Der Rhein (Hölderlin)
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Des Waldes, eben, da der goldene Mittag,
Den Quell besuchend, herunterkam
Von Treppen des ALpengebergs,
5 Das mir die göttlichgebaute,
Die Burg der Himmlischen heißt
Nach alter Meinung, wo aber
Geheim noch manches entschieden
Zu Menschen gelanget; von da
10 Vernahm ich ohn Vermuhten
Ein Schiksaal, denn noch kaum
War mir im warmen Schatten
Sich manches beredend, die Seele
Italia zu geschweift
15 Und fern hin an die Küsten Moreas.
Jezt aber, drin im Gebirg,
Tief unter den silbernen Gipeln,
Und unter fröhlichem Grün,
Wo die Wälder schauernd zu ihm,
20 Und der Felsen häupter übereinander
Hinabschaun, taglang, dort
Im kälteste nAbgrund hört’
Ich um Erlösuung jammern
Den Jüngling, es hörten ihn, wie er tobt’
25 Und die Mutter Erd’ anklagt’
Und den Donnerer, der ihn gezeuget,
Erbarmend die Eltern, doch
Die Sterblichen flohn von dem Ort,
Denn furchtbar war, da lichtlos er
30 In den Fesseln sich wälzte,
Das Rasen des Halbgotts.
Die Stimme wars des edelsten der Ströme,
Des freigeborenen Rheins,
Und anderes hoffte der, als droben von den Brüdern,
35 Dem Tessin und dem Rhodanus,
Er schied, und wandern wollt’, und ungeduldig ihn
Nach Asia trieb die königliche Seele.
Doch unverständig ist
Das Wünschen vor dem Schiksaal.
40 Die Blindesten aber
Sind Göttersöhne. Denn es kennet der Mensch
Sein Haus und dem Thier ward, wo
Es bauen solle, doch jenen ist
Der Fehl, daß sie nicht wissen wohin?
45 In die unerfahrne Seele gegeben.
Ein Räthsel ist Reinentsprungenes. Auch
Der Gesang kaum darf es enthüllen. Denn
Wie du anfiengst, wirst du bleiben,
So viel auch wirket sie Noth,
50 Und die Zucht, das meiste nemlich
Vermag die Geburt,
Und der Lichtstral, der
Dem Neugebornen begegnet.
Wo aber ist einer,
55 Um frei zu bleiben
Sein Leben lang, und des Herzens Wunsch
Allein zu erfüllen, so
Aus günstigen Höhn, wie der Rhein,
Und so aus heiligem Schoose
60 Glüklich geboren, wie jener?
Drum ist ein Jauchzen sein Wort.
Nicht liebt er, wie andere Kinder
In Wikelbanden zu weinen;
Denn wo die Ufer zuerst
65 An die Seit ihm schleichen, die krummen,
Und durstig umwindend ihn,
Den Unbedachten, zu ziehn
Und zu behüten begehren
Im eigenen Zahne, lachend
70 Zerreißt er die Schlangen und stürzt
Mit der Beut und wenn in der Eil’
Ein Größerer ihn nicht zähmt,
Ihn wachsen läßt, wie der Bliz, muß er
Die Erde splaten, und wie Bezauberte fliehn
75 Die Wälder ihm navch und zusasmmensinkend die Berge.
Ein Gott will aber sparen den Söhnen
Das eilende Leben und lächelt,
Wenn unenthaltsam, aber gehemmt
Von heiligen Alpen, ihm
80 In der Tiefe, wie jener, zürnen die Ströme.
In solcher Esse wird dann
Auch alles Lsutre geschmiedet,
Und schön ists, wie er drauf,
Nachdem er die Berge verlassen,
85 Stillwandelnd sich im deutschen Lande
Begnüget und das Sehnen stillt
Im guten Geschäffte, wenn er das Land baut
Der VAter Rhein und liebe Kinder nährt
In Städten, die er gegründet.
90 Doch nimmer, nimmer vergißt ers.
Denn eher muß die Wohnung vergehn,
Und die Sazung umnd zum Unbild werden
Der Tag der Menschen, ehe vergessen
Ein solcher dürfte den Ursprung
95 Und die reine Stimme der Jugend.
Wer war es, der zuerst
Die Liebesbande verderbt
Und Strike von ihnen gemacht hat?
Dann haben des eigenen Rechts
100 Und gewiß des himmlischen Feuers
Gespottet die tRotzigen, dann erst
Die sterblichen Pfade verachtend
Verwegnes erwählt
Und den Göttern gleich zu werden getrachtet.
105 Es haben aber an eigner
Unsterblichkeit die Götter genug, und bedürfen
Die Himmlischen eines Dings,
So sinds Heroen und Menschen
Und Sterbliche sonst. Denn weil
110 Die Seeligsten nichts fühlen von selbst,
Muß wohl, wenn solches zu sagen
Erlaubt ist, in der Götter Namen
Teilnehmend fühlen ein Andrer,
Den brauchen sie; jedoch ihr Gericht
115 Ist, daß sein eignes Haus
Zerbreche der und das Liebste
Wie den Feind schelt’ und sich Vater und Kind
Begrabe unter den trümmern,
Wenn einer, wie sie, seyn will und nicht
120 Ungleiches dulden, der Schwärmer.
Drum wohl ihm, welcher fand
Ein wohlbeschiedenes Schiksaal,
Wo noch der Wanderungen
Und süß der Leiden Erinnerung
125 Aufrauscht am sichern Gestade,
Daß da und dorthin gern
Er sehn mag bis an die Grenzen
Die bei der Geburt ihm Gott
Zum Aufenthalte gezeichnet.
130 Dann ruht er, seeligbescheiden,
Denn alles, was er gewollt,
Das himmlische, von selber umfängt
Es unbezwungen, lächelnd
Jezt, da er ruhet, den Kühnen.
135 Halbgötter denk’ ich jeztz
Und kennen muß ich die Theuern,
Weil oft ihr leben so
Die sehnende Brust mir beweget.
Wem aber, wie, Rousseau, dir,
140 Unüberwindlich die Seele
Die starkausddauernde ward,
Und sicherer Sinn
Und süße Gaabe zu hören,
Zu reden so, daß er aus heiliger Fülle
145 Wie der Weingott, thörig göttlich
Und gesezlos sie, die Sprache der Reinesten giebt
Verständlich den Guten, aber mit Recht
Die Achtungslosen mit Blindheit schlägt
Die entweihenden Knchte, wie nenn ich den Fremden?
150 Die SÖhne der Erde sind, wie die Mutter,
Allliebend, so empfagen sie auch
Mühlos, die Glüklichen, Alles.
Drum überraschet es auch
Und schrökt den sterblichen Mann,
155 Wenn er den Himmel, den
Er mit den liebenden Armen
Sich auf die Schultern gehäuft,
Und die Last der Freude bedenket;
Dann scheint ihm oft das Beste,
160 Fast ganz vergessen sa,
Wo der Stral nicht brennt,
Im Schatten des Walds
Am Bielersee in frischer Grüne zu seyn,
Und sorglos arm an Tönen,
165 Anfängern gleich, bei Nachtigallen zu lernen.
Und herrlich ists, aus heiligem Schlafe dann
Erstehen und aus Waldes Kühle
Erwachend, Abends nun,
Dem milderen Licht entgegenzugehn,
170 Wenn, der die Berge gebaut
Und den Pfad der Ströme gezeichnet,
Nachdem er lächelnd auch
Der Menschen geschäfftiges Leben
DAs othemarme, wie Seegel
175 Mit seinen Lüften gelenkt hat,
Auch ruhtund zu der Schülerin jezt,
Der Bildner, Gutes mehr
Denn Böses findend,
Zur heutigen Erde der Tag sich neiget. –
180 Dann feiern das Brautfest Menschen und Götter,
Es feiern die Lebenden all,
Und ausgeglichen
Ist eine Werile das Schiksaal.
Und die Flüchtlinge suchen die Heerberg,
185 Und süßen Schlummer die Tapfern,
Die Liebenden aber
Sind, was sie waren, sie sind
Zu Hauße, wo die Blume sich freuet
Unschädlicher Gluth une die finsteren Bäume
190 Der Geist umsäuselt, aber die Unversöhnten
Sind umgewandelt und eilen
Die Hände sich ehe zu reichen,
Bevor das freundliche Licht
Hinuntergeht und die Nacht kommt.
195 Doch einigen eilt
Diß schnell vorüber, andere
Behalten es länger.
Die ewigen Götter sind
Voll Lebens allzeit; bis in den Tod
200 Kann aber ein Mensch auch
Im Gedächtniß doch das Beste behalten,
Und dann erlebt er das Höchste.
Nur hat ein jeder sein Maas.
Denn schwer ist zu tragen
205 Das Unglük, aber schwerer das Glük.
Ein Weiser aber vermocht es
Vom Mittag bis in die Mitternacht,
Und bis der Morgen erglänzte,
Beim Gastmahl helle zu bleiben.
,
210 Dir mag auf heißem Pfade unter Tannen oder
Im Dunkel des Eichwalds gehüllt
In Stahl, mein Sinklair! Gott erscheinen oder
In Wolken, du kennst ihn, das du kennest, jugendlich,
Des Guten Kraft, und nimmer ist dir
215 Verborgen das Lächeln des Herrschers
Bei Tage, wenn
Es fieberhaft und angekettet das
Lebendige scheinet oder auch
Bei Nacht, wenn alles gemischt
220 Ist ordnungslos und wiederkehrt
Uralte Verwirrung.