heraus war es den germanischen Kern- und Mischvölkern, besonders den Deutschen gegeben, den großen Wurf zu thun und das Princip der freien Arbeit in die Geschichte einzuführen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_262.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)